| # taz.de -- Große Koalition in Niedersachsen: Ein Herz und eine Seele | |
| > Nach dem verbitterten Wahlkampf verhandeln SPD und CDU in Niedersachsen | |
| > über eine gemeinsame Regierung. Eine Vertrauensbasis ist gelegt. | |
| Bild: Verstehen sich ganz gut: Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Bernd … | |
| Hannover taz | Das Regierungsprogramm der SPD beginnt mit einem Satz, der | |
| in etwa erahnen lässt, was für eine fette Kröte die Partei schlucken muss, | |
| wenn sie in Niedersachsen an der Macht bleiben will: „Die SPD hat Wort | |
| gehalten. Sie hat einen Schlussstrich unter die dunklen Jahre der | |
| CDU-FDP-Regierung gezogen“, ist dort zu lesen. Nun stehen die beiden großen | |
| Parteien selbst vor einer Koalition. | |
| Alle anderen rechnerisch möglichen Bündnisse sind gescheitert – die Ampel | |
| an der FDP und Jamaika an den Grünen. Ministerpräsident Stephan Weil war | |
| beim Pressetermin nach dem zweiten Sondierungsgespräch mit der CDU | |
| anzusehen, dass er darüber nicht glücklich ist – obwohl hinter | |
| verschlossenen Türen immer wieder laut gelacht worden sein soll. | |
| Weil sprach von Pragmatismus. „Wir sind uns dabei seitens der SPD bewusst, | |
| dass die Zusammenarbeit mit der CDU unter den gegebenen Umständen die | |
| einzige Option ist, zu einer stabilen, handlungsfähigen Landesregierung zu | |
| gelangen“, sagte der SPD-Chef. Es gebe bei allen landespolitischen Themen | |
| noch „sehr viel Diskussionsbedarf“, aber es gebe eine „hinreichend breite | |
| Basis“, um in Koalitionsverhandlungen zu gehen. | |
| Beim CDU-Landesvorsitzenden Bernd Althusmann klang die Zusammenfassung des | |
| zweiten Gesprächs zwischen den Parteien deutlich beschwingter: „Die Zahl | |
| der Schnittmengen und Gemeinsamkeiten“ sei „sehr groß“. Und fast noch | |
| wichtiger: „Das heutige Gespräch hat in einer sehr guten, vertrauensvollen | |
| Atmosphäre stattgefunden“, so Althusmann. | |
| Insbesondere die SPD hatte vor der Wahl die großen menschlichen Differenzen | |
| und das belastete Verhältnis betont. Noch im November, aber wahrscheinlich | |
| erst nach der konstituierenden Sitzung des Landtags am 14. November, soll | |
| die Koalition stehen. Es werde „sehr schnell, schon in dieser Woche“ die | |
| ersten Gespräche auf Fachebene geben, kündigte Weil an. | |
| ## Diskussionsbedarf bei der Asylpolitik | |
| Dabei gibt es durchaus noch Streitpunkte: Etwa das Thema Inklusion an | |
| Schulen. Der Ex-Kultusminister Althusmann hatte im Wahlkampf vehement eine | |
| einjährige Atempause der Inklusion gefordert. Weil hatte dies mit dem | |
| Argument abgelehnt, dass man Menschenrechte nicht aussetzen könne. | |
| Außerdem will Althusmann auch die Förderschule Lernen, in der Kinder mit | |
| einer sogenannten Lernbehinderung separat unterrichtet werden können, | |
| wieder einführen. Die rot-grüne Vorgängerregierung hatte diesen | |
| Förderschulzweig langsam auslaufen lassen. Die betroffenen Schüler gehen | |
| auf Regelschulen. | |
| Diskussionsbedarf gibt es auch bei der Asylpolitik. Die Sozialdemokraten | |
| schieben bisher nur Menschen, die straffällig geworden sind, nach | |
| Afghanistan ab. Auch eine flächendeckende Wohsitzauflage, die Geflüchteten | |
| vorschreibt, wo sie leben müssen, wollen sie bisher nicht einführen, auch | |
| wenn Weil kürzlich ein Zuzugsverbot für Asylsuchende in die Stadt | |
| Salzgitter ausgesprochen hat. | |
| Die CDU gibt sich da härter: Althusmann hält nicht nur Teile Afghanistans | |
| für sicher, er präferiert auch die Wohnsitzauflage und sogar die | |
| Wiedereinführung des Gutscheinsystems statt der Auszahlung von Bargeld an | |
| Geflüchtete. | |
| Interessant wird zudem, welche der Parteien das Innenministerium bekommt. | |
| Zwar ist dies ein klassisches CDU-Ressort, die SPD wird ihren beliebten | |
| Innenminister Boris Pistorius aber behalten wollen. | |
| ## Vertrauensbasis gelegt | |
| Bisher haben sich Weil und Althusmann nicht zu Personen und Posten | |
| geäußert. Spekuliert wird in Hannover aber viel, etwa dass Althusmann | |
| selbst ein wichtiges Ministeramt anstrebt. Das Innen-, Finanz- oder | |
| Wirtschaftsministerium sind denkbar. Letzteres wäre insbesondere mit Blick | |
| auf Althusmanns Aussagen vor der Wahl interessant. Damals hatte er | |
| Veränderungen bei VW gefordert. | |
| Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent der Anteile an dem Autokonzern und | |
| sitzt mit zwei Vertretern im Aufsichtsrat. Bisher sind das | |
| Ministerpräsident Weil und Noch-Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD). | |
| Althusmann hatte gefordert, den zweiten Posten zukünftig mit einem | |
| unabhängigen Experten zu besetzen. Ob das auch noch gilt, wenn das | |
| Ministerium von der CDU gestellt wird? | |
| Die SPD versprach vor den Neuwahlen, das niedersächsische | |
| Gleichberechtigungsgesetz zu reformieren und künftig 50 Prozent aller | |
| Positionen in der Verwaltung – inklusive die an der Spitze – mit Frauen zu | |
| besetzen. Die quotenscheue CDU hat diese Idee hart kritisiert, weil sie nur | |
| die Frauen in den Blick nehme. Das führe zu „Akzeptanzproblemen bei den | |
| direkt und indirekt davon betroffenen Männern“, sagte damals Petra Joumaah, | |
| frauenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. Koalitionsentscheidend wird | |
| das Thema allerdings nicht sein. | |
| Eine schnellere Einigung werden Althusmann und Weil bei Themen wie dem | |
| Autobahnbau, dem Ausbau der digitalen Infrastruktur oder auch dem Wolf | |
| erzielen. Zwar wollen die Christdemokraten die geschützten Wildtiere ins | |
| Jagdrecht aufnehmen und gehen damit weiter als die SPD. Weil hatte | |
| allerdings vor der Wahl angekündigt, dass zukünftig in Ausnahmefällen auch | |
| ganze „Problemrudel“ entnommen, also erschossen werden könnten, wenn sie | |
| regelmäßig Schutzzäune von Nutztierherden überspringen. Das kommt der CDU | |
| entgegen. | |
| Die Marschroute für die Gespräche gab Althusmann bereits vor: „Eine große | |
| Koalition muss auch etwas Neues sein“, sagte er. „Sie muss für Aufbruch | |
| stehen.“ Die Vertrauensbasis dafür sei gelegt. | |
| 2 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Andrea Scharpen | |
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