Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fremdsprachen in Kuba: Englischunterricht als Luxus
> Per Video lernen kubanische Kinder in der Schule Englisch. Lehrer*innen
> für das Fach fehlen – weil sie vom staatlichen Gehalt nicht leben können.
Bild: Auch Hurrikan „Irma“ hat das kubanische Bildungssystem schwer getroff…
Havanna taz | Manolito Alvarado lenkt den weißen Lada geschickt durch den
Verkehr im Zentrum Havannas. Es ist der letzte Ferientag, der August geht
zu Ende und so kutschiert er seine Tochter, eine ihrer Freundinnen und
seine Mutter zu einer Führung durch das Nationaltheater Alicia Alonso. Die
beiden zwölfjährigen Mädchen amüsieren sich im Fond des Autos über die
Frage, ob sie denn diesmal endlich eine echte Englischlehrerin bekommen
werden oder ob es erneut auf Videounterricht hinausläuft.
Ein Thema, was dem 42-jährigen Familienvater am Steuer so gar nicht
schmeckt: „Seit zwei Jahren findet der Unterricht quasi virtuell statt. Die
Kinder müssen mit einem Video vorliebnehmen, denn es gibt kein Personal. So
hängt die Klasse weit hinterher und am Ende dieses Schuljahrs stehen
Prüfungen an“, erklärt er sichtlich genervt.
Manolito Alvarado will, dass seine Tochter Carla eine vernünftige
Ausbildung in Kuba erhält, doch mit dem Unterricht ist er derzeit alles
andere als zufrieden. „Lehrer verdienen kaum mehr als 650 Pesos
(umgerechnet 27 US-Dollar) und sie haben keine Chance, nach Feierabend noch
woanders etwas dazuzuverdienen. Deshalb suchen sie sich Alternativen“,
erklärt er die Situation der Lehrer*innen mit ihren langen, schlecht
bezahlten Arbeitstagen.
Verantwortlich dafür ist Kubas doppeltes Währungssystem: Dem schwachen Peso
nacional (CUP), in dem alle staatlich angestellten Kubaner, also auch die
Lehrer*innen, bezahlt werden, steht mit dem Peso convertible (CUC) eine an
den US-Dollar gekoppelte starke Währung gegenüber. Ein CUC ist satte 24 CUP
wert, doch viele Produkte des täglichen Bedarfs wie Speiseöl (2,40 CUC)
sind oft nur in harter Währung zu haben, sodass der Lohn einer Lehrer*in
hinten und vorne nicht ausreicht.
## Drei CUC pro Stunde
Die Situation kennt Manolito Alvarado nur zu gut, denn der Ingenieur
arbeitet a lo cubano: auf der einen Seite für den Staat, aber nebenbei auf
eigene Rechnung. Er nutzt seinen Lada als Taxi, hilft in der Nachbarschaft
beim Konfigurieren von Telefonen oder Fernsehern, und da er einen eigenen
Internetanschluss im Haus hat, kann er hin und wieder auch eine
Internetrecherche gegen CUC machen. Dazu muss man wissen, dass der Zugang
zum Internet in Kuba mit drei CUC pro Stunde teuer ist und Privatanschlüsse
die Ausnahme sind.
Manolito Alvarado hat seinen Webzugang seiner Mutter, einer Russin, zu
verdanken, denn Ausländer*innen haben in Kuba ein paar Privilegien. So
kommt der findige Ingenieur in Kuba über die Runden. In seiner
Nachbarschaft hat er schon eine Englischlehrerin für seine Tochter
ausfindig gemacht, die sie ganz allein unterrichten soll. „Sprachen sind
entscheidend für Claras Zukunft und wer weiß, ob sie in Kuba stattfindet“,
sagt er mit einem Schulterzucken.
Ähnlich pragmatisch kümmert sich Iván García um die Zukunft seiner
vierzehnjährigen Tochter. Die weiß jetzt schon genau, dass sie nach der
Schule Havanna den Rücken kehren und sich für ein Stipendium an einer
US-Universität bewerben wird. Zu schlecht sind die Perspektiven in Kuba für
die jüngere Generation, weshalb bis 2015 jährlich um die 50.000
Kubaner*innen auswanderten. 20.000 von ihnen wanderten legal mit einem
offiziellen Visum aus. Diesen Weg hat auch die Tochter von Iván García im
Sinn.
## Ökonomische Krise trifft Schulen
Folgerichtig hat er eine Englischlehrerin engagiert und zusätzlich eine
repasadora, eine Nachhilfelehrerin. Die geht mit ihr den Schulstoff am
Nachmittag noch einmal durch und gleicht aus, was dort zu kurz kommt. „Die
latente ökonomische Krise hat nicht vor den Schulen haltgemacht. Gute
Lehrer sind selten geworden, das Niveau sinkt und das manifestiert sich
auch im Absacken der Universität Havanna im lateinamerikanischen Ranking“,
sagt García. Auf Rang 59 befand sie sich im letzten Jahr – weit hinter der
Konkurrenz in Brasilien, Chile, Kolumbien oder Mexiko.
Auch Havannas Informatikuniversität, die UCI, tut sich schwer, den
internationalen Anschluss zu finden. Obgleich dort recht strikt darauf
geachtet wird, dass der Englischunterricht auch stattfindet, so der
ehemalige Englischlehrer Abdel Eduardo Martínez. Sieben Jahre lang hat er
an der UCI unterrichtet und das gern. Doch schließlich hat er das Handtuch
geworfen. „Selbst von dem Gehalt an der UCI, die schon besser zahlt, konnte
ich schlicht nicht leben“, erklärt der 39-Jährige. In Cárdenas heuerte er
als Sekretär und Koordinator bei einer kirchlichen Einrichtung an, die
einen Teil des Gehalts in CUC, der kubanischen Hartwährung, auszahlt. „So
komme ich über die Runden. Zwischenzeitlich habe ich wie viele andere
Kollegen auch Erfahrungen als Reiseleiter gesammelt und so mein Geld
verdient“, erklärt der Vater einer kleinen Tochter.
Typisch in Kuba, wo Ingenieur*innen, Architekt*innen, aber auch
Anwält*innen und Fachärzt*innen sich im Tourismus tummeln, weil dort besser
gezahlt wird als in den meisten Sektoren der kubanischen Wirtschaft. „Ein
vernünftiges T-Shirt kostet in Kuba rund zehn CUC. Das ist nur bezahlbar,
wenn man auch CUC verdient“, erklärt Martínez. Den Job aus Reiseleiter hat
er wegen der Geburt seiner Tochter gegen den im Kirchenbüro getauscht, aber
die Kontakte gehalten, weil ihm die Arbeit durchaus Spaß gemacht hat.
Das gilt für viele Lehrer*innen von Fremdsprachen, die in den Tourismus
gewechselt sind. Der Bedarf ist groß, denn die Zahl der Tourist*innen aus
den USA steigt stetig, seitdem Barack Obama mit seinem Kubabesuch im März
2016 für das vermeintliche Ende des kalten Krieges zwischen Washington und
Havanna gesorgt hat. Erste Investitionen auf der Insel wurden per
Ausnahmeregelung gestattet, auch der Postverkehr zwischen Havanna und den
USA wurde wieder aufgenommen und der Tourismus kam ausgesprochen schnell in
Schwung.
## Eine reale Lehrerin
Kubanischen Quellen zufolge haben im letzten Jahr 284.937 US-Bürger*innen
sowie 329.000 Exilkubaner*innen die Insel besucht. Doch das Potenzial ist
ungleich größer: Bis zu der vom Außenministerium Anfang Oktober
ausgesprochenen Reisewarnung für Kuba wegen der obskuren Schallattacken auf
US-Diplomaten rechneten Veranstalter mit einem Anstieg auf zwei und mehr
Millionen US-Besucher*innen binnen weniger Jahre. Smarte, englischsprachige
Lehrer*innen ergreifen die lukrativen Jobs im Tourismus, der Gastronomie
oder in Botschaften.
Doch das wirkt sich negativ an den Schulen der Insel aus – wie das Beispiel
von Carla zeigt. Die hat mit Beginn des neuen Schuljahrs Anfang September
nun eine private Englischlehrerin. Der Frau, die ein paar Jahre in London
lebte, zahlt ihr Vater, Manolito Alvarado, fünf CUC im Monat, um seiner
Tochter beizubringen, wie die Worte betont werden, die sie bisher vor allem
aus dem Videounterricht kennt. Aber auch das hat sich mit dem
Unterrichtsbeginn Anfang September geändert. Zum ersten Mal nach zwei
Jahren Englischunterricht steht eine reale Lehrerin vor dem Pult. Ein
Fortschritt, worüber sich die wissbegierige Carla freut.
Kein Einzelfall in Kuba, so der Sozialwissenschaftler Omar Everleny Pérez:
„Es gibt immer mehr kubanische Eltern, die in die Zukunft ihrer Kinder
investieren. Englisch ist dabei ein zentrales Fach. Allerdings gibt es auch
ein paar selbstständige Unternehmer, die ihre Kinder zum Studium ins
Ausland schicken. In Kuba gibt es mittlerweile eine kleine Mittelschicht“,
so der Wissenschaftler, der gerade von einem Studienaufenthalt an der
Harvard University zurückkam. Dabei ist er bei der Zwischenlandung in Miami
mit einem findigen Unternehmer aus Kuba ins Gespräch gekommen, der eine
moderne Sprachschule in Havanna aufgebaut hat. „Allerdings ist dessen
Lizenz für deren Betrieb gerade aufgehoben worden. Anscheinend will die
Regierung der Abwanderung der Lehrer nicht tatenlos zusehen“, so Pérez.
In diese Richtung weist auch die im Juli angekündigte Reformierung der
Lizenzvergabe für „Arbeit auf eigene Rechnung“. Für Lehrer und für
Sprachschulen sollen, so Havannas Gerüchteküche, die Hürden angehoben
werden, um sich selbstständig zu machen. Ob parallel dazu auch die Gehälter
angehoben werden sollen, darüber gibt die Gerüchteküche jedoch keine
Auskunft.
4 Nov 2017
## AUTOREN
Julio Abreu Valvidia
## TAGS
Kuba
englisch
Schule
Unterricht
Kuba
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Zeitschriften
Fußball
## ARTIKEL ZUM THEMA
Unter Leuten: Exilkubaner in Brooklyn
Roberto Poveda verließ Kuba. Das politische Tauwetter zwischen den USA und
Kuba ließ ihn hoffen – aber Kuba ändert sich kaum.
Interview über einen verbotenen Film: „Das böse Kapital und so“
Der Regisseur Jan van Hasselt erzählt in der Schwankhalle von dem Film, den
er nicht zeigen darf
Zeitschriftenmarkt in Kuba: Lifestyle statt Politik
Neu gegründete Magazine versuchen, das Angebot in Kuba diverser zu
gestalten. Doch ihr Vertrieb liegt in einer rechtlichen Grauzone.
Lieblingssport in Kuba: Fußball ist das neue Baseball
Immer mehr Kubaner wenden sich von ihrer Lieblingssportart Baseball ab. Der
Fußball gewinnt dagegen an Beliebtheit.
Nach Angriffen auf US-Bürger in Kuba: Kubanische Diplomaten ausgewiesen
Die US-Regierung hat Mitarbeiter der kubanischen Botschaft des Landes
verwiesen. Grund sind mysteriöse Erkrankungen amerikanischer Diplomaten auf
Kuba.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.