# taz.de -- taz-Männer über #MeToo-Situationen: „Wie konnte ich so ein Arsc… | |
> Bei #MeToo geht es um sexuelle Übergriffe auf Frauen. Was aber ist mit | |
> der anderen Seite? Wir haben unsere männlichen Kollegen gefragt. | |
Bild: Gleichgültig, ignorant – oder schon übergriffig? | |
#MeToo posten Frauen, um öffentlich deutlich zu machen, dass auch sie | |
[1][sexualisierte Gewalt erlebt haben] – in welcher Form auch immer. Die | |
Flut an Posts unter diesem Hashtag ist schon ob der schieren Masse | |
eindrucksvoll. | |
Was aber fehlt, oder nur sehr zaghaft und vereinzelt kommt, sind Äußerungen | |
von Männern. Ein kritisches Hinterfragen, ob es vielleicht auch in ihrem | |
Leben Ereignisse und Begegnungen gab, bei denen sie sich falsch verhalten | |
haben – wissentlich oder unwissentlich. Oder Situationen, in denen es | |
[2][richtig gewesen wäre, einzugreifen] oder zu widersprechen. Viele Männer | |
[3][bleiben stumm]. Doch zu jedem Übergriff gehört auch jemand, der ihn | |
begeht oder nicht verhindert. | |
Einen Dialog kann es nur geben, wenn alle daran teilnehmen, die das Thema | |
sexualisierte Gewalt betrifft. Und das sind eben auch die Männer. Deshalb | |
haben wir unsere taz-Kollegen gebeten, ihr eigenes Leben auf solche | |
Erlebnisse hin abzuklopfen. | |
Nicht alle fanden unsere Frage gut. Einige fühlten sich zu Unrecht auf die | |
Täter-Rolle reduziert und protestierten aufgebracht. Andere verwiesen | |
darauf, dass auch Männer Erlebende von sexualisierter Gewalt sind – eine | |
Perspektive, die wir wichtig finden und nicht verschweigen wollen. Auch | |
geht es um Situationen, die Männer wie Frauen erleben können – als | |
Nichthandelnde. Trotzdem sind wir der Meinung, dass genau jetzt der Moment | |
ist, um über Gewalt gegen Frauen zu sprechen. Und über Männer, die daran | |
beteiligt sind. | |
Wieder andere wollten nicht mitmachen, weil sie fürchteten, durch ihre | |
Schilderungen ungefragt die Anonymität der Betroffenen zu gefährden. Oder | |
weil sie es für falsch halten, mutmaßlichen Tätern so einen zu einfachen | |
moralischen Ausweg zu bieten. Und manche sagten, sie hätten solche | |
Situationen noch nie erlebt. | |
Einige Kollegen jedoch haben uns von ihren Erlebnissen erzählt. Fast allen | |
gemein ist eine große Verunsicherung: Wo ist die Grenze? Hätte ich etwas | |
tun sollen – und wenn ja: was? Ihre Protokolle veröffentlichen wir auf | |
deren Bitte hin anonym und zum Teil zum Schutz der Beteiligten leicht | |
verfremdet – in der Hoffnung, dass ihre Schilderungen die Debatte | |
weiterführen. Denn nur wenn wir alle das Schweigen brechen und | |
reflektieren, was wir warum tun und nicht tun, können wir lernen, wie es in | |
Zukunft vielleicht besser geht. | |
## Glotzen auf dem Schulhof | |
„Sexualisierte Gewalt ist vielschichtig. Wenn es der Aufklärung und der | |
Verhinderung künftiger Taten dient, schildere ich hier ein paar Erlebnisse, | |
auch wenn ich dabei selbst nicht gut wegkomme. Ich bin ein Mann Anfang 40. | |
Meine Kindheit und Jugend habe ich in den 1980er Jahren auf dem Land | |
verbracht. Dort haben wir Jungs manchmal auf dem Schulhof Dinge getan, die | |
man heute als übergriffig bezeichnen würde: Mädchen aus Spaß beim | |
Fangenspielen den Rock hochreißen oder mit Spiegeln zwischen die Beine | |
glotzen. Manche Mädchen zahlten es uns mit ähnlicher Münze heim, aber in | |
Ordnung war es nicht.“ | |
## Erschrecken als Erziehungsmaßnahme | |
„Als Jugendlicher habe ich einem Mädchen, mit dem ich kurz zusammen war, | |
einen bösen Schreck versetzt, was mir noch heute leidtut. Ich fühlte mich | |
von ihr ausgenutzt, weil ich das Gefühl hatte, dass sie nicht wegen mir, | |
sondern nur wegen meiner Vespa mit mir zusammen war. Deshalb wollte ich sie | |
erschrecken und ihr damit zu verstehen geben, dass sie so auch mal an den | |
Falschen geraten könnte. Wir fuhren zu zweit an einen einsamen Ort. Dort | |
sagte ich zu ihr: Zieh dich aus, ich will mit dir schlafen! Sie erschrak, | |
und ich sagte sofort, dass dies nur ein Scherz gewesen sei. Sie war | |
erleichtert, aber das Vertrauen war zerstört. Sexualisierte Gewalt | |
anzudrohen, ist kein Scherz. Wie konnte ich nur so ein Arsch sein?“ | |
## Schweigen und zusehen | |
„In der U-Bahn quatschte ein Mann eine Frau an, wollte ihre Aufmerksamkeit, | |
dann ihre Nummer, sich mit ihr verabreden. Sie wollte nicht, sagte | |
eindeutig nein. Als er nicht aufhörte, stand sie auf, ging zur Türe und | |
stellte sich davor. Er lief hinter ihr her und quasselte weiter auf ihren | |
Rücken ein. Sie stand da, voll angespannt, ignorierte ihn, soweit es ging, | |
stieg an der nächsten Station aus. Ich saß schräg gegenüber und dachte | |
einen Moment: Okay, sie hat alles unter Kontrolle, sie lässt ihn ja ganz | |
souverän ins Leere laufen und geht ihrer Wege. Im Nachhinein muss ich mir | |
eingestehen, dass das eine Lüge war. Der Typ belästigte sie, alle sahen zu | |
– oder weg. Sie konnte nur die Flucht ergreifen. Wie leicht wäre es für | |
mich gewesen zu dem Typen zu sagen: Ey, sie will nicht mit dir reden, lass | |
sie doch einfach in Ruhe. Stattdessen schwieg ein ganzer U-Bahn-Wagen – und | |
ich mit.“ | |
## Mit den Jungs lieber unkompliziert | |
„Wir saßen in unserer Ferienwohnung zusammen. Fünf, sechs Jungs kurz vor | |
dem Abitur, eine Woche in den Winterferien in den französischen Alpen. Das | |
Gespräch kreiste um Erlebnisse in früheren Skiurlauben, um Alkoholexzesse | |
und Mädchen. Und dann erzählte einer am Tisch von einem Skiurlaub, in dem | |
er die Wohnung mit anderen Jungs aus unserer Stadt geteilt hatte. Jungs, | |
die jeder am Tisch kannte. Einer von ihnen habe nachts eine betrunkene Frau | |
mit nach Hause genommen und in dem Mehrbettzimmer der engen Wohnung auch | |
dann nicht aufgehört, als sie klargemacht hatte, dass sie nicht mit ihm | |
schlafen wollte. Der, der das erzählte, berichtete es mit dem schlechten | |
Gewissen desjenigen, der nicht eingegriffen hatte. Und wir anderen am | |
Tisch? Wir sagten nichts dazu. Das Thema wurde schnell gewechselt, der | |
Übergriff nie wieder erwähnt, der mutmaßliche Täter nie darauf | |
angesprochen. Das war das Einfachste.“ | |
## Nicht den Starken spielen wollen | |
„Kürzlich war ich mit einer Frau auf dem Fahrrad unterwegs. Folgendes | |
geschah: Sie klingelte, drei Jungs um die 20 machten ihr und mir Platz. | |
Einer der Jungs raunte, pfiff und rief: „Die kann gleich mal hierbleiben!“ | |
Die Angepfiffene fuhr weiter. Und ich? Eine Möglichkeit wäre gewesen, | |
anzuhalten und den Typen zu sagen, dass so ein ekliger, sich verbal einer | |
Frau ermächtigender Müll verboten sein sollte. Aber sie hielt ja selbst | |
nicht an. Hatte sie das überhaupt als schlimm empfunden? Spielt das eine | |
Rolle, wenn ich selbst den Spruch zum Kotzen finde? Oder wäre ein Anhalten | |
und Zurechtweisen nicht genau das gewesen, was ich an männlichen | |
Rollenbildern hinterfragen will: Starker Mann kämpft für schwache Frau, die | |
sich nicht wehren kann? So viele Gedanken passen leider nicht zwischen zwei | |
Pedaltritte und so tat ich: nichts. Im Nachhinein bin ich sicher: Ich hätte | |
anhalten sollen. Und habe mir fest vorgenommen, es beim nächsten Mal zu | |
tun. Dass es wirklich geschieht, kann ich nicht sicher sagen. Aber die | |
Betroffene zu fragen, was sie sich gewünscht hätte – das mache ich sofort.�… | |
## Den Zwischenton verpennt? | |
„Ein One-Night-Stand brachte mich im Nachhinein zum Nachdenken. Auf einer | |
Party lernte ich eine Frau kennen. Wir tanzten und tranken zusammen und im | |
Morgengrauen gingen wir zu mir. Wir hatten Sex, alles eigentlich schön und | |
die Basis für ein liebes Frühstück nach dem Aufwachen. Aber dazu kam es | |
nicht. Als ich in der Küche Frühstück machte, rief sie vom Flur knapp: | |
tschüss. Dann fiel schon die Wohnungstür ins Schloss. Keine Telefonnummer, | |
kein Wiedersehen, nichts. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Sollte ich ihr | |
folgen, oder wäre das aufdringlich? Warum war sie einfach so gegangen? | |
Hatte ich mich falsch verhalten? Ich weiß es nicht, und werde es nie | |
erfahren.“ | |
## Zum Sex überredet? | |
„Seit ich ein Bewusstsein dafür bekam, was sexuelle Übergriffe in der | |
Psyche eines Menschen anrichten können, habe ich mich gefragt, ob ich | |
selbst mal zum Täter geworden bin. Das Doktorspielen mit acht oder neun | |
Jahren mit meiner Sandkastenfreundin von gegenüber, die ob meines | |
erigierten Penisses sehr verstört schaute und keine Lust mehr hatte | |
weiterzuspielen? Und die auch nicht mit mir ins Freibad wollte, obwohl wir | |
eigentlich am nächsten Tag verabredet waren? Hab ich überhaupt nicht | |
geschnallt damals. Wir haben nie mehr darüber gesprochen. Auch als | |
Erwachsene nicht. Die Versuche, mit 16 meiner damaligen Freundin die Brust | |
zu streicheln, worauf sie immer meine Hand wegschob und sagte, sie wolle | |
das nicht? Ich habe nicht insistiert, war dann aber auch nicht lange mit | |
ihr zusammen. Das eine Mal, als ich mit 20 abends bei einer etwa | |
gleichaltrigen Freundin aus meinem Studi-Job aufschlug, mit der ich schon | |
ein paarmal Sex gehabt hatte und die an diesem Abend nicht mit mir schlafen | |
wollte? Ich versuchte sie zu überreden und schließlich schliefen wir dann | |
doch miteinander. Würden sie heute #MeToo posten? Ich bin auf jeden Fall | |
nicht stolz darauf.“ | |
## Nackt und nüchtern | |
„Ich, Mitte zwanzig, Party in einem Hausprojekt in Hamburg. Hab mir zum | |
Schlafen ein Bett klargemacht. Auf der Party viel Alkohol, eine Frau, die | |
ich toll fand, und ich gehen betrunken in dieses Haus zurück. Sie, | |
betrunkener als ich, legt sich angezogen in das Bett, in das ich wollte, | |
und schläft ein. Ich ziehe mich aus und lege mich nackt zu ihr unter die | |
Decke, in der Hoffnung, dass noch was läuft. Lief nix. Am Morgen wachte ich | |
eher auf als sie und hab mich verschämt schnell wieder angezogen.“ | |
## Die Hand am Po ist kein Hiltlergruß | |
„Mit Anfang 20 in einer Kneipe im Univiertel. Wir stehen zu fünft zusammen, | |
ein Freund, zwei andere Typen und eine Bekannte. Sie erzählt von ihren | |
One-Night-Stands. Der Freund denkt, das wäre eine Einladung an alle | |
Anwesenden. Er greift ihr an den Hintern. Die Frau und die beiden anderen | |
reagieren und sagen ihm, was sie davon halten. Zum Glück. Ich stehe nämlich | |
daneben und schweige. Warum eigentlich? So einfach wie in dieser Situation | |
ist Zivilcourage doch selten: Er hat keine Unterstützer. Wir kennen uns. | |
Ich muss nicht befürchten, dass er zuschlägt, wenn ich den Mund aufmache. | |
Hätte er eine andere Grenze überschritten, hätte er zum Beispiel den | |
Hitlergruß gezeigt, hätte ich wohl eingegriffen. Bei einem sexuellen | |
Übergriff bleibe ich aber stumm. Ich fand den Griff an den Hintern schon | |
damals nicht richtig. Aber ich fand ihn auch nicht so richtig schlimm. | |
Zumindest nicht schlimm genug, um einzugreifen. Und das war das Problem.“ | |
## Blöde Gedanken | |
„Ich war Single, sexuell aktiv. Einmal lerne ich auf einer Party eine Lesbe | |
kennen. Es war klar, dass nichts laufen würde, aber weil wir beide keine | |
Lust auf Einsamkeit hatten, gingen wir zu ihr und schliefen im gleichen | |
Bett. Ich streichelte ihr zum Einschlafen über den Kopf und hoffte dabei | |
insgeheim auf mehr. Sie reagierte nicht und dabei blieb es auch. Aber | |
einige meiner Gedanken am nächsten Tag, nachdem wir auseinandergegangen | |
waren, waren wirklich blöd! Hätte ich nicht etwas mehr probieren sollen? | |
Hätte sie vielleicht doch gewollt? Dabei ist es doch ganz einfach: Kein | |
‚ja‘ heißt ‚nein‘. Basta.“ | |
## Ich zuhause, meine Freundin im Bordell | |
„Ich war mit meiner Freundin neu in die gleiche Stadt gezogen und bis zum | |
Beginn des Studiums wollten wir, beide um die 20 und ziemlich naiv, zur | |
Überbrückung etwas arbeiten. Ich fand einen Job als Tellerwäscher in einem | |
gutbürgerlichen Restaurant, aber meiner Freundin war das zu anstrengend. In | |
einer Zeitungsanzeige lasen wir, dass ein Bordell eine Tresenkraft sucht. | |
Mach das doch, sagte ich zu ihr. Als Barkeeperin kann es dir doch egal | |
sein, wem du die Drinks gibst. Sie rief dort an, ohne Misstrauen zu | |
schöpfen, und eines Abends ging sie hin. Auch ich war nicht misstrauisch | |
und blieb zu Hause. Nachts kam sie wieder, völlig aufgelöst und mit viel | |
Geld in der Tasche, das sie wütend auf den Boden warf. „Sie haben mir was | |
in den Drink gekippt“, rief sie. In einem Hinterzimmer habe dann ein | |
Stammkunde ihre Vulva geküsst, zu einer Penetration sei es aber nicht | |
gekommen. Dann fing sie an zu weinen und ich nahm sie in den Arm. Ich war | |
geschockt, fühlte mich schuldig. Wie konnte ich, wie konnten wir so blöd | |
sein? Einer der größten Fehler meines Lebens.“ | |
Vorspann und Redaktion: Amna Franzke, Marlene Halser und Dinah Riese | |
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26 Oct 2017 | |
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