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# taz.de -- Bekämpfung von Feinstaub in Städten: Moos zum Durchatmen
> Der 32-jährige Liang Wu aus Berlin will die Luft in den Städten mit
> Wänden aus Moos reinhalten. Das eckige Gebilde soll so gut helfen wie 275
> Bäume.
Bild: Ohne Moos nix los
Berlin taz | In der Dieselkrise wird erst klar, wie wichtig es ist: Moos.
Seine späte Karriere – die Sporenpflanze hat schon rund 450 Millionen Jahre
Evolution hinter sich, eroberte als erstes Gewächs das Land – hat das Moos
Liang Wu und seinen Kollegen vom Start-up Green City Solutions zu
verdanken. Sie stellen in Reutlingen und in Essen, in Oslo und Hongkong,
neuerdings in vielen Städten Mooswände auf. Vier Meter hohe Gestelle, auf
deren Vorder- und Rückseite der grüne Teppich sprießt. Sie sollen die Luft
im Häusermeer vom Dreck befreien, von Feinstaub und Stickoxiden, die den
Einwohnern zu schaffen machen.
So denkt es sich Wu, 32, Medieninformatiker und einer der Gründer von Green
City Solutions. Ein Treffen. Berlin, Stadtteil Schöneberg, Euref-Campus. Er
gilt als „europaweit einmaliges Zentrum, für innovative Zukunftsprojekte“.
Auf seinem Gelände haben Wu und Kollegen ihre Büros. Eine Etage in einem
Backsteinbau, langer Flur, weiße Möbel, schick. Und eine Werkstatt, eher
Zimmergröße.
Auf dem Campus bekommt nicht jeder einen Mietvertrag, man muss schon was
mit der Energiewende zu tun haben, mit nachhaltigem Wirtschaften oder mit
moderner Mobilität. Aber Moos? Ist das nicht das Gegenteil – ein schnöder
Reparaturversuch, nur eine End-of-Pipe-Technologie wie die Kläranlage oder
der Filter im Schornstein? Elektroautos surren vorbei.
Wu – Bermudashorts, T-Shirt, große schwarze Kopfhörer – kommt zehn Minuten
zu spät. Ein Gespräch mit Mazedonien. Er hat gut zu tun, keine Frage. Ihn
riefen immer mehr Bürgermeister an, selbst Manager von Autokonzernen, die
auf ihrem Firmengelände mehr Grün haben wollten, sagt er.
## Auf dem Moos sitzen Fetthennen
Als Stadt mit der dreckigsten Straße gilt derzeit Stuttgart. Aber dicke
Luft gibt es auch andernorts. Die Nachfrage nach der pflanzlichen
Antidrecklösung ist groß. Vor gut drei Jahren hat sich Wu mit Freunden
zusammengetan, die sich mit nachhaltiger Stadtentwicklung und Urban
Gardening beschäftigen. Sie wollten nicht irgendwas machen, sagt Wu,
sondern etwas tun, „bewirken“.
Damals studierten sie alle noch in Dresden. Heute, gut drei Jahre nachdem
sie ihre eigene Firma gründeten, haben sie 32 Mitarbeiter, haben Finanziers
überzeugt und Preise bekommen. Doch ist das meiste nach wie vor selbst
gemacht. Wu und seine Leute schweißen die Stahlrahmen der Wände zusammen
und setzen Moos in jedes der gut 1.600 Kästchen. Auf dem Moos sitzen
wiederum Pflänzchen mit dickfleischigen Blättern namens Fetthenne. Das Moos
holen Wu und seine Kollegen von Farmen etwa an der deutsch-polnischen
Grenze, sie mieten Laster, um ihre Erfindung durch die Republik zu karren.
„Doch, doch“, sagt Wu, freundlich, ein wenig schüchtern vielleicht, „wir
sind Teil nachhaltiger Mobilität, machen eine Technik mit Perspektive.“
Denn die Luft werde selbst dann staubig bleiben, wenn nur noch mit Ökostrom
getankte E-Autos auf den Straßen fahren. „Feinstaub kommt nicht nur aus dem
Dieselauspuff, er wird zu großen Teilen vom Abrieb der Reifen und Bremsen
verursacht“, sagt Wu. Und die Moose ernährten sich von der dreckigen Luft,
sie filtern Feinstaub, aber auch CO2 und Stickoxide.
Ein paar Schritte vor Wus Büro, mitten auf dem Campus, haben sie eine der
grünen, 60 Zentimeter dicken Wände aufgebaut, die sie „City Tree“ nennen
und die zwischen zwei Holzbänke geklemmt ist. „Eigentlich sitzt man
inmitten von 275 Stadtbäumen“, sagt Wu. „Moose binden wegen ihrer
unzähligen Verästelungen mehr Partikel als Bäume.“
## 116 Mooswände für Berlin
Das haben sie sich nicht allein ausgedacht, sondern mit drei Universitäten
zusammen erarbeitet. Welches Moos genau sie nehmen, ist ein
Betriebsgeheimnis. Jedenfalls gehöre es eigentlich nicht in die Stadt,
meint Wu: „Es würde dort sterben.“ Zu trocken. Zu heiß. Doch in der Wand
wird es gehegt und gepflegt.
Im Inneren steckt ein Haufen Technologie. Sensoren messen die
Sonneneinstrahlung, steuern die Bewässerung etwa über einen
1.000-Liter-Regentank, zeichnen Schadstoffwerte auf. Der Strom dafür kommt
von den Solarzellen auf dem Dach. Wer will, kann Werbung auf der Wand
laufen lassen oder auch einen WLAN-Hotspot anbieten.
Die hippe, schlaue Mooswand wird bislang also vor allem mitten in der
Stadt, in den Szenevierteln aufgestellt? „Ja“, sagt Wu. Aber dreckige Luft
ist in Städten oft ungleich verteilt und an den viel befahrenen
Hauptstraßen, den großen Ein- und Ausfallstraßen besonders schlimm. Dort
leben die Ärmeren der Stadt darum ohne Moos. Wu meint: „Sozial Schwächere
leiden besonders unter Dauerlärm und schlechter Luft, das ist bekannt,
können wir aber nicht lösen, das müssen Politiker machen.“
Die City Trees, die etwa 20 Jahre halten sollen, haben ihren Preis: rund
25.000 Euro. Doch koste ein Baum auch schon etwa 1.000 Euro, meint Wu. Doch
allein im Berliner Stadtbezirk Mitte müssten derzeit 116 Mooswände stehen,
damit die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide eingehalten werden.
4 Nov 2017
## AUTOREN
Hanna Gersmann
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Feinstaub
Städte
Luftverschmutzung
Umweltverschmutzung
Berlin
Schwerpunkt taz Leipzig
Energiepolitik
Diesel
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Handelskammer Hamburg
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