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# taz.de -- Die Wahrheit: Auf Durchreise
> In die große, weite Welt hinaus trampen – ein Traum! Der manchmal wahr
> wird. Hinterm Autobahnkreuz. Ausgestattet mit dem Duft des Desperados.
Bild: Viele Trucks stehen und warten an der Grenze zu Simbabwe
Manchmal fuhren wir mit dem Taxi raus zur Raststätte hinterm Autobahnkreuz.
Wir warteten bis nach Mitternacht, bis zwei oder drei Uhr, auf jeden Fall
mussten wir sehr müde sein, und Raimund meinte, dass man auch die Nächte
vorher nur wenig geschlafen haben sollte, am besten draußen, nur im
Schlafsack, zur Not auf dem Balkon.
Zudem durfte man nicht frisch geduscht sein, und es schadete nicht, wenn
die Klamotten, die man anzog, schon getragen waren und eine Zeit lang
zwischen den gebrauchten Sachen im Schmutzwäschekorb gelegen hatten. „Es
geht nicht darum, zu stinken wie ein alter Kater“, sagte Raimund, „es geht
um den Geruch der Straße. You know, Buddy, we’ve been on the road for a few
days, und vielleicht war auch das Fernweh zu groß, um in einem billigen
Motel eine Mütze voll Schlaf und eine Dusche zu nehmen.“
Natürlich fuhren wir nicht ohne die großen Rucksäcke los. Wir hatten sie
mit irgendwelchem Krempel vollgestopft, mit alten Zeitungen oder
Konservenbüchsen – er musste nur dafür sorgen, dass die Gurte in unsere
Schultern schnitten, während wir über den Rastplatz schlurften. Wir spürten
das Brennen der Müdigkeit hinter den Augen, und ich schnupperte an uns und
fragte mich, ob sie uns aus der Gaststätte nicht achtkantig wieder
rausschmeißen würden, aber Raimund sagte: „Blödsinn, Bud, das ist der Duft
des Desperados, dem diese Welt zu klein ist, der gar keine andere Wahl hat,
als seiner Sehnsucht hinterherzufahren. Außerdem sind die da drinnen Kummer
gewöhnt.“
Wir gingen hinein und ließen uns Kaffee geben, der nach abgebrannter
Scheune schmeckte. Dazu bestellten wir etwas, das Schnitzel hieß und innen
noch gefroren war, als wir es hingestellt bekamen. Wir aber vertilgten die
grauen Lappen wie ausgehungerte Bären, und als die Kellnerin fragte: „Na,
Jungs, schmeckt’s?“, sagte Raimund: „Perfekt, Daisy, Schätzchen!“
Als wir fertig waren, fischten wir einen Pappdeckel aus dem Müll und
kritzelten „Marrakesch“ drauf oder „Istanbul“. Dann strichen wir zwisch…
den Trucks herum und hielten den Fahrern, die sich allmählich aus ihren
Schlafkojen rollten und gegen einen Reifen urinierten, den Pappdeckel hin.
Die meisten schnalzten nur ablehnend mit der Zunge oder schimpften in
fremden Sprachen, und manchmal sagte auch einer: „Ich fahr nur bis
Dinkelsbühl, ihr Spacken, und mir reicht mein eigener Gestank vollkommen.“
Uns aber war das egal, denn kurz nach Sonnenaufgang kam wie vereinbart Theo
mit dem alten Kipplaster seines Vaters vorbei, bremste abrupt, zeigte auf
unser Schild und rief durch den ohrenbetäubenden Lärm des Motors: „You
wanna go to Marrakech, boys? Well, come on, let’s go!“
Und wir kletterten flugs zu ihm in die Fahrerkabine, fühlten uns äußerst
groß und sehr frei und wie die Könige der Welt, und es machte überhaupt
nichts, dass er uns schnurstracks zurück nach Hause fuhr, zurück in unser
ziemlich gewöhnliches Leben.
21 Nov 2017
## AUTOREN
Joachim Schulz
## TAGS
Backpacker
Schwerpunkt u24 taz
Kinder
Betrug
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Trend
Freundschaft
Theater
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