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# taz.de -- Das Interview: "Meine Schüler finden es irre, dass ich Hippie war"
> Er war mit Rudi Dutschke befreundet, kämpfte beim SDS für die Revolution
> und lebte als umherschweifender Haschrebell in Charlottenburg. Günter
> Langer war vor 40 Jahren mittendrin. Wie sieht er 68 heute? Interview:
> Nina Apin
Bild: "Mal pennte man hier, mal da": Günter Langer lebt heute im Reihenhaus
taz: Herr Langer...
Günter Langer: Ach, so ist das jetzt bei der taz, man siezt sich? Aber gut,
Sie sind jung. Und ich soll von damals berichten. Womit soll ich anfangen:
SDS, Infi, Wielandstraße, Haschrebellen?
Rudi Dutschke wäre für eine Nachgeborene ein guter Einstieg. Sie arbeiteten
zusammen beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und waren
befreundet. Wie erfuhren Sie von dem Attentat?
Ich war gerade dabei, das neu gegründete Forschungsinstitut des SDS am
Kudamm zu renovieren. Das Institut sollte Befreiungsbewegungen in der
Dritten Welt gegen den Imperialismus unterstützen. Die Räume stammten von
meinem Vater, er hatte uns sein ehemaliges Versicherungsbüro zur Miete
überlassen. Am 11. April 68 saß ich auf einer Großlieferung Bücher von
Feltrinelli...
Feltrinelli?
Der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli, bekannt durch die
Veröffentlichung von Boris Pasternaks "Doktor Schiwago", das in der
Sowjetunion nicht erscheinen durfte.
Danke.
Er hatte uns eine Bibliothek, Reprints der internationalen
Arbeiterbewegung, im Wert von 50.000 Mark geschenkt, die ich vom Zoll
abgeholt hatte. Ich saß zwischen Kisten und unmontierten Bücherregalen und
wartete auf Rudi. Aber er kam nicht. Irgendwann erreichte mich die
Nachricht vom Attentat. Ob er noch lebte, wusste man nicht. Ich fuhr erst
einmal zur Demo vor dem Springer-Hochhaus, wo schon eine Menge Leute waren.
Waren das nur Studenten, die dort ihrer Wut gegen Springer Luft machten?
Nein, ein dreiviertel Jahr nach dem 2. Juni 67...
...der Ermordung Benno Ohnesorgs bei einer Demo durch einen Polizisten...
...erlebte die Linke eine große Solidarisierungswelle. Nicht nur an den
Unis. Unsere Bewegung hatte längst die Stadt erfasst: Jugendliche, Schüler
und versprengte Linke, wie mein Vater, der als ehemaliger Kommunist
frustriert war von der politischen Entwicklung. Unsere Position war für
viele interessant geworden. Rudi war in dieser Zeit ständig unterwegs,
hielt Vorträge.
Und auf dem Höhepunkt der Popularität wurde er angeschossen.
Dadurch gab es einen weiteren Aufschwung. Aber auch die Feindschaft von der
anderen Seite wurde größer: Presse, Senat und die Mehrheit der Berliner
Bevölkerung hassten uns. Das Klima war unglaublich aufgeheizt. Wäre ich mit
meinen Freunden in eine Neuköllner Kneipe gegangen, hätte es vermutlich
eine Prügelei gegeben.
Also trafen Sie sich in Charlottenburger Studentenkneipen. Dort, so stellt
man sich das heute vor, wurde pausenlos Revolution gemacht.
Mag sein, aber die wichtigen Entscheidungen wurden im SDS-Zentrum am Kudamm
getroffen. Auf den Versammlungen diskutierten vorwiegend die älteren,
erfahrenen Genossen, was möglicherweise vorher abgesprochen war. Ich war
erst 21 und ein Küken im SDS, sodass ich manchmal Mühe hatte, die
wirklichen Beweggründe für bestimmte Redebeiträge oder Entscheidungen zu
erfassen.
Aha?
Ja, aber einige Genossen wollten Transparenz. Dutschke schien mir ein
solcher Genosse zu sein. Er war nicht arrogant, nahm alle ernst. Aber er
gehörte ja auch zum antiautoritären SDS-Flügel.
Sie haben ihn bewundert!
Das kann man so sagen, ja. Er hatte Charisma und Ideen, er konnte
mitreißen. Seine Reden werden heute als schwer verständlich beschrieben.
Ich dachte, es liegt an meinem Alter, dass ich diese Dutschke-Reden nicht
verstehe.
Ich war damals allerdings der Meinung, ich hätte sie verstanden. Dutschkes
Stärke war die Rhetorik, das Auftreten.
Und er sah gut aus!
Finden Sie? Damals war er ganz und gar kein Frauentyp: ziemlich klein, mit
dieser schwarzen Haarsträhne. Aber er war unheimlich belesen. Er las
ständig, versuchte die Geschichte der von den Nazis zerstörten linken
Bewegung aufzuarbeiten. Das konnte er alles aus dem Effeff zitieren. Damit
machte er Eindruck - als Popidol taugte er nicht.
Er war auch verheiratet. War das damals nicht extrem uncool?
Für mich war es okay, er war ja älter. Aber andere, die mit ihm eine
Kommune gründen wollten, nahmen ihm übel, dass er stattdessen Gretchen
heiratete. Die Kommune 1 gab es dann trotzdem, wie Sie sicher wissen. Nur
ohne Dutschke.
Sie dagegen waren jung und unverheiratet, saßen aber auf einem Haufen
Bücher. Musste man sich damals entscheiden zwischen Politik und Spaß, SDS
und Kommune?
Das schloss sich nicht aus. Ich zog selbst auch in eine Kommune. Nur nicht
in die K1, wo man jeden Abend seine Seele auf den Tisch legen musste. Ich
hab mal an einer vorbereitenden Sitzung der K1 teilgenommen - aber fühlte
mich dafür noch zu unerfahren. Leute wie Dieter Kunzelmann konnten jeden in
Grund und Boden reden. Dem hätte ich damals nicht standhalten können.
Sie zogen lieber mit den späteren Stadtguerilleros Georg von Rauch und
Bommi Baumann zusammen in die Wielandstraße. Wie darf man sich so eine
Sponti-WG vorstellen?
Das hieß damals nicht WG, sondern Kommune! Wir wohnten nicht einfach
zusammen. Wir wollten gemeinsam revolutionär wirken, eine Einheit von Leben
und Politik bilden - ohne Privateigentum. Die Wohnung, die uns Otto Schily
zur Verfügung stellte, war ideal. Wir schliefen zu acht im Berliner Zimmer,
aßen zusammen, planten Aktionen. Ab und zu kam mein Vater, brachte uns
Essen und Geld. Der fand ganz gut, wie wir lebten.
Und die freie Liebe überließen Sie der K1?
Nein, das praktizierten wir auch, nur ohne Psychoterror. Trotzdem
verkrachten wir uns schon nach vier Monaten. Bommi Baumann und ich zogen
aus und krochen in einer Hascher- und Fixerkommune in der Lietzenburger
Straße unter. Dort wohnten Hippies aus der ehemaligen Gammlerbewegung, die
seit Anfang der 60er existierte. Aber die flogen bald raus, weil sie nie
Miete zahlten. Danach hatte ich keine feste Wohnung mehr, schweifte nur
noch umher.
Sie gehörten zu den "umherschweifenden Haschrebellen". War das eine
poetische Umschreibung für totales Durchhängen?
Klar, das Studium litt. Ich vergaß sogar, mich zurückzumelden. Aber der
Begriff "Haschrebellen" trügt vielleicht. Ich war nie von irgendeiner Droge
abhängig, von morgens bis abends zu kiffen war für mich nie ein
Lebensinhalt. Es ging mir vor allem um Kontakte zur Szene, die sich nach
1968 kaum noch an der Uni abspielte.
Was passierte mit dem SDS-Forschungsinstitut, das Sie aufbauen wollten?
Mit dem Infi waren wir Jüngeren überfordert: Rudi war weg, der Mitgründer
Gaston Salvatore spurlos verschwunden und der Mietvertrag lief aus. Es gab
zwar Arbeitskreise und Publikationen, aber die Bedeutung, die wir uns
erhofft hatten, erreichte das Infi nie. Einige Genossen, die dort
Arbeitskreise leiteten, gründeten später eine maoistische Partei und nahmen
unsere Bibliothek gleich mit. Rudi hätte das mit Sicherheit verhindern
können, aber ich hatte dazu keine Chance.
Hatten Sie damals noch Kontakt zu Dutschke?
Anfangs nicht, es ging ihm so schlecht, dass er erst wieder sprechen lernen
musste. Wiedergesehen habe ich ihn erst im Sommer 1969, als er bei Erich
Fried in London war. Ich kam mit Baumann und zwei von den Haschrebellen
vorbei. Es war ermutigend: Rudi war wach und sehr interessiert an dem, was
wir in Berlin machten. Nur seine Frau war ein bisschen schockiert von uns
militant erscheinenden bunten Vögeln.
Machten Sie damals noch was Politisches?
Um 1969 zersplitterte der antiautoritäre Flügel des SDS: Die einen wollten
Stadtteilarbeit machen, andere Medienkampagnen wie "Enteignet Springer".
Die Dutschke-Fraktion hatte als Zielscheibe den Imperialismus. Irgendwann
konnte man sich nicht mehr auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Man war
über die Universität hinausgewachsen, die Stadt wartete auf neue Ideen.
Damit war eine Studentenorganisation wie der SDS überfordert: Er löste sich
auf. Es gab zwar die APO und den Revolutionären Club und so weiter, aber
eine Figur wie Dutschke gab es nicht mehr.
Und die Kommunarden Rainer Langhans und Fritz Teufel?
Die haben ganz gut mit den Medien gespielt und waren dementsprechend in der
Öffentlichkeit. Mit Sicherheit halfen sie damit, unsere Ideen landesweit
bekannt zu machen. Aber sie hatten nie den Anspruch, organisierend zu
wirken. Damit wären sie ohnehin überfordert gewesen.
Ärgert es Sie, dass 68 heute oft auf Spaß und freie Liebe reduziert wird?
Nein, für mich waren meine Kommunenjahre eine schöne Zeit: Man pennte mal
hier, mal da, jeweils bei einer anderen Frau. Das war nicht, wie manche
heute sagen, eine Machokiste. Eher umgekehrt. Ich traf nicht nur einmal
eine Genossin auf der Straße oder in der Kneipe, die sagte: "Heute bist du
mal dran, heute gehst du mit mir ins Bett."
Und was setzte dem Spaß ein Ende - das erwachende Karrierebewusstsein oder
die erste ernsthafte Zweierbeziehung?
Eher der Zerfall der Bewegung, die Gründung der K-Gruppen, inklusive der
Guerillagruppen. Ich war Redakteur bei der Zeitschrift 883, wo fast alle
Gruppen publizierten. In einem Text sollte ein Polizeispitzel zum Abschuss
freigegeben werden. Da musste ich Farbe bekennen, ich verhinderte den
Abdruck. Vendetta war nicht meine Sache.
Also zogen Sie die Reißleine und gingen wieder studieren?
Die letzte große Sache war die Demo im Frühjahr 1970 gegen den Überfall der
USA auf Kambodscha, die maßgeblich von 883 und den Haschrebellen
organisiert wurde. Das war der Höhepunkt dieser Bewegung, danach war sie
tot. Einige gingen in den Untergrund, andere zogen sich aufs Land zurück.
Ich fing wieder an zu studieren und zog in eine Politkommune, die einer
heutigen WG glich.
Also die schleichende Rückkehr zur bürgerlichen Lebensform?
Ich zog mich später tatsächlich mit einer Frau aus der WG in eine
Kleinfamilie zurück. Zusammen sind wir nicht mehr, aber wir haben einen
Sohn.
Sind Sie Lehrer geworden, um die Gesellschaft aus ihren Institutionen
heraus zu verändern?
Ach nee, das war eher Zufall, dass ich in einem Kreuzberger
Oberstufenzentrum landete. Ins Referendariat musste ich mich meiner
politischen Vergangenheit wegen einklagen - das tat ich schon aus Prinzip.
Können Ihre Schüler mit Ihrer Vergangenheit was anfangen?
Die finden es irre, dass ich Hippie war und gegen Krieg. Alles andere kann
man heute schwer erklären. Dem Antiautoritären fühle ich mich immer noch
verpflichtet. Der erlernte kreative Umgang mit Regeln kommt mir im
Berufsleben zugute.
Ihre rebellische Phase war also keine verlorene Zeit?
Viele bedauern, die Revolution nicht geschafft zu haben. Aber ich fühle
mich nicht als Verlierer. Vieles, was wir damals vertreten haben, ist heute
selbstverständlich. Dass wir Krieg und Hunger auf der Welt nicht beenden
konnten, nun gut. Das ist damals wie heute Aufgabe aller.
14 Apr 2008
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