# taz.de -- Hochprofitable Geschäfte über Malta: So finanziert Europa Libyens… | |
> Libysches Rohöl geht nach Italien, wird als Benzin nach Libyen geliefert | |
> und anschließend mit Gewinn nach Europa zurückgeschmuggelt. | |
Bild: Das Öl wird gut bewacht, aber reichlich geschmuggelt | |
TUNIS taz | Aus der Ferne wirkt Harbs Bank wie ein kleines Stück Sahara im | |
Mittelmeer, 300 Meter breit, fünf Kilometer lang. Seltsam nahe ankert ein | |
Dutzend große Tankschiffe vor der unscheinbaren Untiefe rund 60 Kilometer | |
vor Malta. Schiffe wie die 40 Meter lange „Seamaster X“ liegen hier jede | |
Woche, bis zum Rand gefüllt mit Benzin aus der libyschen Wüste. Nachdem der | |
Anker fällt, beginnt hektisches Treiben, in Kanistern oder durch 10 | |
Zentimeter dicke Rohre wird das Benzin in kleinere Schiffe mit | |
maltesischer Kennung oder Riesentanker mit russischer oder spanischer | |
Flagge auf dem Weg vom Suezkanal nach Westen verladen. | |
Die auf keiner Karte verzeichnete Hochseetankstelle zwischen Libyen und den | |
Hoheitsgewässern des kleinsten EU-Mitgliedslandes ist der derzeit | |
lukrativste Handelsplatz auf dem Mittelmeer. Das Benzin kommt aus Libyen, | |
wo es die Zentralbank subventioniert. Die Schmuggler kaufen es für 0,04 | |
Euro pro Liter direkt bei der Ölgesellschaft Wafa, oft für Tankstellen, die | |
es nur auf dem Papier gibt. | |
In der westlibyschen Kleinstadt Zuwara nahe der tunesischen Grenze wird die | |
Ladung hinter Grundstücksmauern in riesigen Tanks zwischengelagert. | |
Fischerboote mit Zusatztanks oder Schnellboote mit Ölfässern fahren aus | |
Zuwara zu vereinbarten Treffpunkten wie die Ölplattform al-Mussa oder die | |
Harbs-Sandbank. | |
Die Profite sind enorm. Auf dem Mittelmeer wechselt der für 0,04 Euro | |
eingekaufte Liter für einen Dollar (0,84 Euro) den Besitzer. Maltesische | |
Autofahrer zahlen an der Zapfsäule 1,30 Euro. Malta liegt von Libyens | |
Hauptstadt Tripolis eine halbe Flugstunde entfernt. Schon zu Zeiten von | |
Langzeitherrscher Gaddafi war der Inselstaat Treffpunkt der | |
Drogenschmugglerbarone und Tor für Geschäftsleute ins einst reichste Land | |
Afrikas. | |
Libyen stand damals unter internationalen Sanktionen wegen des Anschlags | |
auf ein US-Passagierflugzeug über dem schottischen Lockerbie kurz vor | |
Weihnachten 1988 mit 270 Toten. Die Bombe, die die Boeing 747 in der Luft | |
zerriss, war in einem Radiorekorder auf dem Flughafen in Maltas Hauptstadt | |
Valletta an Bord geschleust worden. | |
## Stellvertreterkrieg um Libyens Ressourcen | |
Seit es in Libyen wegen Gaddafis Sturz 2011 außer der Zentralbank und der | |
staatlichen Ölagentur NOC keine funktionierenden Institutionen mehr gibt | |
und die Milizen das Sagen haben, ist die Touristenmetropole Valletta zu | |
einer Art Finanzmetropole Libyens geworden. | |
Der Stellvertreterkrieg um Libyens Ressourcen findet an vielen Orten statt. | |
In der Türkei hat Präsident Erdoğan den libyschen Islamisten und | |
Muslimbrüdern in der Dajab-Straße von Istanbul ein neues Zuhause gegeben. | |
In Ägypten gehen die Offiziere von Ostlibyens Armeechef Hafter, der gegen | |
die Milizen im Westen Libyens kämpft, mit Bitten nach Waffenlieferungen ein | |
und aus. | |
Die heimlichen Kriegsgewinnler von Libyens Chaoskrieg verdienen glänzend an | |
den unterschiedlichen Gewinnmodellen, die der politische Wirrwarr, die | |
Fortzahlung der aus der Gaddafi-Ära übernommenen Subventionen und die | |
fehlende Kontrolle über Libyens Außengrenzen bieten. | |
Während in Tripolis die Bürger vor Banken und Tankstellen oft den ganzen | |
Tag Schlange stehen für Güter, die sogar zu Zeiten der UN-Sanktionen | |
reichlich vorhanden waren – Benzin und Bargeld – donnern Tanklaster voller | |
Benzin in Richtung libysch-tunesische Grenze. In dem gesichtslosen | |
Küstenort Zuwara sind die Schmuggler längst nicht mehr an Flüchtlingsbooten | |
interessiert. Benzin bringt viel höhere Margen. Der Gewinn nach Abzug der | |
Sicherheitsgebühren an die Milizen entlang der Route von Tripolis: 1.600 | |
Prozent. | |
Das Benzin, das nach Europa geschmuggelt wird, stammt selbst aus Europa. | |
Die staatlichen Einkäufer der libyschen NOC-Tochter Wahat orderten dieses | |
Jahr neun Millionen Barrel Benzin aus Italiens Raffinerien, wo Libyens | |
Rohöl verarbeitet wird. 2011 waren es nur drei Millionen gewesen. Ibrahim | |
Ali von der Libyan Transparency Association glaubt, dass 70 Prozent des | |
importierten Benzins Libyens Grenzen wieder überqueren: nach Tunesien, | |
Niger, Ägypten, und mit Abstand am meisten nach Malta, über Zuwara. | |
## „Der wahre Motor des Libyenkrieges“ | |
Da große Tankschiffe den kleinen Hafen Zuwara nicht anlaufen können, wurde | |
eine alte Pipeline der stillgelegten Chemiefabrik Abu Kammash 30 Kilometer | |
westlich wieder aktiviert. Rund drei Kilometer reicht diese auf das | |
Mittelmeer hinaus, das hier von auslaufendem Quecksilber lebensgefährlich | |
verschmutzt ist. Das Totalversagen des libyschen Staates ist eine gute | |
Ausrede für Zuwaras Fischer, wenn sie auf dem Rückweg auf See von | |
tunesischen Kollegen Fisch kaufen. | |
Statt selbst zu fischen, laufen ihre Kutter voller Schmuggelware mit | |
libyscher Kennung und libyschem Namen aus, mit maltesischer Kennung kommen | |
sie zwei Tage später in Valletta an, vorbei an den Nato- und EU-Schiffen | |
der „Sophia“-Mission, die auch das über Libyen verhängte Waffenembargo | |
überwachen sollen, doch rund um die Uhr mit dem Retten schiffbrüchiger | |
Migranten beschäftigt sind. | |
„Den wahren Motor des Libyenkrieges stoppen die Europäer nicht: Öl-, | |
Benzin-, Drogen- und Waffenschmuggel nach Norden“, sagt der Verantwortliche | |
einer libyschen Organisation, der Korruption nachgeht. „Ohne das Aus der | |
Subventionen und das Ende des Millionengeschäftes auf dem Mittelmeer wird | |
der Libyenkonflikt nicht zu stoppen sein.“ | |
27 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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