# taz.de -- #metoo-Demonstration in Berlin: Solidarität in kaltem Wind | |
> Knapp 1.000 Menschen demonstrierten am Samstag gegen sexuelle Gewalt, das | |
> Schweigen darüber und eine patriarchale Gesellschaft. | |
Bild: Protest in Berlin | |
BERLIN taz | Noch bevor die erste Rednerin an diesem Samstagnachmittag ans | |
Mikrofon tritt, schallt die Stimme von Christina Aguilera über den | |
Hermannplatz im Berliner Stadtteil Neukölln. „This is for my girls all | |
around the world“, tönt es aus den Boxen auf dem zum Lauti umfunktionierten | |
Planenwagen, „Who have come across a man that don’t respect your worth“. | |
Dann meldet sich die erste Rednerin des Bündnisses #MeToo Berlin zu Wort: | |
„Wir wollen, dass über unsere Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt | |
gesprochen wird“, ruft sie in die Menschenmenge, die sich auf dem Platz | |
versammelt hat. „Wir sind hier, um uns dafür den Raum zu nehmen, der uns | |
zusteht.“ | |
Kalter Wind pfeift, es regnet. Behandschuhte Hände halten Schilder hoch, | |
auf denen „#MeToo“ steht, oder „Silence is Violence“ – Schweigen ist | |
Gewalt. „Wir sind hier, um unsere Traurigkeit und unsere Wut zu teilen“, | |
ruft die Rednerin. Die Demonstration ist eine Reaktion auf das Hashtag | |
#MeToo, das seit mehreren Wochen die sozialen wie auch die klassischen | |
Medien beschäftigt. Unter diesem Hashtag posteten und posten noch immer | |
Tausende ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und Übergriffen – vor | |
allem Frauen. Angestoßen wurde die aktuelle Diskussion durch mehrere | |
Frauen, die dem Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein vorwarfen, sie | |
missbraucht zu haben. | |
„Diesen Protest wollten wir vom Netz auf die Straße holen“, sagt Theresa | |
Hartmann, Sprecherin von #MeToo Berlin. Eine sehr spontane Aktion: Mit | |
gerade mal einer Woche Vorlauf hatte das lose Bündnis aus feministischen | |
Aktivist*innen verschiedener Gruppen zum Protest aufgerufen. Gekommen sind | |
knapp 1.000 Menschen, vor allem Frauen, aber auch zahlreiche Männer. | |
## Männer mit dabei | |
Es sind nicht nur gefällige Worte, die im Laufe des Abends vom | |
Lautsprecherwagen kommen. Denn viele der Redebeiträge sind Schilderungen | |
von Betroffenen. „Ich wurde acht Jahre lang immer wieder vergewaltigt“, | |
sagt eine Rednerin. „Die Täter sind trotz eines juristischen Verfahrens | |
immer noch frei.“ Freund*innen hätten ihr geraten, sich gut zu überlegen, | |
ob sie ihre Erfahrung so öffentlich teilen wolle. „Es erinnert mich an die | |
Diskussionen, bevor ich mir mein erstes Tattoo habe stechen lassen. ‚Das | |
wird für immer bleiben‘, haben Leute zu mir gesagt. Auch die Opfer | |
sexualisierter Gewalt tragen ihre Narben ein Leben lang. Und hier stehe | |
ich, mit zahlreichen Tattoos und mit meiner Geschichte. Und ich habe es | |
satt, zu schweigen.“ | |
Langsam zieht die Demo vom Hermannplatz durch Neukölln, Richtung Kreuzberg. | |
Ganz vorne läuft ein Block, der Frauen, Lesben, trans* und inter* Personen | |
vorbehalten ist. „Es sind aber auch Männer unter uns und gehen gemeinsam | |
mit uns auf die Straße“, ruft eine Vertreterin des Bündnisses. „Und das i… | |
auch gut so.“ Es sei wichtig, dass auch Männer für Feminismus kämpften. | |
„Kein Mann wird scheiße geboren“, sagt die Rednerin. „Es ist diese | |
Gesellschaft, die Männer dazu erzieht, sexistisch zu sein, Gewalt | |
auszuüben.“ Applaus ertönt. | |
## Privilegien hinterfragen | |
Ein Grußwort kommt vom Verein Tauwetter, einer Anlaufstelle für als Junge | |
sexuell missbrauchte Männer. „Sexualisierte Gewalt lässt sich aus den | |
herrschenden Geschlechterverhältnissen nicht herauslösen“, heißt es darin. | |
„Als betroffene Männer stehen wir Seite an Seite mit den betroffenen Frauen | |
– und nicht an der Seite irgendwelcher Arschlöcher.“ | |
Es sei an der Zeit, die Diskussion über Sexismus und sexualisierte Gewalt | |
aus privaten Räumen und Gesprächen heraus in die Öffentlichkeit zu holen, | |
sagt Bündnissprecherin Hartmann der taz. „Vor allem in der | |
parlamentarischen Politik hat das Thema bisher wenig Raum. Wenn es wie | |
jetzt hochkocht, äußern sich ein paar Politikerinnen und Politiker – und | |
das wars dann. Das muss sich ändern.“ | |
Es ist dunkel geworden, der Wind beißt. Einige Demonstrant*innen haben ihre | |
Schilder mit Lichterketten erleuchtet. „Als Mann feministisch und | |
solidarisch zu sein, heißt, sich manchmal zurückzuhalten und die Klappe zu | |
halten“ sagt ein Redner. „Es ist aber nicht damit getan, sich als Typ beim | |
Thema sexualisierte Gewalt fein rauszuhalten und Frauen, Lesben, trans* und | |
inter* Personen alleine das Patriarchat abschaffen zu lassen.“ Auch er als | |
Mann habe keinen Bock auf „diese Mackergesellschaft“. Wichtig sei aber, | |
dass er und alle anderen Männer ihre Vorstellungen von Männlichkeit und | |
ihre Verstrickung in gesellschaftliche Privilegien mehr hinterfragten. | |
„Lasst uns nicht Teil des Problems bleiben, sondern Teil der Lösung | |
werden“, ruft er. | |
Es ist eine kleine Demonstration. Das mag der Kürze des Vorlaufs ebenso | |
geschuldet sein wie dem Wetter. Doch es ist ein Anfang. Und am Ende halten | |
es die Demonstrant*innen ganz mit Christina Aguilera: „So lift up your | |
hands high and wave ’em proud / Take a deep breath and say it out loud / | |
Never can, never will / Can’t hold us down“. | |
28 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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