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# taz.de -- Jobs in Gefahr: Bei der Arbeit behindert
> Dem Integrationsbetrieb Mosaik geht die Puste aus. Wegen steigender
> Kosten und zu geringer Fördermittel macht er seit Jahren Verluste.
Bild: Der Geschäftsführer von Mosaik Frank Jeromin in der Schartzschen Villa
Die junge Frau mit Pferdeschwanz trägt das Tablett an den voll besetzten
Cafétisch. „So, einmal das französische Frühstück, einmal
Mozzarella-Baguette“, sagt sie und stellt routiniert die Teller ab. Es gibt
viel zu tun an diesem Vormittag: Eine ganze Gruppe hat es sich im
stilvollen Gastraum der Schwartzschen Villa in Steglitz gemütlich gemacht.
Immer wieder läuft die Kellnerin zwischen Theke und Tischen hin und her,
bringt Getränke, räumt ab.
Eine völlig unspektakuläre Szene, könnte man meinen. Aber gerade ihre
Normalität ist bemerkenswert. Die 22-jährige Kellnerin hat eine
Lernschwäche, in einem normalen Restaurant zu arbeiten würde sie sich
derzeit nicht trauen, sagt sie. Das Café in der Schwartzschen Villa gehört
zu Berlins größtem Integrationsbetrieb, zu Mosaik-Services. Menschen mit
und ohne Behinderung arbeiten hier zusammen. Wenn sie fest angestellt sind,
erhalten sie auch den gleichen Lohn. Seit fünf Jahren kellnert die junge
Frau im Café. Sie sagt: Ich fühle mich wohl und möchte hier gern
weiterarbeiten.“
Ob das klappt, ist derzeit unklar: Wegen steigender Kosten und zu geringer
Fördermittel mache Mosaik gerade im Gastronomiebereich seit Jahren
Verluste, sagt Geschäftsführer Frank Jeromin gegenüber der taz. „Wir stehen
kurz davor, zahlreiche Standorte schließen und Mitarbeitern kündigen zu
müssen.“ 68 Arbeitsplätze, die Hälfte davon für Menschen mit Behinderung,
seien akut gefährdet. Verantwortlich dafür macht Jeromin die Senatorin für
Soziales, Elke Breitenbach (Linke). Obwohl sich Mosaik schon im Frühjahr
massiv beschwert habe, ignoriere ihre Verwaltung das Problem.
38 Integrationsbetriebe gibt es in Berlin, sie beschäftigen insgesamt 1.200
MitarbeiterInnen, die Hälfte davon hat eine Behinderung. Sie arbeiten in
Restaurants und Hotels, in der Gebäudereinigung oder in der Buchhaltung.
Nicht nur Mosaik, auch anderen geht inzwischen die Puste aus, sagt
Christine Nothacker, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der
Integrationsfirmen Berlin. „Die Unternehmen können sich am Markt nicht mehr
behaupten.“ Weil es zu wenig Förderung gebe, sei die Zahl der Arbeitsplätze
in Berliner Integrationsbetrieben 2016 erstmals nicht gewachsen, sondern
zurückgegangen.
## Seit 2003 dieselbe Förderung
Die Unternehmen bekommen für jeden Beschäftigten mit Behinderung einen
sogenannten Minderleistungsausgleich gezahlt. Er soll wettmachen, dass sie
nicht so effizient arbeiten können wie Angestellte ohne Behinderung. Das
zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales prüft bislang jeden Fall
einzeln und legt dann eine pauschale Fördersumme für die Firma fest.
Jeromin zufolge erhalten die Unternehmen monatlich 300 bis 800 Euro pro
Mitarbeiter.
Das Problem: Seit 2003 sei die Förderung nicht mehr erhöht worden, sagt der
Mosaik-Geschäftsführer. Die teils tariflich festgelegten Gehälter aber
stiegen. 2011 habe die Förderung noch 27 Prozent der Personalkosten
ausgeglichen, inzwischen seien es nur noch knapp 16 Prozent. „Um
wettbewerbsfähig bleiben zu können, benötigt Mosaik einen Ausgleich von
mindestens 30 Prozent“, fordert Jeromin. Bis zu 100.000 Euro mehr wären das
pro Jahr. Auch Nothacker sagt: „Wir brauchen einen dynamischen Ausgleich,
der mit der Lohnentwicklung Schritt hält.“
Ginge es nach Jeromin und Nothacker, würde die Förderung pro Beschäftigtem
pauschal bezahlt. Die Einzelfallprüfung, wer wie viel weniger arbeitet als
seine Kollegen, fiele dann weg. „Die ist teuer, unwissenschaftlich und für
die Leute eine Erniedrigung“, sagt Jeromin. Die Prüfung sei bei ein und
demselben Menschen mit Behinderung schon zu völlig unterschiedlichen
Ergebnissen gekommen, so seine Erfahrung. In allen anderen Bundesländern
würden inzwischen Pauschalen ausgezahlt.
Die Sozialverwaltung wies die Forderungen der Integrationsbetriebe zunächst
zurück. In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der CDU teilte
Staatssekretär Alexander Fischer (Linke) im September mit, man wolle das
System der Einzelfallprüfungen beibehalten, weil nur so der jeweilige
Bedarf festgestellt werden könne. Bei einer gezahlten Pauschale von 30
Prozent der Personalkosten würden dem Integrationsamt deutliche Mehrkosten
entstehen.
## Kaum im Sinne der Linkspartei
Eine solche Erhöhung verbiete sich, „weil nicht erkennbar ist, dass der
bisher bezahlte Zuschuss nicht hinreichend kompensiert, um weiterhin
wettbewerbsfähig zu sein“. Es sei vorgesehen, im Laufe des Jahres 2019
Gespräche mit den Integrationsfirmen zu führen.
Dann wären viele Mosaik-Standorte wohl schon dicht – was kaum im Sinne
einer Sozialsenatorin, gerade einer der Linkspartei, sein dürfte. In einer
Stellungnahme gegenüber der taz schlägt die Sozialverwaltung am Freitag
denn auch versöhnlichere Töne an. Sprecherin Regina Kneiding bestätigt,
dass der an Mosaik gezahlte Ausgleich seit 2003 unverändert ist, und räumt
ein, das sei „nicht praxisgerecht“. „Die Belastungen durch die
behinderungsbedingten Minderleistungen müssen für Mosaik neu bewertet und
entsprechend angepasst werden.“
Staatssekretär Fischer will nun doch schon bald mit Mosaik ins Gespräch
kommen. Ziel sei es, „nach Lösungen zu suchen, die für Mosaik und darüber
hinaus auch für alle anderen Integrationsfirmen tragfähig sind“. Auch über
die Art der Förderung – nach Einzelfall oder pauschal – will die Verwaltung
nun mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Integrationsfirmen reden, hieß es
am Freitag.
Bereits diese Woche soll es erste Gespräche geben. Dann wird sich zeigen,
ob und wie es für die Beschäftigten bei Mosaik weitergeht – auch für die
junge Kellnerin im Café Schwartzsche Villa.
9 Oct 2017
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
## TAGS
Integration
Integrationspolitik
Integrationsgesetz
Berlin-Charlottenburg
Inklusion
Inklusion
Die Linke Berlin
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