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# taz.de -- „Revolutionäre Zellen“ vor Gericht: Prozess nach 37 Jahren
> Bei einem Überfall auf die Opec-Konferenz 1975 starben drei Menschen.
> Jetzt stehen Sonja Suder und Christian Gauger deswegen in Frankfurt vor
> Gericht.
Bild: Geiseln und Terroristen steigen nach dem Überfall auf die Opec-Konferenz…
FRANKFURT taz | Am Frankfurter Landgericht beginnt am Freitag der wohl
letzte Prozess wegen des Überfalls auf die Opec-Konferenz in Wien im
Dezember 1975. Angeklagt sind mit Sonja Suder, 79, und Christian Gauger,
70, zwei einstige Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ).
Suder soll Waffen und Sprengstoff für den Anschlag von ihrer Heimatstadt
Frankfurt am Main nach Wien transportiert und sich damit der Beihilfe zum
Mord schuldig gemacht haben. Vorgeworfen wird ihnen überdies die
Beteiligung an drei weiteren Anschlägen – darunter eine verheerende
Brandstiftung im Heidelberger Schloss, mit der 1978 gegen etwas
demonstriert werden sollte, was man heute „Gentrifizierung“ nennt. Weitere
Ziele der Angeklagten waren Firmen, die wesentliches Zubehör für
südafrikanische Kernkraftwerke herstellten.
Im Dezember 1975 hatten Terroristen unter Führung des Venezolaners Ilich
Ramirez Sanchez alias „Carlos“ das Hauptquartier der Organisation
erdölexportierender Länder (Opec) in Wien überfallen und insgesamt 62
Geiseln – darunter elf Minister – in ihre Gewalt bringen können. Dem
sechsköpfigen Kommando, das sich „Arm der arabischen Revolution“ nannte,
gehörten neben Carlos und drei Palästinensern auch die deutschen
Terroristen Hans-Joachim Klein und Gabriele Kröcher-Tiedemann an.
Ein österreichischer Polizist, ein irakischer Sicherheitsmann und der
libysche Delegierte wurden erschossen, Klein wurde durch einen Bauchschuss
verletzt. Am Vormittag des folgenden Tages flogen die durch Amphetamine
aufgeputschten Terroristen mit 33 verbliebenen Geiseln vom Wiener Flughafen
ab und landeten schließlich in Algier. Dort ließen sie die Geiseln frei,
die Täter konnten unbehelligt nach Libyen ausreisen. Als Drahtzieher des
Anschlags wird Muammar al-Gaddafi vermutet.
## Klein belastet Suder
Hans-Joachim Klein brach nach dieser Aktion mit dem Terrorismus und tauchte
in Frankreich unter. Dort wurde er 1998. festgenommen. Bei seiner
Vernehmung belastete Klein, der von der Kronzeugenregelung profitierte, die
1978 gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Gauger ebenfalls in Frankreich
untergetauchte Sonja Suder schwer. Sie sei es gewesen, die ihn für den
Opec-Überfall angeworben habe, und sie habe auch Sprengstoff und Waffen mit
dem Auto nach Wien gebracht.
Auf die Aussage des Kronzeugen stützt sich nun auch die Anklage gegen Suder
und Gauger – obschon bereits 2000 ein ähnlicher Prozess gegen den
Revolutionäre-Zellen-Aktivisten Rudolf Schindler mit einem Freispruch für
den Angeklagten endete: Die Erinnerungen des Kronzeugen Klein waren zu
lückenhaft.
2000 wurden auch Suder und Gauger erstmals von der französischen Polizei
festgenommen. Sie hatten 22 Jahre unter falscher Identität in der Nähe von
Lille gelebt. Grundlage für diese erste Festnahme war ein internationaler
Haftbefehl, doch schon nach drei Monaten wurden die beiden Verdächtigen
wieder aus der Untersuchungshaft entlassen – nach französischem Recht waren
ihre Taten verjährt.
## Köhler unterschrieb den neuen Haftbefehl
Suder und Gauger lebten fortan unter ihren echten Namen in Paris, bis sie
2007 erneut festgenommen wurden. Diesmal hatte die Bundesanwaltschaft einen
europäischen Haftbefehl beantragt, der in Deutschland lange als
verfassungswidrig galt und erst 2006 mit der Unterschrift von
Bundespräsident Horst Köhler rechtskräftig wurde.
Der europäische Haftbefehl erleichtert die Durchsetzung nationaler
Haftbefehle innerhalb der EU, weil das um Auslieferung ersuchte Land seine
Rechtmäßigkeit prinzipiell nicht mehr überprüfen darf.
Die Gesuchten gingen vergeblich dagegen vor. Im September 2011 wurden sie
an Deutschland ausgeliefert und sitzen seitdem in Untersuchungshaft.
Während Gauger aus gesundheitlichen Gründen – er kann sich seit einem
Herzstillstand 1997 nicht mehr an seine Vergangenheit erinnern – bald auf
freien Fuß gesetzt wurde, will das Gericht bei Suder gerade wegen ihres
fortgeschrittenen Alters einen „besonders hohen Fluchtanreiz“ erkannt
haben. Weil die 79-Jährige damit rechnen müsse, den Rest ihres Lebens im
Gefängnis zu verbringen, sitzt sie seit fast einem Jahr in Haft.
21 Sep 2012
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
68er
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