# taz.de -- Interview über einen verbotenen Film: „Das böse Kapital und so�… | |
> Der Regisseur Jan van Hasselt erzählt in der Schwankhalle von dem Film, | |
> den er nicht zeigen darf | |
Bild: Brasilianischer Batman kämpft gegen Olympia | |
taz: Herr Van Hasselt, Sie halten heute einen Vortrag über Ihren | |
Thyssen-Krupp-Dokumentarfilm. Warum zeigen Sie ihn nicht einfach? | |
Jan Van Hasselt: Das darf ich nicht. Als wir den Rohschnitt vor dem | |
Management präsentiert haben, waren wir sicher, wir haben was richtig Gutes | |
gemacht. Zwei Manager haben vor Rührung geheult und waren begeistert, weil | |
jemand Thyssen so zeigt: als einen Laden, wo eben Menschen arbeiten. Zwei | |
Wochen später kam ein Brief aus der Rechtsabteilung, in der lakonisch | |
stand, dass der Film nicht veröffentlicht werden darf. | |
Warum nicht? | |
Es ging um den Bau eines Stahlwerks in Brasilien. Da ist alles | |
schiefgelaufen und dann kam die Stahlkrise … Man hatte wohl Angst, der Film | |
könnte den Börsenkurs negativ beeinflussen. | |
Und das fällt denen nach vier Jahren Dreharbeiten auf? Was war denn | |
abgesprochen? | |
Als mein damaliger Produzent, Michael Wolff, sagte, er habe Thyssen-Krupp | |
einen Dokumentarfilm über dieses Werk angeboten, meinte ich: Du bist | |
bescheuert. Die wollen doch einen Imagefilm und keine Dokumentation. Die | |
werden uns doch nicht nach Brasilien fliegen, um einen guten Film zu | |
machen. | |
Haben sie dann aber. | |
Es ging um die größte Investition, die Thyssen-Krupp jemals unternommen | |
hat. Und wir konnten sie dann überzeugen, dass eine Kinodokumentation mehr | |
Promotionswert hat als ein Werbeclip. Und das haben die geschluckt. Sie | |
waren ja selbst überzeugt von ihrem Projekt. Dann ging alles schief. | |
Das erzählt Ihr Film auch? Vielleicht war er doch zu kritisch? | |
Die wollen das ganze Thema totschweigen. Damals wurde noch ein anderer Film | |
über ein Werk in den USA gedreht. Da lief alles rund – fast langweilig – | |
und die Filmcrew hat das Projekt ziemlich abgefeiert. Der Film darf auch | |
nicht gezeigt werden. | |
Und was ist mit den sozialen und ökologischen Problemen? | |
Die haben Scheiße gebaut, und das weiß auch jeder. Aber ich fand die Medien | |
dann doch tendenziös. Klar: Die machen da Schwerindustrie und keine | |
Bonbonfabrik. Auf dem Gelände hatten Menschen Hütten gebaut, die mussten | |
sie irgendwie runterkriegen. Soweit ich’s mitbekommen habe, war das | |
verhältnismäßig schonend. Gut, später hat ein Miliz-Typ dann richtig auf | |
die Kacke gehauen und Demonstranten bedroht. Aber mir ist es dann doch zu | |
billig, nur diese Sachen rauszukramen – und dann war es wieder der böse | |
Konzern. | |
Mit „Globo“ haben Sie im Anschluss direkt ein zweites Filmprojekt über | |
Wirtschaft in Brasilien versucht. Was haben Sie denn mit der Ökonomie? | |
Das interessiert mich schon. Ich bewege mich ja auch in tendenziell linken | |
Kreisen. Da nervt mich nur dieser Frontenaufbau. Das böse Kapital und so | |
weiter. Das funktioniert für mich einfach nicht so richtig. Ein Freund | |
meinte mal, ich hätte für alle das gleiche Maß an Verachtung und | |
Verständnis. Und daraus ließe sich keine politische Haltung entwickeln. | |
Aber das muss schon derjenige entscheiden, der sich den Film ansieht. Ich | |
will keine Pamphlete schreiben. | |
Trotzdem haben Sie dann Olympia-Proteste und plattgemachte Favelas gefilmt. | |
In Rio protestierte alles wegen Olympia und der WM. Heute muss man sagen: | |
Das war Pop. Losgetreten hat das die weiße, bürgerliche Mittelschicht. Also | |
Leute, die den Protest irgendwie fancy fanden. Jetzt sitzen die zu Hause | |
und gucken Netflix. Die Favelas haben die Drogenbosse zurückerobert und die | |
Leute, die es wirklich betrifft, die demonstrieren auch heute nicht. | |
Geht es im Vortrag dann auch um das Brasilien von heute? | |
Der Vortrag verändert sich ständig, ja. Es geht mir um die Ökonomie der | |
Bilder, um diese Symbole, die damals entwickelt wurden: Brasilien als ein | |
Land auf dem Weg in die Erste Welt und so weiter. Wir haben die | |
Diskussionen vor Ort aufgegriffen. | |
Was meinen Sie? | |
Es gab da ein berühmtes YouTube-Video von einem Typen im Batman-Kostüm. Ein | |
völlig verrücktes Bild: Da steht Batman und wird von einem alten Sack | |
angebrüllt, er wäre nur ein Symbol für den amerikanischen Kapitalismus. | |
Drumherum Kameraleute, die sie anfeuern. Auf der Suche nach ihm bin ich | |
dann auf einen zweiten, den „armen Batman“ gestoßen. Der hatte sein Kostüm | |
aus Müll zusammengebaut. Ich habe die beiden zusammengebracht und wollte | |
durch eine leergeräumte Favela laufen. | |
Um sie über Symbolpolitik streiten zu lassen? | |
Nicht streiten. Ich dachte eher so an lyrische Lamenti à la Silver Surfer. | |
Aber wir haben uns verlaufen, kamen irgendwann aus einem Feld und standen | |
vor einem verfallenen Wettkampfschwimmbad. Das war 2007 für die | |
panamerikanischen Spiele gebaut worden – auch so ein Symbol, das sonstwie | |
nachhaltig geplant war und heute eine Ruine ist. Und da stehe ich dann so | |
und gucke mit zwei Irren in die Zukunft. Aus diesem kurzen Video lässt sich | |
eigentlich die ganze Geschichte entfalten. | |
Brasilien in der Schwankhalle: Silke Huysmans und Hannes Dereere, „Mining | |
Stories“, 19:30 Uhr, sowie im Anschluss Jan van Hasselt, „Globo“, 21 Uhr. | |
8 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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