| # taz.de -- Prozess gegen ehemalige RZ-Mitglieder: Bomben aus der Bewegung | |
| > Die Revolutionären Zellen spielten in den 70er und 80er Jahren eine | |
| > bedeutende Rolle. Sie waren der bewaffnete Arm sozialer Proteste. | |
| Bild: Opec-Konferenz, Wien 1975: Beim Überfall starben drei Menschen. | |
| BERLIN taz | „Was wir wollen, ist die Gegenmacht in kleinen Kernen | |
| organisieren, die autonom in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen | |
| arbeiten, kämpfen, intervenieren, schützen, die Teil der politischen | |
| Massenarbeit sind.“ So formulierten die Revolutionären Zellen (RZ) Anfang | |
| der 70er Jahre ihr Konzept eines kleinteiligen bewaffneten Kampfes in der | |
| Bundesrepublik und Westberlin. | |
| Dahinter steckte die Hoffnung, mit dem Aufbau einer sozialrevolutionären | |
| Gegengesellschaft die kapitalistische Macht langfristig unterminieren zu | |
| können. Da die RZ-Mitglieder möglichst ein legales Leben beibehielten, | |
| spricht die Polizei von einer „Feierabendguerilla“. | |
| Im Verlauf ihrer vielfältigen Geschichte übernehmen die RZ und die | |
| eigenständig operierende feministische Rote Zora laut der | |
| Bundesanwaltschaft die Verantwortung für 186 zum allergrößten Teil | |
| unaufgeklärte Brand- und Sprengstoffanschläge auf Behörden, Firmen und | |
| Militäreinrichtungen. | |
| Aber auch das hunderttausendfache Fälschen von Fahrscheinen und deren | |
| Verteilung in „proletarischen Vierteln“ gehört zu ihren Aktionen. Besonders | |
| im Rhein-Main-Gebiet erlangen die RZ zu Beginn der 80er Jahre als einer | |
| unter mehreren politischen Akteuren im Kampf gegen die Startbahn West mit | |
| vielen auch fantasievollen Aktionen eine gewisse Bedeutung. | |
| ## Knieschussattentate une internationale Aktionen | |
| Auch bekennen sich die RZ zu zwei Knieschussattentaten auf Harald | |
| Hollenberg, den damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörden, und den | |
| Asylrichter Günter Korbmacher. | |
| Doch seit Gründung der RZ beteiligen sich immer wieder einzelne Mitglieder | |
| an internationalen Aktionen, bei denen es Tote auf beiden Seiten gibt. | |
| Hintergrund ist die enge Zusammenarbeit mit palästinensischen | |
| Organisationen, für die je nach Sichtweise „Auftragsarbeiten“ oder | |
| „internationale Solidaritätsaktionen“ durchgeführt werden. | |
| Im Juni 1976 kommen Brigitte Kuhlmann und Winfried Böse, zwei der | |
| Gründungsmitglieder der RZ, bei ihrer Beteiligung an einer | |
| Flugzeugentführung nach Entebbe ums Leben. Dass die „antizionistisch“ | |
| gemeinte Aktion einen sehr wohl antisemitischen Charakter bekommen hatte, | |
| war für Hans-Joachim Klein der Grund für seinen Ausstieg und Flucht vor | |
| Polizei und Exgenossen nach Frankreich. | |
| Wegen dieses Desasters beenden die RZ Ende der 70er Jahre ihr | |
| außenpolitisches Engagement und konzentrierten sich auf die sozialen | |
| Auseinandersetzungen in der BRD. Gleichzeitig schließen sich einzelne | |
| Mitglieder der Carlos-Gruppe an. | |
| ## Der „Verräter“ wird erschossen | |
| Andere Mitglieder der RZ, wie Gerd Albartus, halten den Kontakt zu beiden | |
| Gruppierungen. Albartus wird 1987 von der Carlos-Gruppe in Beirut als | |
| „Verräter“ erschossen. | |
| Der Tod von Albartus und die neue politische Lage nach dem Mauerfall führen | |
| zu einer tiefen Selbstreflexion, die letztlich Anfang der 90er Jahre zur | |
| faktischen Auflösung der sozialrevolutionären Guerilla führt. | |
| Den Ermittlungsbehörden gelangen während der aktiven Zeit der RZ wenige | |
| Verhaftungen. Doch als 1978 dem RZler Hermann Feiling eine für das Konsulat | |
| der argentinischen Diktatur bestimmte Bombe auf dem Schoß explodiert, wird | |
| er schwer verletzt von Fahndern vernommen. Sonja Suder, Christian Gauger | |
| und die beiden RZler Sabine Eckle und Rudolf Schindler geraten ins Visier | |
| der Polizei und flüchten ins Ausland. Eckle und Schindler kehren 1991 | |
| zurück, alle damals bekannten Vorwürfe waren da verjährt. | |
| Auch 1987 gelang es mehreren Personen, sich dem Zugriff der Polizei zu | |
| entziehen. Erst als Hans-Joachim Klein Ende der 90er Jahre in Frankreich | |
| festgenommen wurde und in Berlin Tarek Mousli sich dem BKA als Kronzeuge | |
| zur Verfügung stellte, konnten einige Aktionen der RZ vor Gericht gebracht | |
| werden. Dort spielte die Sachaufklärung keine große Rolle, beide Seiten | |
| spielten mit verdeckten Karten. Allerdings fielen die Urteile relativ milde | |
| aus. | |
| ## „Keine Aussagen bei Polizei und Justiz“ | |
| Gleichzeitig zeigte sich die Bundesanwaltschaft (BAW) gesprächsbereit, | |
| falls als Mitglieder der RZ Gesuchte sich wieder legalisieren wollten. | |
| Gegen eine selbstbelastende „Übernahme der Verantwortung“ setzte sich die | |
| BAW vor Gericht für eine Aussetzung des Haftbefehls und für eine Strafe am | |
| untersten Rand des juristisch Möglichen, nämlich zwei Jahre auf Bewährung, | |
| ein. So kamen Thomas Kram und Adrienne Gerhäuser, die 19 Jahre in der | |
| Illegalität lebten, schon nach drei Stunden bei der BAW wieder frei. Auch | |
| weitere Mitglieder der RZ kehrten auf diese Weise nach Deutschland zurück. | |
| Doch diesem „Deal“ verweigern sich Suder und Gauger in dem Frankfurter | |
| Verfahren und beharren darauf, „keine Aussagen bei Polizei und Justiz“ zu | |
| machen. In so einem Fall holt die Frankfurter Staatsanwaltschaft dann eben | |
| die alten Instrumente aus den 70er und 80er Jahren wieder hervor. | |
| 21 Sep 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Villinger | |
| ## TAGS | |
| Frankfurter Flughafen | |
| 68er | |
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