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# taz.de -- Jamaika-Sondierungen und Atomwaffen: Man kann ja mal drüber reden
> Auf der langen Liste strittiger Fragen, auf die die Jamaika-Sondierer
> eine Antwort finden müssen, steht auch eine alte grüne Forderung:
> „Atomwaffenabzug“.
Bild: Fliegerhorst in Büchel: Hier lagern US-Atombomben
Wenn Elke Koller im Wohnzimmer sitzt, kann sie die Übungen für den
Atomkrieg hören. Im Oktober war es mal wieder so weit: Fünf, sechs
Flugzeuge schossen vormittags an ihrem Haus vorbei, noch mal so viele am
Nachmittag. Darunter waren nicht nur Tornados der Bundeswehr, die die
Rentnerin mittlerweile am Donnern der Turbinen erkennt, sondern auch
Flugzeuge aus den USA und der Türkei. „Steadfast Noon“ hieß die Übung, b…
der die Nato den Einsatz ihrer Atomwaffen simulierte.
Koller lebt in Leienkaul, einem Dorf in der Eifel, vier Kilometer nördlich
des Fliegerhorsts Büchel. 1996, noch als Mitglied der Grünen, demonstrierte
sie zum ersten Mal gegen den Luftwaffenstützpunkt. „Nicht wegen der
Lärmbelästigung, die ist bei einem zivilen Flughafen schlimmer“, sondern
wegen der zwanzig US-amerikanischen Atombomben, die dort vermutlich in
unterirdischen Magazinen lagern.
Mit Ostermärschen, Sitzblockaden und Gerichtsverfahren kämpft Koller
seitdem für den Abzug der Waffen – bislang ohne Erfolg. Ob sich das mit der
Jamaika-Koalition ändert? „Ich mache mir nicht allzu große Hoffnung“, sagt
die Aktivistin. Mal sehen. In Berlin liegt das Thema zumindest auf dem
Tisch. Die Sondierungsparteien diskutieren in dieser Woche noch einmal über
ungeklärte Streitfragen. Unter Punkt 11 („Außen, Verteidigung,
Entwicklungszusammenarbeit, Handel“) steht auf der langen Liste auch ein
Stichwort, auf das die Grünen gepocht hatten: „Atomwaffenabzug“.
Wie viele Atombomben insgesamt in Deutschland lagern, hält die
Bundesregierung geheim. Experten vermuten, dass die zwanzig US-Bomben vom
Typ B61 im Fliegerhorst Büchel die einzigen sind. Sie sind Teil des
Nato-Konzepts der „nuklearen Teilhabe“: Die Waffen gehören den USA und
stehen unter amerikanischer Kontrolle. Im Falle eines Krieges würden sie
aber nicht durch die Air Force eingesetzt, sondern durch die Luftwaffe.
Deutsche Piloten in Tornados der Bundeswehr würden die Bomben ins
Zielgebiet fliegen und dort abwerfen.
Die Grünen möchten diese Praxis aus dem Kalten Krieg am liebsten beenden.
Agnieszka Brugger, für Außen- und Verteidigungsfragen im Sondierungsteam,
verweist zur Begründung auf die Weltlage. „Russland und die USA stellen
bestehende Abrüstungsvereinbarungen infrage. Es besteht die reale Gefahr
eines neuen nuklearen Wettrüstens“, sagt sie. „Wir wollen, dass sich die
neue Bundesregierung klar dagegen positioniert, indem sie den Abzug der
US-Atomwaffen aus Deutschland vorantreibt.“
## Grüne gegen den Rest
Die Verhandlungen über diesen Punkt sind für die Grünen allerdings heikel.
Einerseits müssen sie mit der Maximalforderung reingehen: Die ehemalige
Friedenspartei wirbt seit jeher für den Abzug der Atombomben, auch im
aktuellen Wahlprogramm tauchte die Forderung prominent auf.
Und Friedensaktivisten achten darauf, dass die Partei das Anliegen nicht
vergisst. Nach der Vergabe des Nobelpreises an die Anti-Atomwaffen-Kampagne
ICAN haben sie eine breite Brust. An diesem Montag wollen verschiedene
Initiativen eine Unterschriftenliste mit 43.000 Unterzeichnern an Brugger
und Parteichef Cem Özdemir übergeben. Andererseits stehen die Grünen
zwischen den anderen Jamaika-Parteien mit ihrer Forderung ziemlich allein
da. „Leider haben sich die anderen Parteien knallhart dagegen aufgestellt
und sind sogar sehr weit hinter den schwarz-gelben Koalitionsvertrag von
2009 zurückgefallen“, räumt die Grüne Brugger zerknirscht ein.
Eine Sprecherin von Angela Merkel sagte im Oktober, solange andere Staaten
mit dem Einsatz von Atomwaffen drohten, bestehe „nun einmal die
Notwendigkeit zum Erhalt einer nuklearen Abschreckung fort“. Die FDP, die
zu den Parteivorsitzendenzeiten Guido Westerwelles noch für den Abzug der
Bomben war, sieht es inzwischen genauso.
## Auf nuklearen Erstschlag verzichten
Erleben die Atomwaffengegner also ein Déjà-vu? Innerhalb der
Bundesregierung gab es für sie noch nie etwas zu holen. 1998 schaffte es
das Thema auf Drängen der Grünen zwar erstmals in einen Koalitionsvertrag.
Den Abzug forderte Rot-Grün darin nicht, dafür wollte die Koalition
innerhalb der Nato dafür werben, im Ernstfall zumindest auf einen nuklearen
Erstschlag zu verzichten.
Joschka Fischer setzte sich als Außenminister tatsächlich ein paar Monate
für eine entsprechende Selbstverpflichtung ein, blitzte in Washington und
Brüssel aber ab, womit das Thema fürs Erste erledigt war.
2009 verhandelte dann der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle das
Bekenntnis in die schwarz-gelbe Koalitionsvereinbarung, sich „im Bündnis
sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten“ für den Abzug der
Atomwaffen einzusetzen. Nur zwei Wochen später distanzierte sich das
Kanzleramt in einem vertraulichen Gespräch mit dem US-Botschafter aber
schon wieder von diesem Ziel, zumindest laut einem Protokoll der
Amerikaner, das Wikileaks später veröffentlichte. Wenig überraschend
scheiterte Westerwelle später als Außenminister in den Gesprächen mit den
Verbündeten.
Was können die Grünen aus der Erfahrung lernen? Auf keinen Fall werden sie
Union und FDP das Ziel abringen, die Atomwaffen gegen den Willen der USA
außer Landes zu schaffen. Das höchste der Gefühle wäre ein Kompromiss, wie
ihn Westerwelle 2009 bekam: Abzug ja, aber nur im Einvernehmen mit der
US-Regierung. In diesem Fall hätte Cem Özdemir als möglicher Außenminister
die undankbare Aufgabe, sich in Washington die nächste Abfuhr einzuholen.
## Mit welchen Jets sollen Atombomben herumfliegen?
Auf direktem Weg ist für die Grünen also nichts zu bewegen. Über Umwege
könnten sie aber doch noch an der nuklearen Teilhabe wackeln. Auf die
nächste Bundesregierung kommt nämlich eine ganz praktische Frage zu: Mit
welchen Flugzeugen soll die Luftwaffe in Zukunft die amerikanischen
Atombomben herumfliegen?
Bisher hat sie für diese Aufgabe nur die Tornados, die zum Großteil aus den
1980er Jahren stammen. Weil Flugzeugteile verschleißen, muss die Bundeswehr
die Jets früher oder später außer Dienst stellen. Zwar kann sie die
Lebensdauer um ein paar Jahre ausdehnen, indem sie einzelne Komponenten
austauscht oder die Flugzeuge öfters am Boden lässt. Nach bisherigen
Planungen ist aber spätestens in den 2030er Jahren Schluss. Für die Zeit
danach stehen vielleicht schon in dieser Legislaturperiode Entscheidungen
an.
In der vergangenen Woche trafen sich Generäle und Rüstungsmanager hinter
verschlossenen Türen zu einer internationalen Kampfjet-Konferenz in Berlin.
Berichten in Fachmedien zufolge deuteten Luftwaffen-Vertreter dort an, die
Tornados ab 2025 durch US-amerikanische Tarnkappenflugzeuge vom Typ F-35
ablösen zu wollen – auch diese Jets sind nuklearfähig.
## Eine Gelegenheit für die Grünen
Alternativ könnte die Bundeswehr Exemplare ihres zweiten Kampfjets, des
Eurofighters, für den Einsatz von Atomwaffen umrüsten. Zudem ist im
Gespräch, dass Airbus langfristig einen ganz neuen europäischen Kampfjet
entwickelt – die Bundeswehr könnte darauf drängen, dass auch diese
Flugzeuge B61-Bomben abwerfen können.
Für welche Lösung sich das Verteidigungsministerium auch entscheidet: Bevor
es einen Auftrag erteilt, müsste der Bundestag zustimmen. Für die Grünen
wäre das die Gelegenheit, sich innerhalb einer Jamaika-Koalition
querzustellen.
Wie das geht, zeigte im Sommer die SPD. Im Haushaltsausschuss blockierte
sie den Wunsch des damaligen Koalitionspartners CDU/CSU, bewaffnungsfähige
Drohnen aus Israel zu beschaffen. Die Zukunft des Projekts ist seitdem
offen. Dem Koalitionsfrieden würden die Grünen nicht dienen, wenn sie das
Gleiche mit den Kampfjets und der nuklearen Teilhabe versuchen. Bei ihrer
alten Kernklientel könnten sie dafür punkten.
Die Friedensaktivistin Elke Koller aus der Eifel ist zu rot-grünen Zeiten
aus der Partei ausgetreten, weil ihr die Auslandseinsätze der Bundeswehr
nicht passten. Und wenn die Grünen es jetzt schaffen, für den Abzug der
Atomwaffen zu sorgen? „Das wäre schon eine Motivation für mich, noch mal
über die Mitgliedschaft nachzudenken“, sagt Koller.
12 Nov 2017
## AUTOREN
Tobias Schulze
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Jamaika-Koalition
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