# taz.de -- Sexismus im Journalismus: Reden wir bei einem Kaffee darüber | |
> In der #MeToo-Debatte über strukturellen Sexismus sollten die | |
> Journalisten bei sich selbst anfangen, sagt unsere Autorin. | |
Bild: Journalisten berichten über #MeToo, als hätte das alles nichts mit dem … | |
Als ich 26 Jahre alt war, wurde ich von einem Ressortleiter auf ein | |
Segelboot eingeladen. Ich hatte gerade die Journalistenschule abgeschlossen | |
und hoffte, dass er meine erste große Reportage in seinem Magazin | |
publizieren würde. Wir hatten uns auf einen Kaffee getroffen, um, so dachte | |
ich, über Themen zu sprechen. Ich hatte das Gefühl, dass er meine Ideen | |
wirklich spannend fand. Bis er plötzlich sein Boot und seine Leidenschaft | |
fürs Segeln erwähnte und mich fragte, ob ich nicht mal Lust hätte | |
mitzukommen. Ich wollte nicht. | |
Ein andermal setzte sich auf einer Branchenparty ein Mann neben mich – es | |
war der Ressortleiter einer Tageszeitung. Ich kannte ihn vom Sehen; ich | |
wusste, wer er war. Aber wir hatten noch nie miteinander geredet. „Es ist | |
fünf Uhr morgens. Bei uns ist es Brauch, dass man sich jetzt küsst“, waren | |
seine ersten Worte. Wieder ein anderes Mal schlug ein Kollege per SMS vor, | |
ein berufliches Treffen in die Sauna zu verlegen. | |
Viele dieser Vorfälle liegen Jahre zurück. Ich war deutlich jünger, stand | |
am Anfang meines Berufslebens. Ich hatte recht lange nicht mehr an sie | |
gedacht. Erst jetzt, während der #MeToo-Debatte, fielen sie mir wieder ein. | |
Vielleicht, weil sie mir wie eine Art Grundrauschen meines Karrierebeginns | |
vorkamen. Etwas, das für mich als Frau dazugehörte; etwas, das ich | |
stillschweigend zu akzeptieren hatte. Aber ich weiß noch gut, wie sehr mich | |
jeder einzelne traf, wie hilflos sie mich machten. Wie unsicher. | |
Mit Erstaunen beobachte ich die aktuelle Diskussion. Die Empörung meiner | |
männlichen Kollegen, auch die Art, wie wir berichten. Wir lassen Opfer zu | |
Wort kommen, geben Tipps, wie man sich gegen Sexismus wehren kann. Wir | |
suchen nach Helden, die eingegriffen haben. Wir interviewen deutsche | |
Schauspielerinnen, [1][lassen europäische Parlamentarierinne ihre | |
Erfahrungen erzählen]. Über uns sprechen wir nicht. Als hätte das alles | |
nichts mit uns und unserem Alltag in den Redaktionen zu tun. Besonders | |
meine männlichen Kollegen scheinen davon überzeugt. Sind sie wirklich so | |
blind? | |
## Kontakte sind für Karrieren das Wichtigste | |
Eine Regel, vielleicht sogar die erste, die uns an der Journalistenschule | |
eingetrichtert wurde: Kontakte sind für unsere Karrieren das Wichtigste. Ob | |
du gute Texte schreibst, brillante Analysen oder kluge Kommentare, spielt | |
keine Rolle, solange du keinen Förderer hast. Also Vorgesetzte, Chefs und | |
Ressortleiter, die unsere Texte drucken, die uns in die Welt schicken, | |
unsere Recherchen bezahlen. „Geht mit den richtigen Menschen Kaffee | |
trinken“, dieser Satz blieb bei uns allen hängen. | |
Ein Dozent an unserer Journalistenschule fragte mich einmal völlig aus dem | |
Nichts, ob ich einen Freund hätte. Ich verneinte irritiert. Mich verwirrte | |
seine Frage. Er war mein Dozent, Redakteur bei einer angesehenen Zeitung | |
und vermutlich 20 Jahre älter als ich. Als ich seine Kaffee-Einladung | |
annahm, um mit ihm über eine Geschichte zu sprechen, aber ankündigte eine | |
Mitschülerin und Freundin mitzubringen, weil ich nicht in eine unangenehme | |
Situation kommen wollte, sagte er ab. Vielleicht hatte er wirklich keine | |
Zeit, ich weiß es nicht. | |
Mir wurde ziemlich schnell klar, dass viel Kaffee oder gar Wein zu trinken | |
mit zumindest männlichen Vorgesetzten problematisch werden könnte. In | |
unserer Branche ist es normal, dass man sich regelmäßig auf Partys trifft, | |
dass die Grenze zwischen Privatem und Beruflichem oft verschwimmt. | |
Besonders in den ersten Jahren meines Berufslebens hat mich diese | |
Grenzverwischung oft verunsichert: Mit wem kann ich einen Kaffee oder ein | |
Bier trinken, mit wem nicht? Interessiert sich derjenige wirklich für meine | |
Themen? Es ist anstrengend, permanent diese Fragen im Hinterkopf zu haben. | |
Heute bin ich 35 Jahre alt. Ich arbeite seit fast zehn Jahren als | |
Journalistin. Auf ein Segelboot wurde ich nicht mehr eingeladen. Auch | |
andere Sätze und Einladungen höre ich so gut wie nicht mehr. Aber ich ahne, | |
dass sie immer noch fallen und auch, dass ich ganz bestimmt nicht die | |
Einzige bin mit diesen Geschichten. Und es macht mich wütend, wenn Kollegen | |
in diesen Tagen sagen, es sei doch langsam mal gut mit diesem Thema. Dass | |
wir aufhören sollten darüber zu sprechen und zu schreiben. Weil doch alles | |
gesagt wäre. Ich finde, wir sollten nicht aufhören. In den Redaktionen | |
haben wir noch gar nicht damit angefangen. | |
27 Oct 2017 | |
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## AUTOREN | |
Linda Tutmann | |
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