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# taz.de -- Hörspiel „Der Verleger“: Millionär und Attentäter
> Giangiacomo Feltrinelli starb 1972 bei dem Versuch, einen Strommast zu
> sprengen. Ein Hörspiel bei BR3 über eine rätselhafte Person.
Bild: Feltrinelli wurde im März 1972 tot aufgefunden. Was ist passiert?
„Unser Kampf ist ein gemeinsamer Kampf, unser Kampf ist ein internationaler
Kampf“, ruft der Mann und [1][schließt mit dem Aufruf Che Guevaras], dessen
„Bolivianisches Tagebuch“, das er selbst aus Südamerika herausgeschmuggelt
hatte: „Hasta la victoria siempre!“ Der Tonschnipsel, auf dem ein
kämpferischer Giangiacomo Feltrinelli zu hören ist, steht ganz am Anfang
des BR2-Hörspiels „Der Verleger“, das am 3. und am 10. November gesendet
wird.
Dieser Verleger, ein Freund Rudi Dutschkes und Fidel Castros, ein
Millionär, Gründer eines linken Verlags- und Buchhandelsimperiums, das bis
heute seinen Namen trägt, starb 1972 während des Versuchs, einen Strommast
zu sprengen. Das Attentat hätte im Erfolgsfall halb Mailand für ein paar
Stunden lahmgelegt. Mit dem kühlen Protokoll der Sezierung des Leichnams
beginnt das 102-minütige Hörspiel.
Viele Fragen blieben nach seinem Tod offen: War es ein Unfall, Selbstmord
oder doch Mord? Hatte Feltrinelli allein gehandelt? Schließlich hatte er
1969 seine eigene paramilitärische Partisanengruppe, die GAP (Gruppo
d’Azione/Partigiana) gegründet, mit der er unter anderem einen Putsch der
extremen Rechten in Italien verhindern wollte. Oder handelte der Attentäter
im Auftrag?
## Im Mittelpunkt: die schillernde Figur des Verlegers
In „Der Verleger“ steht nicht so sehr das Attentat oder der Tod
Feltrinellis im Mittelpunkt, [2][sondern die Widersprüche, die von dieser
schillernden Figur ausgingen.]
Während die Freunde und Weggefährten nach Erklärungen für seinen Tod
suchen, überbieten sich die Zeitungen der damaligen Zeit in wilden
Zuschreibungen: Feltrinelli wird der „rebellische Sohn des reichen und
mächtigen Mailand“ genannt, „Sproß einer der reichsten lombardischen
Familien“, ein „Dilettant revolutionärer Politik“, ein „unglücklicher
Reicher“, ein „Playboy der Revolution“.
Die Produktion unter der Regie von Michael Farin basiert auf [3][Nanni
Balestrinis Roman „Der Verleger“]. Eine Vorlage auf dem Silbertablett:
Balestrinis satzzeichenloser Roman von 1989 ist der letzte Teil seiner
bedeutenden Trilogie „Die große Revolte“, in der der Autor, Künstler und
Aktivist sich der sogenannten „Bleiernen Zeit“ Italiens widmet, den circa
11 Jahren nach 1969, in denen sich teils bewaffnete linke Gruppen wie die
Brigate Rosse, Lotta Continua oder Potere Operaio mit dem italienischen
Staat und dessen rechten oder sogar faschistoiden Austrieben
auseinandersetzten.
Der Roman lässt sich ohne ästhetische oder formale Verluste in das
Hörspielformat übertragen. Anders gesagt: Er liest sich schon wie ein
Hörspiel. Balestrini montiert dokumentarisches Material aus
verschiedensten Quellen zusammen und unterteilt es ins Kleinstabschnitte –
eine Kakophonie verschiedener Stimmen. Im Hörspiel werden Darsteller/innen
wie Blixa Bargeld, Bibiana Beglau, Manfred Zapatka und Aurel Manthei
eingesetzt, zu der sparsam eingesetzten Musik der zeitgenössischen
Komponistin Suzanne Farrin.
## Das Rätsel der politischen Radikalisierung
Bald mischen sich in den Text die Stimmen mehrerer Protagonisten/innen ein:
der ältere Expartisan und seine Frau, die Journalistin und der junge,
gutaussehende Revolutionär. Nach dem Tod des Verlegers versuchen sie, ein
Drehbuch zu den Ereignissen zu schreiben. Ihre Erklärungsansätze zum Tod
des Verlegers, der als Wendepunkt für die italienische Linke verstanden
wird, bleiben in den Ansätzen stecken.
Genau darum geht es Balestrini: Das Rätsel der politischen Radikalisierung
eines reichen Mannes, der sich gegen seine eigene Schicht wendet, seine
Bedeutung für die italienische Linke der 1960er und 1970er Jahre, auch als
Rätsel zu belassen. Unklar ist der Tod des Verlegers bis heute, das
Scheitern der linken Bewegungen im Italien der 1970er Jahre bis heute
spürbar. Sogar in dem 2015 erschienenen, vielgefeierten Roman
„Flammenwerfer“ der US-amerikanischen Autorin Rachel Kushner wird der Tod
Feltrinellis diskutiert: „Er hat Ärger gesucht und gefunden. Was hatte er
auf einem Strommast verloren, mein Gott?“ Fragen über Fragen.
3 Nov 2017
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## AUTOREN
Stephanie Fezer
## TAGS
Hörfunk
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Revolution
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Noise
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