| # taz.de -- Debatte Reaktionen auf #MeToo: Intellektuell wenig befriedigend | |
| > Was ist #MeToo? Als Summe zahlloser vulgärtherapeutischer Reflexe ist es | |
| > nicht einmal eine Bewegung. Nur ein Geräusch, das verhallen wird. | |
| Bild: Nun heißt es zu Recht, die Männer sollten zu #MeToo „einfach mal die … | |
| Okay, hier schnell mein Bekenntnis. Ohne anekdotisch abgefederte | |
| Selbstbezichtigung kommt ja derzeit keiner an den Türstehern der Debatte | |
| vorbei. Es war also auf einem Musikfestival, nachts im Zelt. Ich griff über | |
| den Körper meiner schlafenden Begleiterin hinweg nach einer Wasserflasche. | |
| Ich trank. Stellte die Flasche zurück. Schlief weiter. Anderntags war meine | |
| Begleiterin wie ausgewechselt, ging mir aus dem Weg. Um erst Wochen später | |
| beiläufig anzudeuten, sie habe „durchaus mitbekommen“, was ich in jener | |
| Nacht versucht hätte. Vermutlich war sie zu traumatisiert, gelähmt vor | |
| Angst, um mir sofort eine Ohrfeige zu verpassen. | |
| So. Das war’s. Näher bin ich in meinem Leben dem Tatbestand der sexuellen | |
| Belästigung nicht gekommen. Mag sein, dass frühere Erfahrungen meine | |
| damalige Bekannte zu ihrer Reaktion bewogen hatten. Obwohl ich Frauen seit | |
| mindestens 30 Jahren begehre, habe ich diese dunkle Seite meiner | |
| Persönlichkeit im Griff. | |
| Es ist von mir auch keine einzige Bemerkung über die Qualität von Titten | |
| oder Ärschen überliefert. Ich bewege mich nicht in kumpelhaften Kreisen, in | |
| denen weibliche Attribute adressiert werden, sei’s abfällig oder | |
| anerkennend. Und gerate ich unversehens hinein, ziehe ich mich aus ihnen | |
| zurück. Ich kenne die „Männer“, wie meine Geschlechtsgenossen neuerdings | |
| wieder so präzise benannt werden. Ich kenne aber auch „die Frauen“. Die | |
| ordinärsten, vernichtendsten und sexistischsten Sprüche über Frauen habe | |
| ich bisher von Frauen gehört. Die dürfen das. #MeToo? My ass. | |
| Nun heißt es überall und zu Recht, die Männer sollten zu diesem Thema | |
| ausnahmsweise mal „einfach die Fresse halten“. Halten sie aber die Fresse, | |
| ist’s auch falsch, denn dann sollen sie nämlich „endlich mal das Maul | |
| aufmachen“. Tun sie dies nun und kehren vor der eigenen Tür | |
| (#howiwillchange), schildern sie ihre Unsicherheit oder allzu große | |
| Selbstsicherheit, reflektieren sie ihre eigene Schuld oder behaupten (wie | |
| ich) ihre Unschuld – dann sollen sie angesichts systemischer Sauereien ihre | |
| privatistischen Beobachtungen doch lieber für sich behalten. Wie man’s auch | |
| macht, es ist falsch. Und macht man’s falsch, ist es auch nicht richtig. | |
| Vor allem, wenn man nichts macht. Oder etwas. Falsch! | |
| ## Man kann nicht mal dafür sein | |
| Was weniger an Ton oder Inhalt der einzelnen Aussagen liegt oder am | |
| Schweigen selbst. Sondern in der Natur sozialer Medien und damit einer | |
| „Debatte“, die keine ist. Eine Debatte ist ein Streitgespräch, in dessen | |
| Verlauf gegenläufige Argumente ausgetauscht werden – mit dem Ziel, am Ende | |
| zu einem Kompromiss oder Konsens zwischen den verschiedenen Parteien zu | |
| kommen. Bei #MeToo gibt es keine Parteien, kann es gar keine Parteien | |
| geben. Es gibt nur einen globalen Chor zuvor vereinzelter Opfer. Das hat | |
| Macht und Wucht, aber eben – wie jede Macht und Wucht – auch zerstörerische | |
| Effekte. | |
| Spürbar ist das gewaltige Momentum einer Welle, die nichts anderes duldet | |
| als sich selbst – wie „La Ola“ im Stadion. Wer nicht aufspringt, macht si… | |
| des Abweichlertums verdächtig. Wer stattdessen gerne über Begehren und | |
| Bewusstsein sprechen möchte, über Eros und Macht oder gar das „Spiel der | |
| Geschlechter“, der hat den Schuss nicht gehört. Wer dort weiterdiskutieren | |
| will, wo es erst interessant wird, dem ist die Dringlichkeit nicht klar! | |
| Härter trifft diese Logik, wieder mal, die Frauen. Sie schweigt? Profitiert | |
| wohl vom System! Sie differenziert? Verhöhnt eindeutig die Opfer! | |
| Wenn #MeToo selbst keine Debatte ist, nicht einmal zum Diskurs anregen will | |
| – was ist es dann? Ich fürchte, als pure Summe zahlloser | |
| vulgärtherapeutischer Reflexe ist #MeToo nicht einmal eine Bewegung, kaum | |
| eine Kampagne. Nur ein Geräusch, und das wird verhallen. Als Massenbewegung | |
| trägt es auch die autoritären Züge einer Massenbewegung. Mit der | |
| Einschränkung, dass man nicht einmal dafür sein kann. Man kann nur | |
| mitmachen. Das mag vulgärtherapeutisch sinnvoll sein, intellektuell ist es | |
| wenig befriedigend. | |
| Als Mann, der weder Opfer ist noch Täter zu sein beansprucht, kann mir das | |
| egal sein. Als Vater ist es mir das nicht. Und bis die patriarchale | |
| Unterdrückung nicht abgeschafft ist, von uns allen, werde ich meine Töchter | |
| nicht dazu anhalten, nachträglich auf 140 Zeichen irgendwelche | |
| Schikanierungen oder Traumata zu „teilen“. Sondern dazu, sofort Ohrfeigen | |
| zu verpassen. Nur zur Sicherheit. Auf dem Schulhof, klar. Da geht das | |
| nämlich los. | |
| 29 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
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