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# taz.de -- Per Anhalter durch Ostafrika: Trampen? Warum nicht?
> Eine Frau reist alleine per Anhalter von Mosambik nach Simbabwe. Eine
> Reise, die begrenzt kontrollierbar ist und überraschend interessant.
Bild: Viele Trucks stehen und warten an der Grenze zu Simbabwe
Pambarra, Mosambik, 0 Kilometer, in Küstennähe. Ich sitze am Straßenrand
und halte das Schild „Chimoi“. Wer wird anhalten? Was sind das für
Menschen? Ich stelle mir einen überladenen Jeep vor mit einer Familie, die
auf dem Weg zu ihrer Verwandtschaft ist. Oder ein Paar, das gemeinsam das
Abenteuer Afrika wagt. Mein Ziel ist 566 Kilometer entfernt und liegt in
Simbabwe. Ich trampe spontan, niemand weiß davon. Auf der Suche nach der
Nähe zu den Einheimischen, nach unerwarteten Erlebnissen, nach Grenzen.
Es ist 9.30 Uhr, 360 Kilometer Straße bis zur Grenze liegen vor mir. Ein
jüngerer Afrikaner sagt strahlend: „Du kannst mit ihm bis nach Inchope
fahren“, packt meinen Rucksack und schmeißt ihn in den Truck mit dem
Schriftzug „Correios de Mocambique“. Der Zustand des Wagens ist gut. Der
Fahrer trägt eine schwarze Ray-Ban-Sonnenbrille, seine Augen sind nicht
erkennbar, doch er lächelt. Hinten liegt eine Frau mit lockigem Haar und
kräftigen Oberarmen. Im Führerhaus liegen nur Zigaretten und Minzbonbons.
Ein Afrikaner mit Jeanshemd und Lederuhr steigt ein. „Hola“, sagt er mit
Grübchen im Gesicht. Wir fahren los. Früher trampte jeder, früher war es
das Normalste der Welt. Jetzt fängt es an zu prickeln. Ich bin in Afrika
unterwegs. Per Anhalter.
Wir fahren auf der Nationalstraße EN1, Estrada Nacional Número Um, Richtung
Norden. Eine Fernstraße, die den Norden mit dem Süden des Landes verbindet.
Ich spreche Englisch, Spanisch und Französisch; die drei sprechen
portugiesisch. Trotzdem verstehen wir uns. Fahrer Alex ist 40, er fährt
seit 20 Jahren mit dem Truck, täglich 18 bis 20 Stunden. Er verbringt
wöchentlich eine Nacht bei seinen zwei Kindern in der Hauptstadt Maputo –
wenn er Glück hat und die Strecke wie geplant schafft.
Wir umfahren im Slalom riesige Löcher im Asphalt. Trucks kommen auf unserer
Straßenseite auf uns zu. Ein Wagen kommt uns gefährlich nahe. Alex hält das
Lenkrad mit beiden Händen fest, sein Gesichtsausdruck ist hart, kleine
Muskeln zeichnen sich auf seinen Armen ab. Der Fahrer betätigt die
Lichthupe. Was heißt das? Dann weicht der gegnerische Wagen aus. Zum Glück.
Es ist trocken, nur vereinzelte Bäume in Sichtweite. Wir fahren jetzt neben
der Straße auf aufgeschüttetem Sand mit 30 Stundenkilometern Richtung
Norden. Vorbei an Fahrradfahrern, die Ziegen auf palettenähnlichen
Konstruktionen festgebunden haben. Sie bewegen sich über die unebene
Straße, die Tiere sind trotzdem ungewöhnlich ruhig.
## Die Landschaft ist grün, überall Bäume und Palmen.
Die Schlaglöcher werden weniger, Alex entspannt sich, schaut sich die
Landschaft an. Ich ahne: Er liebt seinen Job. Mir reicht es, wenn ich
einmal im Leben diese Strecke fahre. Ich mag es, während des Fahrens zu
lesen. Hier keine Chance.
Nach einer kurzen Rast mit Hähnchen, Reis, Salat und Gemüse fahren wir
weiter. Plötzlich sind überall Menschen. Frauen mit ihren Kindern, die
Strohballen, Orangen und Ananas verkaufen. Die Landschaft ist grün, überall
Bäume und Palmen. In der Ferne sehe ich ein Kind mitten auf der Straße
stehen. Alex hupt. Wir kommen näher, das Kind steht still da. Alex hupt
erneut. Jetzt erkenne ich das lebende Huhn in seiner Hand. Alex hupt
wieder, der Junge springt in letzter Sekunde weg. Und Alex holt tief Luft.
Als die Sonne untergeht, erreichen wir Inchope im Landesinneren Mosambiks.
Ich fahre mit dem Minibus nach Chimoio im Westen Mosambiks und suche ein
Hostel. Am nächsten Tag heißt die Mission „Bargeld besorgen“, denn in
Simbabwe, meinem nächsten Ziel, kann man kein Geld abheben. Es herrscht
eine Bargeldkrise aufgrund der maroden Wirtschaft. In Mosambik sind 5.000
Metical (75 Euro) pro Abhebung möglich, vor jedem Automaten stehen 20 bis
40 Menschen.
Inchope, Mosambik, 360 Kilometer. Die Nacht im Hostel war unruhig. Mein
heutiges Ziel ist Simbabwe: 260 Kilometer liegen vor mir. Ich halte es für
eine gute Idee, um 7 Uhr von einer Raststation der Trucks zu starten, so
kann ich die Fahrer direkt ansprechen. Ich sehe die Trucks am Straßenrand,
ihre Führerhäuser sind leer.
Dafür sitzen zwischen den Trucks fünf Männer im Kreis auf Plastikstühlen,
zwei stehen daneben. Die Straße ist staubig und laut, die Fahrer sind ruhig
und ernst. Plötzlich frage ich mich, warum ich das mache. Ich bin noch nie
alleine getrampt. Warum jetzt? Warum in Afrika? Und warum nicht? Ich laufe
auf die irritiert schauenden Männer zu: „Hola, ich möchte nach Mutare.“ I…
Blick wird freundlich. Mir ist aber auch bewusst, wie begehrt europäische
Frauen sind und wie sehr diese Männer mir körperlich überlegen sind.
„Souf fährt“, sagt einer und führt mich zu einem Truck. „Mutare?“, fr…
Souf und zieht die Gepäckschnur seines Wagens nach. „Ja, das wäre klasse!�…
sage ich, während mein Rucksack hochgeschmissen wird. In dem großen
Führerhaus sind zwei Betten, die Scheibe ist dreckig, die Aussicht
gigantisch. Als ich einen etwa fünf Jahre alten Jungen hinter dem Sitz
entdecke, rollen wir bereits los. Souf, sein Sohn Elio und ich. Dann steigt
seine Frau Isabel ein. Ich sitze vorne mit Souf, Isabel sitzt hinten mit
Elio auf dem Bett. Souf kommt aus Nampula. Er ist Vater von fünf Kindern
und seit 14 Jahren Truckfahrer. „Ich war schon mit diesem Truck in
Botswana, Sambia, Malawi und Tansania“, erzählt er.
## „I love it too much!“
Wir tuckern im Schritttempo mit dem alten Lkw einen Berg hinauf Richtung
Simbabwe. Andere Trucks ziehen an uns vorbei. „Fährst du gerne?“, frage
ich. Souf strahlt: „I love it too much!“ Souf sucht am Hang den nächsten
Gang, wir werden immer langsamer, bis wir uns nicht mehr bewegen.
Stillstand. Souf bewegt die sensible Schaltung. Er scheint genau zu wissen,
was er tut. Ich will vorankommen, ich will unbedingt in Simbabwe bei
Tageslicht ankommen.
Noch mal rüttelt der Gang, wir sind wieder im Spiel. Souf strahlt: „Der
Truck ist too good! Er hat mich in den letzten Jahren nie im Stich
gelassen.“ Wir erreichen nach drei Stunden Fahrt die Grenze. Bei den Trucks
bildet sich ein Stau, kein Ende ist sichtbar. Ich werde unruhig, langsam
schmerzt mein Rücken.
„Schritt für Schritt“, sagt Souf entspannt. Dann steigen Isabel und Elio
aus, sie werden frischen Fisch kaufen und an der Grenze auf ihn warten.
„Isabel hat keinen Pass“, sagt Souf. „Hatte Sie noch nie einen?“ „Nei…
bin der Einzige meiner Familie, der einen Pass hat. In Mosambik hat fast
niemand einen Pass. Doch nächstes Jahr werden wir einen Pass für sie
beantragen, damit sie mit mir nach Simbabwe, Sambia und Malawi reisen
kann.“
Später gibt Souf einem Obdachlosen etwas Geld aus einem Bündel
Dollarscheine.
Ich hole meinen Stempel am Checkpoint von Mosambik und kehre zurück zum
Truck. Souf muss immer wieder neue Unterlagen am Grenzamt abgeben.
Mittlerweile sind wir seit vier Stunden an der Grenze. Ich beschließe, die
Grenze selbstständig zu überqueren. „Souf, ich werde mein Visum für
Simbabwe holen. Ich lasse meinen großen Rucksack im Truck. Wir sehen uns an
dem Checkpoint von Simbabwe.“ „Klar!“, ruft er.
Ich mache ein Foto des Trucks, denn von dieser Sorte gibt es viele. Ich
laufe an allen Trucks vorbei. Kein Auto ist sichtbar. Keine Frau. Nur ich
zwischen Trucks und Truckfahrern. Es ist staubig und warm. Als ich den
Checkpoint von Mosambik verlasse, muss ich ein gestempeltes Papier abgeben.
Ich schlängle mich weiter durch die kleinen Gänge zwischen den Trucks, die
kreuz und quer stehen. Dann wird mir klar, dass ich keine Nummer von Souf
habe. Was ist, wenn mit seinen Papieren etwas nicht stimmt und er nicht die
Grenze passieren kann? Was ist, wenn ich ihn nicht mehr finde? Was ist,
wenn mein Rucksack abhanden kommt? Das Grenzgebiet ist größer, als ich
dachte. Ein Afrikaner begleitet mich, weist mich schützend durch die
schmalen Gänge. Jetzt wäre ich lieber alleine.
## Beim Trampen kann so viel Unerwartetes passieren
Simbabwe ist das fünfzigste Land, das ich bereise. Die Entscheidung mit dem
Trampen war spontan, aber nicht aus heiterem Himmel. Sieben Jahre
intensives Reisen liegen hinter mir. Sieben Jahre, in denen ich auf mein
Bauchgefühl hörte. Sieben Jahre, in denen das Vertrauen in mein Bauchgefühl
mir so viele Zugänge verschaffte, so viele tolle Momente mit Einheimischen.
Es hat mich nicht enttäuscht. Bisher. Ich liebe erste Male, wie das erste
Mal alleine trampen, nicht zuletzt wegen ihrer begrenzten
Kontrollierbarkeit. Beim Trampen kann so viel Unerwartetes passieren.
Dann erreiche ich den Checkpoint. Werden sie mich einreisen lassen? Ich
habe im Hostel zwei Chileninnen und eine Chinesin kennengelernt, die
gestern an der Grenze abgewiesen wurden.
Am Schalter ist kaum etwas los. Ich zeige meine Papiere. „Bitte warten“,
sagt die Dame mit starkem Make-up hinter dem Schalter. Die anderen Menschen
ziehen an mir vorbei, bekommen scheinbar problemlos einen Stempel. Dann
winkt sie mir zu: „Das Computersystem ist abgestürzt.“Fünfzehn Minuten
später erhalte ich mein Visum. Ich checke kurz auf meinem Handy das Foto
des Trucks, Nr. 437. Ich verlasse das Gebäude und vor mir parkt ein
riesiger Truck mit roter Plane. Nr. 437! Jetzt sehe ich Souf grinsend im
Führerhaus. Ich steige ein, lasse mich in den Sitz fallen und fühle mich in
dem Truck sicher. Es ist wieder passiert: Veränderung. Auf dieser
Wahnsinnsstrecke. Jetzt fühle ich mich genau dort sicher, was mir früher
Angst gemacht hat.
27 Apr 2019
## AUTOREN
Luisa Willmann
## TAGS
Backpacker
Afrika
Reisen
Schwerpunkt u24 taz
Blogger
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