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# taz.de -- Kolumne So nicht: Kraken zu Haien
> In Kreuzberg läuft eine Krake durch die Straßen. Als Laterne. Und mit
> politischer Botschaft. Doch wer ist hier Monster, wer Tier, wer Mensch?
Bild: Krake in Kreuzberg. Laternenumzug mit Botschaft
Vor ein paar Tagen zog eine wunderschöne, riesengroße, beleuchtete Krake
durch Kreuzberg. Mit langen, wehenden Armen schlenderte der glühende
Tintenfisch durch den kleinen, dunklen Wrangelkiez und zauberte den
Passanten ein Lächeln aufs Gesicht. Es war sehr still, niemand sprach und
ich dachte zunächst naiv, dass da einfach nur eine Krake durch die Gassen
läuft, um die Bewohner glücklich zu machen.
Aber, wir sind in Kreuzberg. Hier läuft keine Krake einfach so durch die
Gegend. Wenn, dann trägt sie eine politische Botschaft mit sich rum. Die
Krake war Teil eines Laternenumzugs, was ich erst nach ein paar Minuten
verstand, als im Schatten der Krake einige Laternenumzugsteilnehmer riefen:
„Punkt. Punkt. Komma. Strich. Uns verdrängen ist hier nicht.“
Auf einem kleinen Plakat war zu lesen: „Miethaie zu Monstersnacks“.
Verwirrt blieb ich zurück. War die Krake gar keine Krake, sondern ein Hai?
Oder sollte die Krake den Miethai verspeisen?
Zu dem Umzug gab es einen Aufruf: „Licht an! Wir monstern uns zusammen“ war
das Motto. Vollständig verwirrt, wer hier Monster, wer Tier, wer Mensch
ist, las ich dort: „Für den Erhalt der Nachbarschaft und gegen die
Verdrängung von Kitas, Kinderläden, sozialen Einrichtungen und
Bildungsstätten aus den innerstädtischen Bezirken.“
In Kreuzberg ist im November ständig politischer Laternenumzug. Vor zwei
Jahren zählte ich in meinem sechs Straßen kleinen Kiez sechs Laternenumzüge
in einer Woche, darunter der „Homo/LGBT*-Laternenumzug mit Mucke und
Glühwein“.
Danach kamen noch Laternenumzug sieben und acht: Der Laternenumzug vom
Kinderbauernhof Görlitzer Park, der „mit Esel“ stattfand. Und der
Laternenumzug „Investoren heimleuchten“ für den Erhalt von Gemüse- und
Gemischtwarenladen. Damals sangen sie: „Ich geh mit meiner Laterne und
meine Laterne mit mir. Den Kiez beleuchten wir gerne – wir bleiben alle
hier! Aus unserm Haus – Investor raus! Rabimmel, rabammel, rabumm“.
Dieses Jahr wurde von den Laternenkrakenumzugsorganisatoren „leckeres Essen
und wärmende Feuertonnen am Ende des Umzugs“ versprochen. Ich ging aber
nicht weiter mit. Ich wollte lieber nicht wissen, wer hier Krake war, wer
Hai, wer wen in die Feuertonne schmiss und zu Snacks verarbeiten wollte.
Ich wollte nichts mit Krakenkränkern zu tun haben.
Ich ging stattdessen nach Hause und hörte mir eine Hörspielfassung von
„Moby Dick“ an, die große häretische Erzählung über die großen
Menschheitsfragen und den weißen Wal.
„… denn es gibt keine Torheit der Tiere auf Erden, welche der Irrsinn der
Menschen nicht unendlich weit übertrifft“, heißt es darin. Aber auch: „Die
Hölle ist eine Vorstellung, die sich ursprünglich einem unverdauten
Apfelknödel verdankt und seither durch die erblichen, von Ramadanfesten
genährten Gallenbeschwerden fortgeschrieben wurde.“
Wenn die Gentrifizierungskritiker beim nächsten Laternenumzug mit solch
nachvollziehbaren Bildervergleichen aufwarten können, dann bleib ich
vielleicht auch bis zum Schluss.
21 Nov 2017
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Hai
Kreuzberg
Wohnungspolitik
Gentrifizierung
Schwerpunkt Rassismus
Fremdenfeindlichkeit
So nicht
SPD
Sex
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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