# taz.de -- Schwer-In-Ordnung-Ausweis in Hamburg: Leider nicht genug | |
> Die Hamburger Sozialbehörde will einem Jungen einen | |
> „Schwer-In-Ordnung-Ausweis“ ausstellen. Das ist gut, wenn es nicht nur | |
> nett gemeinte PR ist. | |
Bild: Hannah ist #schwerinordnung | |
Zuschreibungen von außen gefallen in der Regel niemandem. Nicht zuletzt in | |
der Community der Menschen mit Behinderungen ist man über sie oftmals | |
besonders unglücklich. Die Fragen „Wie nennen mich andere?“ und „Wie nen… | |
ich mich?“ werden hier immer wieder diskutiert. Vor drei Wochen machte sich | |
eine Schülerin aus Pinneberg bei Hamburg darüber Gedanken. | |
Die 14-Jährige mit Downsyndrom mochte ihren Schwerbehindertenausweis nicht, | |
sie war insbesondere mit der Bezeichnung „schwerbehindert“ unzufrieden. Sie | |
wollte nicht länger in einem offiziellem Dokument, das ihre Person | |
beschreibt, von außen kategorisiert werden. Deswegen bastelte sie sich | |
einen anderen Ausweis, den sie Schwer-In-Ordnung-Ausweis nannte und | |
von nun an im Bus vorzeigen wollte. Berichtet wurde darüber zuerst in der | |
Hamburger Vereinszeitschrift Kids Aktuell – Magazin zum Down-Syndrom und | |
ging kurz darauf unter dem Hashtag [1][#schwerinordnung] viral. Hannah | |
bekam viel Aufmerksamkeit und einen ersten Nachahmer: Ein Junge mit | |
Behinderung beantragte einen Schwer-In-Ordnung-Ausweis beim Hamburger | |
Versorgungsamt. Und super ist: Der Ausweis soll ihm nun auch ausgestellt | |
werden. | |
Die Hamburger Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) sagte am Dienstag in | |
der NDR-Radiosendung „Treffpunkt Hamburg“: „Menschen mit Behinderung | |
empfinden sich als ganz normale Menschen, als Teil dieser Gesellschaft, und | |
sie haben keine Lust, von Dritten immer als eine bestimmte Gruppe | |
klassifiziert zu werden.“ Schade ist, dass die Verwaltung den Ausweis | |
lediglich als Begleitdokument ausstellt – immerhin ganz unbürokratisch. Der | |
offizielle, amtliche Ausweis soll weiterhin Schwerbehindertenausweis | |
heißen. Die Antwort der Hamburger Behörde geht also nicht über eine gut | |
gemeinte Geste, über PR hinaus. Der Antrag des Jungen und auch der Protest | |
der Schülerin werden, so der Eindruck, nicht als ernst gemeinte Forderung | |
verstanden. Sie seien eine „herzerweichende Geschichte“, so ein Sprecher | |
des Amts. | |
Begrifflichkeiten wie „mehrfachbehindert“ oder „wesentlich behindert“ | |
werden in Gesetzestexten verwendet, um zu kategorisieren und bestimmte | |
Rechte und Leistungen zusagen oder abblocken zu können. „Schwerbehindert“ | |
ist laut Gesetz jemand mit einem Grad der Behinderung ab 50 (auf einer | |
Skala bis 100). Doch finden Begriffe wie „schwerbehindert“ dann auch | |
Anwendung im Alltag, in Medien und Politik. | |
## Eine sehr individuelle Entscheidung | |
Solche Begriffe machen eine Dichotomie zwischen „behindert“ und „normal“ | |
auf und reduzieren Menschen auf eine Eigenschaft: das Behindertsein. Aus | |
den Diskussionen der Community der letzten Jahre resultierten bisher einige | |
Änderungen, so wurde aus „Behinderte“ der Begriff „Menschen mit | |
Behinderung“ oder aus „geistig behindert“ der Begriff „Menschen mit | |
Lernschwierigkeiten“. Doch auch diese Begriffe stehen vielfach in der | |
Kritik. Wie man genannt werden will, sei eine sehr individuelle | |
Entscheidung. Einige Betroffene wollen zum Beispiel lieber als „Menschen | |
mit Einschränkungen oder Beeinträchtigung“ bezeichnet werden. | |
Während Diskussionen über Selbstbezeichnungen bei LGBTI und People of Color | |
öffentlich stattfinden, fehlen Menschen mit Behinderungen oftmals | |
Plattformen, um Themen in die Öffentlichkeit zu tragen. Wenn es, wie jetzt, | |
doch breite Wahrnehmung gibt, wären deshalb diese Fragen wichtiger als | |
allein eine gut gemeinte Geste: Was bedeutet es, als schwerbehindert | |
bezeichnet zu werden? Welche Rolle spielt Sprache für Inklusion und | |
Teilhabe? Oder einfacher: Wie wollt ihr genannt werden? | |
16 Nov 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/search?f=tweets&vertical=default&q=%23schwerino… | |
## AUTOREN | |
Christine Stöckel | |
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