| # taz.de -- #MeToo und sexualisierte Gewalt: Wer ist hier die Hexe? | |
| > Empathie und Likes genügen nicht. Mich interessiert: Wo warst du, als | |
| > andere sexualisierte Gewalt erlebten? Und was hast du getan? | |
| Bild: Wie reagierst du darauf, wenn jemand „nein“ sagt? | |
| Alle Jahre wieder gibt es eine medial wirksame Hashtag-Aktion, in der sich | |
| Überlebende von sexualisierter Gewalt outen (müssen), um ihre Erfahrungen | |
| sichtbar zu machen, sich zu empowern oder einfach bei cis Typen ein | |
| bisschen Empathie und Menschlichkeit auszulösen. | |
| Das Problem mit dieser Outing-Kultur erklären viele Autor_innen, [1][etwa | |
| Charlott Schönwetter auf Mädchenmannschaft.net:] Nicht jede_r kann oder | |
| möchte ihre_seine Erfahrung öffentlich machen, gleichzeitig besteht ein | |
| immenser Druck, sich zu positionieren. Wer aber wird in Schutz genommen und | |
| wo gibt es trotz allem eine Täter_innen-Opfer-Umkehr? | |
| Wer sich etwa mit der blonden Nachbarin mit der bedeckten Kleidung | |
| solidarisiert, aber mit Sexworker_innen, die von Klient_innen Gewalt | |
| erfahren haben, nicht, sollte dringend noch mal in sich gehen und sich | |
| fragen, was da schief gelaufen ist. | |
| Cis Typen sind in der Regel erschrocken darüber, dass so viele Leute – | |
| insbesondere Frauen und Femmes, aber auch trans Männer und sogar cis Männer | |
| – aus ihrem engeren oder weiteren Umfeld schon mindestens ein Mal diese | |
| perfide Form der Gewalt erfahren mussten. Ich bin überhaupt nicht | |
| überrascht. Ich wäre es selbst dann nicht, wenn jede einzelne Person aus | |
| meiner Friendlist #metoo in ihren Status schreiben würde. | |
| ## Die Täter_innen sind nicht weit | |
| Denn wie schockiert über sexualisierte Gewalt kann man(n) wirklich sein, | |
| wenn es seit Jahren immer wieder Überlebende gibt, die das Problem | |
| adressieren oder sich outen? Sei es eine bekannte Schauspielerin, ein Model | |
| oder die Genossin aus dem Marx-Lesekreis? | |
| Wenn meine Friendlist voll von Überlebenden ist, dann können die | |
| Täter_innen nicht all zu weit entfernt sein. Warum lese ich das #metoo von | |
| jenen, bei den es ohnehin offensichtlich ist, dass auch sie betroffen sind, | |
| und nicht stattdessen von denjenigen, die diese Gewalt ausgeübt haben oder | |
| Täter_innen in Schutz genommen haben? | |
| Ich möchte nicht wissen, was Überlebende anhatten, wie nüchtern sie waren, | |
| wie gut sie die Täter_innen kannten oder wie viele Sexpartner_innen sie | |
| vorher hatten. Die Antworten darauf verschieben nicht nur die | |
| Verantwortlichkeiten auf jene, die ohnehin nichts dafür können, sondern | |
| lenken vom eigentlichen Problem ab. | |
| Sexualisierte Gewalt geht nicht einfach so über die Bühne. Sie existiert in | |
| Machtstrukturen, die sie aktiv stützen. Zu jedem Harvey Weinstein gibt es | |
| einen Woody Allen, der ihn verteidigt, in Schutz nimmt, selbst Teil des | |
| Problems ist und davor warnt, in eine Hexenjagd zu verfallen. Aber wer ist | |
| eigentlich hier die Hexe? | |
| ## Wo warst Du? | |
| [2][Amna Franzke schrieb völlig korrekt: Es braucht eine Kultur des | |
| Vertrauens.] Das heißt auch, dass Leute nicht ständig unter Beweis stellen | |
| müssen, dass sie sexualisierte Gewalt erlebt haben, oder sich fragen | |
| müssen, ob ihre Erfahrung „krass genug“ ist, um valide zu sein. Mich | |
| interessiert: Wo warst du, als deine Geschwister, deine Freund_innen, | |
| Genoss_innen oder eine entfernte Bekannte sexualisierte Gewalt erfahren | |
| haben und versuchten, diese anzusprechen? | |
| Hast du ihnen zugehört? Hast du ihnen geglaubt? Hast du sie ernst genommen? | |
| Hast du sie gefragt, was du tun hättest können, um sie zu unterstützen? | |
| Oder hast du die Täter_innen in Schutz genommen, weil sie deine Brüder, | |
| Väter, Onkels, Cousins, Kumpels, Mitbewohner oder Boyfriends waren? | |
| Und was hast du getan, als dir eine Person sagte, dass du ihre Grenzen | |
| überschritten hast? Hast du es angenommen? Hast du dich entschuldigt? Hast | |
| du dein bestmögliches versucht, um es nicht noch schlimmer zu machen? Wie | |
| hast du Verantwortung übernommen? Hast du deinem Umfeld davon erzählt? Oder | |
| deinen nächsten Partner_innen? | |
| Wie reagierst du darauf, wenn jemand „nein“ sagt? Akzeptierst du es oder | |
| fragst du noch mal nach, ob sie sicher sei (warum sollte jemand nicht | |
| sicher sein, denkst du, sie hat aus Höflichkeit nein gesagt?) oder setzt du | |
| sie anderweitig unter Druck, um Konsens zu erzwingen? Oder ist es dir eh | |
| egal? | |
| Was möchtest Du ändern? | |
| Ja, es kann auch vorkommen, dass Täter_innen zum Zeitpunkt des Geschehens | |
| nicht im Bewusstsein eines Übergriffes waren. An dieser Stelle lohnt es | |
| sich, sich zu fragen, ob man generell Leuten vermittelt, dass es okay ist, | |
| ihre Grenzen zu kommunizieren. | |
| Wäre man überhaupt offen dafür gewesen, sich anzuhören, dass man etwas | |
| falsch gemacht hat? Oder wäre man in Abwehrposition gesprungen? Ich selbst | |
| habe oft genug das „nein“ geschluckt und „es“ über mich ergehen lassen, | |
| weil ich dachte, dass dies erträglicher oder weniger Arbeit sein würde, als | |
| für mein „nein“ die andere Person stundenlang trösten, mich sanktionieren | |
| lassen oder streiten zu müssen. | |
| Was möchtest du an deinem Verhalten ändern, um diese Strukturen | |
| aufzubrechen und aktiv gegen Vergewaltigungskultur vorzugehen? | |
| Würdest du das Plakat deines liebsten Filmemachers von der Wand nehmen? | |
| Würdest du auf Wunsch der Betroffenen gewisse Räume nicht mehr betreten, | |
| weil du dich ihnen gegenüber scheiße verhalten hast? | |
| Würdest du aufhören in deine linke Lieblingsbar zu gehen, wenn du wüsstest, | |
| dass ein Täter im Kollektiv ist, der von allen geschützt wird? Würdest du | |
| vor deiner Typengang erwähnen, dass du ihre Sprüche zum Kotzen findest? | |
| Oder würdest du still zuhören und dann einen traurigen Facebook-Post | |
| verfassen? | |
| ## Empathie und Likes reichen nicht | |
| Empathie und Likes reichen nicht aus. Eine nachhaltige Kultur der | |
| Verantwortlichkeit kann nur dann entstehen, wenn wir nicht nur phasenhaft | |
| über das Thema sprechen und die restliche Zeit wegschauen, wenn unser | |
| Handeln gefragt ist. Ohne Täter_innen in den Fokus der Debatte zu rücken, | |
| muss es möglich sein, sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen. | |
| Solange wir nur bis zu den Grenzen unserer Bequemlichkeit gehen wollen und | |
| dort aufhören nachzufühlen, wo es anfängt, wehzutun, kann es noch vierzig | |
| weitere Hashtag-Aktionen über sexualisierte Gewalt geben, die genau so | |
| schnell verebben, wie sie aufgebraust sind. | |
| 18 Oct 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://maedchenmannschaft.net/ | |
| [2] /!5455280/ | |
| ## AUTOREN | |
| Hengameh Yaghoobifarah | |
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