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# taz.de -- Die Wahrheit: Der bissige Graf
> Ahtmann war unbestritten der bedeutendste lebende Vampir-Darsteller. Doch
> was geschah bei der Premiere und wo steckte er seither?
Zum letzten Mal begegnete ich Ahtmann im Winter des Jahres 99. Er stand
plötzlich vor meiner Tür und erzählte mir, dass er die Rolle des
Vampirgehilfen Igor in Cromms „Dracula“-Dramatisierung übernommen hatte.
„Bist du irre?“, sagte ich: „Du als Hilfsvampir bei Cromm?“ Ahtmann war
unbestritten der bedeutendste lebende Vampir-Darsteller. Cromm hingegen,
erster Schauspieler und Intendant auf Lebenszeit an unserem bedauernswerten
Stadttheater, hatte bisher noch jedes Stück zugrunde gerichtet. Doch
Ahtmann grinste nur und nippte an dem schwarzen Kaffee, den er wie immer
leicht gesalzen zu sich nahm.
Ich verpasste die Premiere wegen eines Rendezvous, und später gingen die
Meinungen über die Ereignisse auf der Bühne weit auseinander. Die
Lokalpostille, Hausblatt des Cromm-Fanclubs, berichtete, dass Ahtmann dem
geliebten Intendanten gleich zu Beginn von Draculas erstem großen Monolog
unter wölfischem Geheul an die Kehle gesprungen sei und eine klaffende
Wunde zugefügt habe. „Sodann“, Zitat Lokalpostille, „entfloh der Mordbube
hechelnd und auf allen vieren.“
Die Mehrzahl der Abonnenten hingegen schwor, dass eine Schar Fledermäuse in
den Saal eingedrungen sei, sich, von Ahtmann dirigiert, auf den Intendanten
gestürzt habe und, begleitet von dem nun gleichfalls im Fledermauskostüm
herumflatternden Ahtmann, im Dunkel des Schnürbodens verschwunden sei.
Mitglieder der „Theaterfreunde Minna von Barnhelm“ schließlich wollen
gesehen haben, dass der echte Graf D. aus einem Schrank getreten sei,
seinen violetten Frackumhang aufgeschlagen und Cromm die Halswunde zugefügt
habe, um dann mit dem irre kichernden Ahtmann durch eine Falltür in die
Unterwelt abzutauchen.
Ahtmann jedenfalls spielte in allen Schilderungen eine zentrale Rolle, und
daher war es kein Wunder, dass tags drauf zwei schnauzbärtige
Kriminalkommissare bei mir auftauchten und mich als alten Ahtmann-Komplicen
fragten, ob ich einen violetten Frackumhang besäße, und vor einem Spiegel
kontrollierten, ob mein Spiegelbild akkurat sei.
Cromm erholte sich erstaunlich schnell. Die Wunde am Hals verheilte binnen
weniger Tage, und er kehrte auf die Bühne zurück. Allerdings brauchte bloß
jemand im Zuschauerraum ein violettes Taschentuch zu entfalten, um ihn aus
seinen quälenden Monologen aufzuschrecken: Plötzlich schoss er wie ein
Derwisch über die Bühne und gab der Handlung eine ganz neue, bizarre
Wendung – selbst sein sterbensöder „Wallenstein“ wurde so noch ein
dadaistisches Spektakel.
Insofern stellte man die Ermittlungen gegen Ahtmann vorzeitig ein und hätte
ihm gern die Ehrenbürgerschaft verliehen. Doch Ahtmann blieb verschwunden,
und wenn man den Gerüchten glauben will, hat er in einem dunklen Gemäuer in
den Karpaten ein neues Zuhause bezogen und trinkt Abend für Abend mit dem
Schlossherrn leicht gesalzenen Mokka aus güldenen Pokalen.
1 Aug 2017
## AUTOREN
Joachim Schulz
## TAGS
Theater
Schauspieler
Trend
Freundschaft
Sommer
Restaurant
Deutsche Universitäten
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