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# taz.de -- Die Wahrheit: Die unrasierte Braut
> Vorsicht Kamera, verstehen Sie Spaß und Augen auf beim Schuhkauf: In
> Einkaufszonen ist alles möglich.
Die Braut eierte mir auf dem Goetheplatz mit großen wackligen
Storchenschritten entgegen. „Bitte“, flüsterte sie, „retten Sie mich!“…
Füße steckten in mörderischen Stilettos, die Unterschenkel waren picklig
und unrasiert, und auch im Gesicht trug sie einen Dreitagebart. Sie war –
kein Zweifel – ein Mann.
„Klar“, sagte ich. Ich wusste, es gab tausend denkbare Erklärungen für
einen Mann im Brautkleid. Vielleicht hockten irgendwo in einem
Müllcontainer einige gut getarnte Spaßvögel vom Fernsehen, die die Szene
mit versteckter Kamera filmten und darauf warteten, dass ich mich
blamierte. Möglicherweise war ich in eine Theateraufführung der Schwulen
Hochschulgruppe geraten und musste damit rechnen, dass demnächst auf
Hunderten von Plakaten ein unvorteilhaftes Foto von mir unter der
Überschrift „Die hässliche Fratze der Homophobie“ zu sehen wäre, wenn ich
die bärtige Braut nicht wie eine vollkommen selbstverständliche Erscheinung
behandelte.
Auch die Mafia konnte hinter so einem Vorfall stecken. Ich hatte keine
Ahnung, warum man einen bärtigen Mittdreißiger in ein schäbiges Brautkleid
stecken sollte, doch mein Wissen über die Methoden der internationalen
Kriminalität ist bescheiden. Infolgedessen lächelte ich der unrasierten
Braut aufmunternd, aber unverbindlich zu, sodass ich auf Fernsehfiffis und
Schwulenaktivisten höflich und zuvorkommend, auf Mafiosi hingegen absolut
ahnungslos wirkte. „Da drüben“, sagte die Braut und zeigte hinüber zum
Goetheplatzcenter. „Na dann“, sagte ich und lächelte in jede Richtung, aus
der uns ein Beobachter zusehen konnte.
## Auf dem Weg zum Standesamt
Sie hakte sich unter, um besser gehen zu können, und schob mich in das
Center hinein. „Na?“, hörte ich plötzlich eine bekannte Stimme von hinten:
„Auf dem Weg zum Standesamt?“ Ich ließ die Braut erschrocken los und fuhr
herum. Hinter mir standen Raimund, Theo und Vic.
„Und wir sind nicht zur Trauung eingeladen, ’en Hammer!“ – „Nein“, …
ich, „es …“ – „… es ist ganz anders, als ihr denkt!'“, säuselte …
ironisch. „Und mir hast du immer gesagt, du wärst durch und durch hetero“,
beschwerte sich Vic. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir doch ’en
büschen mehr Mühe gegeben.“ – „Also bitte!“, versuchte ich es noch ma…
„ich …“ Doch Raimund schnitt mir das Wort ab und sagte: „Kommt Jungs, i…
geb’ einen aus auf unseren verlorenen Freund, dessen Name nie wieder
erwähnt werden soll!“
Sie gingen davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Dafür trat die Braut,
die zwischenzeitlich verschwunden war, aus einer Ladentür. Es war ein
Schuhgeschäft. „Die hier sind super“, sagte sie, zeigte auf ein paar weiche
Wildlederschuhe, die sie jetzt anhatte, und drückte mir die
Mörder-Stilettos in die Hand. „Ich hab gesagt, dass Sie sie bezahlen.
Danke, mein Retter!“ Dann verschwand auch sie in der Menge, und ich
erkannte allein am Blick der Schuhverkäuferin, die auf mich wartete, dass
die Galoschen ein kleines Vermögen kosteten.
16 Jan 2018
## AUTOREN
Joachim Schulz
## TAGS
Frankfurt/Main
Betrug
Männer
Trend
Freundschaft
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