# taz.de -- Frankfurts linke Vergangenheit: Den Klassenfeind vor Augen | |
> Paulskirchenversammlung, Kritische Theorie und Hausbesetzer: Frankfurt | |
> blickt auf eine stolze linke Vergangenheit zurück. Nun also „Blockupy“. | |
Bild: „Blockupy“ 2012: In Frankfurt mischen sich seit jeher die Generatione… | |
Warum eigentlich am Main? Warum finden die Proteste gegen die herrschenden | |
Verhältnisse in Frankfurt statt? Warum nicht in Berlin, wo die Politik | |
vorgegeben, oder in Brüssel, wo sie abgenickt wird? Es geht, so das Motto | |
des Protestbündnisses „[1][Blockupy]“, um „Widerstand im Herzen des | |
europäischen Krisenregimes“. | |
Der Ort ist also symbolisch gewählt, wie Frankfurt als Standort einer | |
Europäischen Zentralbank symbolisch gewählt war, in deren Schatten nun die | |
Demonstrierenden ihre Zelte aufschlagen. Symbolisch ist auch der Grund und | |
Boden des „Blockupy“-Aktionscamps: das Rebstockgelände gehört der Stadt, | |
sie stellt den Aktivisten damit einen Flecken öffentlichen Raums zur | |
Verfügung. | |
Schließlich fühle sich Frankfurt, wie Oberbürgermeister Peter Feldmann | |
(SPD) zu betonen nicht müde wird, seiner „langen linksliberalen Geschichte“ | |
verpflichtet. Irgendwie. Tatsächlich ist Frankfurt sogar die einzige | |
westdeutsche Großstadt, die auf eine lange linke Geschichte zurückblickt. | |
Wer will, kann auf das nach der Märzrevolution von 1848 in der Paulskirche | |
tagende Parlament verweisen und behaupten: Hier stand die Wiege der | |
deutschen Demokratie. Neben Berlin war Frankfurt vor allem aber eines der | |
Epizentren der gesellschaftlichen Beben der sechziger Jahre. Hier gab es | |
den Nährboden, den politische Bewegungen brauchen. | |
## Porletarisch und bürgerlich geprägte Stadt | |
Als Gemeinwesen war die Stadt sowohl proletarisch als auch bürgerlich | |
geprägt, vor dem Krieg wurde sie wegen der großen jüdischen Gemeinschaft | |
auch diffamierend „Jerusalem am Main“ genannt. Hier war es, wo auch die | |
Idee des Multikulturalismus erstmals auf fruchtbaren Boden fiel, weil sich | |
nirgendwo sonst in Westdeutschland so viele „Gastarbeiter“ ansiedelten, vor | |
allem aber wegen der Tradition eines bürgerlichen Protestantismus, wie es | |
ihn etwa in Köln oder München nicht geben konnte. | |
Die Stadt lieferte überdies mit dem Institut für Sozialforschung auch die | |
neomarxistischen Grundlagen der Bewegung, ja, der Begriff „Neomarxismus“ | |
ist überhaupt erst von Max Horkheimer mit der „Frankfurter Schule“ geprägt | |
worden. Hinzu kam das „Frankfurter Modell“ einer demokratisch orientierten | |
Kulturpolitik, die weit über die damals übliche Verwaltung und Bespielung | |
überkommener Institutionen wie das Theater oder die Oper hinausging. | |
Schließlich war Frankfurt auch schlicht Metropole genug, um bewegten | |
Studentinnen und Studenten im Schutze ihrer Anonymität die Erprobung | |
alternativer Lebensformen zu ermöglichen. | |
Auf der anderen Seite war Frankfurt eine Stadt, in der, wer auch immer sich | |
links engagierte, stets den „Klassenfeind“ vor Augen hatte. Wie kaum eine | |
andere hat sie von der deutschen Teilung profitiert. Die Stadt lag | |
geografisch zentral und ihre Infrastruktur war gerade unversehrt genug, | |
dass die amerikanische Militärregierung hier ihren Hauptsitz einrichtete. | |
Das Militär blieb und prägte die Region, wie auch der Flughafen der Stadt | |
einen internationalistischen Anstrich verlieh. Zeitgleich mit dem | |
Wiederaufbau wuchs die Bedeutung Frankfurts als Zentrum für Handel, Banken | |
und Versicherungen – und mit dem Hunger auf Bauland wurden die Altbauten | |
vor allem im bürgerlichen Westend immer mehr zu Spekulationsobjekten der | |
Immobilienbranche. | |
## Konspirative Wohnungen | |
Dort, in der Eppsteiner Straße 47, zündete im Herbst 1970 der Funken zur | |
ersten Hausbesetzung der Republik, zu praktischem Protest also gegen | |
Wohnraumvernichtung durch Kapitalinteressen. Begleitet war die Besetzung | |
von linksradikalen Parolen, aber getragen von einer breiten Bewegung, die – | |
zumindest anfänglich – auch Kleinbürger und Zuwanderer umfasste. Aber auch | |
die RAF oder die „Revolutionären Zellen“ fanden in Frankfurt nicht zufäll… | |
genug Unterstützer, um sich dort eine ganze Reihe konspirativer Wohnungen | |
einzurichten. | |
Vor allem die Spontis sahen die Stadt mit den Augen einer Guerilla und | |
machten sie zu einem Manövergebiet, auf dem Arbeiter agitiert, | |
antiautoritäre Kinderläden betrieben und sozusagen die Revolution in | |
Permanenz unter dem Radar der staatlichen Bürokratie organisiert werden | |
sollte. | |
Je länger die Experimente währten, desto zuverlässiger gingen sich die | |
Anhänger von Bakunin, Marx, Lenin, Mao, Stalin und sogar Trotzki | |
gegenseitig an die Gurgel. Spätere Grünen-Politiker wie Daniel Cohn-Bendit | |
oder Joschka Fischer schärften in diesem zusehends zersplitternden Milieu | |
ihr Profil. | |
Punk hingegen ging, auch wegen der Präsenz der orthodoxen Platzhirsche vom | |
Stadtmagazin Pflasterstrand, fast vollkommen an Frankfurt vorbei. Am Ende | |
war es in den achtziger Jahren eine doppelte Zäsur, die Vereidigung von | |
Fischer als Umweltminister und die Schüsse auf Polizisten an der Startbahn | |
West, die zum Bruch zwischen Grünen und Radikalen sowie den radikalen | |
Gruppen untereinander führte. | |
## Netzwerk der Machtlosen | |
Heute fällt auf, dass „Blockupy“ sich in keiner dieser Traditionen sieht. | |
Es gibt kommunale Strukturen, aber keine Kontinuität. Alles ist auf null | |
gestellt. Universitäten rekrutieren heute für den Markt, nicht mehr für den | |
politischen Kampf. Und doch drängen sich im krassen Gegensatz zur | |
turbulenten Vergangenheit unter einem einzigen Schirm linke Gruppierungen | |
so einträchtig nebeneinander, dass man sich verwundert die Augen reiben | |
möchte – das „Netzwerk“ reicht von der Partei Die Linke über die | |
Globalisierungskritiker von Attac bis zur Gewerkschaft Ver.di oder der | |
Autonomen Antifa. | |
Vielleicht rührt die Eintracht daher, dass es ein Netzwerk der Machtlosen | |
ist, deren Widerstand redlich sein mag, aber überwiegend symbolisch bleibt. | |
Der politische Ideenpool jener Zeit ist ausgetrocknet, die Visionen von | |
einst sind Makulatur. Und doch „tut“ sich wieder „was“ in Frankfurt, 40 | |
Jahre später. | |
Antikapitalistischer Protest also in einer Zeit, da der Kapitalismus einen | |
so totalen Sieg errungen hat, dass das Wort „Kapitalismus“ kaum mehr in den | |
Mund genommen wird, von einer „herrschenden Klasse“ ganz zu schweigen. | |
Vielleicht ist es genau das, was dieses neue Bündnis leisten könnte: eine | |
neue Sprache finden für alte Probleme. | |
30 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://blockupy-frankfurt.org/ | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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