# taz.de -- Protest gegen den Frankfurter Flughafen: Aus, Schluss und vorbei | |
> Vor 30 Jahren starben an der Startbahn West zwei Polizisten durch die | |
> Schüsse eines Demonstranten. Das Ende einer Protestbewegung. | |
Bild: Zum Schutz vor Demonstranten: Tor an der Startbahn West am Frankfurter Fl… | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Die Bilder vom 2. November 1987 stammen aus einem | |
Polizeivideo: Gewalttätige Demonstranten, viele vermummt, rennen gegen die | |
Polizei und die Betonmauer an, die das Gelände der umstrittenen Startbahn | |
West des Frankfurter Flughafens sichern. | |
Demonstranten schießen mit Leuchtmunition auf Polizisten. Autoreifen und | |
Strohballen gehen in Flammen auf. Als sich schließlich die Polizei formiert | |
und den Demonstranten mit Wasserwerfern in den Wald nachsetzt, fallen | |
Schüsse. Elf Polizisten werden getroffen, unter ihnen der 43-jährige Klaus | |
Eichhöfer und der 23-jährige Thorsten Schwalm. Die beiden sterben noch in | |
dieser Nacht. Zum ersten Mal sind Polizeibeamte in der Bundesrepublik | |
Deutschland bei einer Demonstration getötet worden. | |
Diese Tat genau vor 30 Jahren markierte einen Wendepunkt. | |
Im Widerstand gegen den Flughafenausbau war zuvor die größte | |
Bürgerinitiative entstanden, die die Bundesrepublik je gesehen hatte. Mit | |
ihren fantasievollen Aktionen prägte die „Koalition der Grau- und | |
Langhaarigen“ ein friedliches Bild des bürgerlichen Protests gegen die | |
Mächtigen, für die Umwelt und gegen das unbegrenzte Wachstum. Sie | |
organisierten „Sonntagsspaziergänge“. Im Mai 1980 zimmerten sie eine erste | |
Hütte in dem Wald, der für die Startbahn abgeholzt werden sollte. | |
Es wurde die „Info-Hütte“ der Bewegung. „Startbahnpfarrer“ Kurt Oeser … | |
zu Gottesdiensten in der Hüttenkirche ein, der Schriftsteller Peter | |
Härtling las in seiner Lesehütte vor. Ältere Frauen aus den | |
Nachbargemeinden kochten eimerweise Suppe. Es wurde diskutiert, informiert, | |
gesungen, getanzt und geschlafen, denn die angekündigte Räumung durch die | |
Polizei sollte unbedingt verhindert werden. | |
## Das endgültige Ende der Protestbewegung | |
Rosemarie Heilig, heute grüne Umweltdezernentin in Frankfurt, studierte | |
damals Biologie: „Wir haben dort eine Hütte gebaut und Exkursionen | |
angeboten über das Ökosystem ,Wald'. Wir haben natürlich auch da draußen | |
übernachtet. Wir sagten, wir lassen uns nicht verjagen. Ich wäre nicht | |
Politikerin, wenn ich diese Aufbruchstimmung nicht erlebt hätte. Wir haben | |
damals wenig studiert, aber trotzdem viel gelernt.“ | |
Als an der Startbahn die Schüsse auf die Polizeibeamten fielen, war das | |
Hüttendorf allerdings längst Geschichte. Die Startbahn war bereits seit | |
1984 in Betrieb, die trotzdem immer noch allwöchentlichen | |
„Sonntagsspaziergänge“ hatten nur noch den Charakter [1][zum Ritual | |
gewordener Scharmützel mit der Polizei]. | |
Die Todesschüsse waren das endgültige Ende der Protestbewegung. Rosemarie | |
Heilig erinnert sich an Zorn und Enttäuschung: „Wir haben geflennt, | |
geheult. Wir wussten, jetzt ist alles kaputt, jetzt ist der Widerstand | |
gebrochen. Das war die schlimmste anzunehmende Katastrophe. Eine furchtbare | |
Niederlage. Das hat uns alle paralysiert, auch die Menschen aus der Region, | |
die Familien und die tollen Küchenbrigaden, die für uns gekocht hatten.“ | |
Unmittelbar nach der Tat wurde der damals 33-jährige Werbegrafiker Andreas | |
E. festgenommen. In dem Rucksack des bereits aktenkundigen militanten | |
Autonomen fand die Polizei die Tatwaffe, eine geraubte Dienstpistole der | |
Marke Sig Sauer, Kaliber 9mm. 1991 verurteilte ihn das Oberlandesgericht | |
Frankfurt aufgrund von Indizien wegen Totschlags, versuchten Totschlags und | |
verschiedener Anschläge zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren. 1997 wurde | |
Andreas E. wieder aus der Haft entlassen. Danach verlieren sich seine | |
Spuren. | |
Gerhard Kastl, heute 86 Jahre alt, war 1987 Einsatzleiter der hessischen | |
Bereitschaftspolizei. Er gerät ins Stocken, als er über die getöteten | |
Kollegen spricht. „Ich hatte in Hanau eine Abteilung übernommen. Klaus | |
Eichhöfer war da Hundertschaftsführer, wir waren direkt befreundet, ich | |
hatte immer ein sehr enges Verhältnis zu meinen Mitarbeitern, und dann, auf | |
einmal, als ich dann in der Direktion war, diese Morde an dem Tag, das hat | |
mich derart schockiert. Und dann der junge Thorsten Schwalm. Das hat | |
wehgetan.“ | |
## „Keine Gewalt!“ | |
Tatsächlich war mit diesem Tag die Bewegung gegen den Flughafenausbau | |
erledigt, ausgerechnet am Jahrestag ihrer ersten großen Niederlage. Am 2. | |
November 1981 nämlich, exakt sechs Jahre zuvor, hatten die im Hüttendorf | |
eingeteilten „Nachtwächter“ den Überraschungsangriff der Polizei verpennt. | |
Die Polizei konnte das Dorf ohne große Gewaltanwendung räumen. Spätestens | |
als wenige Wochen später der Bau der Startbahn begann, zerfiel die | |
Bewegung. Von da an bestimmten die Militanten das Bild, mit | |
Molotowcocktails, Zwillen, Stahlkugeln und Angriffen, mit denen die | |
Betonmauer des Flughafens zerstört werden sollte. | |
Auch vor der Räumung des Hüttendorfs war die Gewaltfrage diskutiert worden, | |
erinnert sich Rosemarie Heilig: „Wir waren viele Frauen, wir haben das | |
geübt: unterhaken, sich wegtragen lassen. ‚Keine Gewalt!‘, das haben wir | |
uns immer zugerufen, auch wenn die Polizei kam. Einmal hatte ich blaue | |
Flecken auf dem Rücken, von dem harten Strahl der Wasserwerfer. Ich hatte | |
Angst. Ohne den Zusammenhalt hätte ich das nicht so oft mitgemacht. Die | |
große Mehrheit war immer gegen Gewalt. Da haben Tausende selbst bei | |
klirrender Kälte mit freiem Oberkörper demonstriert.“ | |
Die Gegenseite erlebte das anders. Die Bilder vom angeblich friedlichen | |
Protest hätten ein Trugbild gezeichnet, sagt Einsatzleiter Kastl: „Unsere | |
Beamten hat das fürchterlich belastet. Ich war oft draußen, wenn es sich | |
zugespitzt hat. Und ganz am Anfang die Presse. Die Fotografen standen immer | |
auf der anderen Seite und haben die Polizei fotografiert. Ich habe dann | |
gesagt. Das machen wir anders, wir laden sie ein, damit sie mal von der | |
anderen Seite die Aggressiven auf der anderen Seite fotografieren. | |
Allerdings hat das dazu geführt, dass die verbohrten Demonstranten noch | |
aggressiver wurden, weil sie die Presse teilweise nicht mehr auf ihrer | |
Seite wussten.“ | |
Kastl macht auch die Köpfe an der Spitze der Bewegung für die Eskalation | |
verantwortlich, sie hätten sich seiner Meinung nach nicht deutlich genug | |
von den Gewaltbereiten losgesagt. Ebenso kritisiert er die politisch | |
Verantwortlichen: „Ich glaube, dass unsere Regelgeber zu spät reagieren. | |
Wenn man mit politischen Entscheidungen nicht zufrieden ist, lässt man’s an | |
den Sicherheitskräften aus, an der Polizei, den Feuerwehrleuten, den | |
Sanitätern“, so Kastl zur taz. Dass Andreas E. nicht wegen Mordes, sondern | |
wegen Totschlags verurteilt wurde, findet er bis heute falsch. | |
## Neue Landebahn Nord-West in den 1990ern | |
Was bleibt? Die Startbahnbewegung hat die politische Landschaft verändert. | |
Aus ihr entstand 1978 zunächst die Grüne Liste Hessen, aus ihr wurden ein | |
Jahr später die hessischen Grünen, die 1985 mit Turnschuhminister Joschka | |
Fischer zur Regierungspartei aufstiegen. Im rot-grünen Koalitionsvertrag | |
wurde damals feierlich versprochen, dass es nach dem Bau der Startbahn West | |
keine Erweiterung des Flughafens mehr geben sollte. | |
Es kam anders. Ausgerechnet eine rot-grüne Landesregierung brachte in den | |
1990er Jahren den Bau der neuen Landebahn Nordwest auf den Weg, begleitet | |
von einem Mediationsverfahren. Das bescherte der Region immerhin ein | |
Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr. Dass die Regierenden das Versprechens | |
gebrochen haben, das Wachstum des Flughafens zu begrenzen, kommentiert | |
Polizeiveteran Kastl mit einem bemerkenswerten Satz: „Wenn man das Recht | |
macht, kann man es auch überschreiten.“ | |
Und Rosemarie Heilig, die 2012 als Kandidatin der Grünen für das Amt der | |
Oberbürgermeisterin die Schließung dieser Landebahn gefordert hat, sagt | |
selbstkritisch: „Ich empfinde das immer wieder als Niederlage. Ich fand die | |
Erweiterung des Flughafens damals falsch und finde das auch jetzt falsch. | |
Wir haben eine total verlärmte Region, Menschen leiden körperlich und | |
seelisch, das sage ich, auch wenn ich in einer Koalition manchmal | |
Entscheidungen mittragen muss.“ | |
2 Nov 2017 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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