# taz.de -- Neuer Film von Woody Allen: Wozu Gangster alles gut sind | |
> Mit „Wonder Wheel“ setzt Woody Allen erneut auf Mittel der griechischen | |
> Tragödie. Er schafft einen persönlichen Beitrag zur #MeToo-Debatte. | |
Bild: Filmszene mit Juno Temple | |
Ginny hat sich mehr vom Leben erwartet. Karriere als Schauspielerin? | |
Fehlanzeige. Liebesglück? Hat sie selbst zerstört, findet sie. Und den | |
ehemaligen Ehemann gleich mit dazu. Dafür kann die frustrierte Kellnerin | |
bei ihrem Job im Diner und an der Seite ihres gutherzig-grummeligen zweiten | |
Ehemanns, dem Karussellbetreiber Humpty (schön New Yorkerisch vernuschelt: | |
James Belushi) jetzt kleinere Alltagsdramen durchleben. | |
Kate Winslet ist in der Rolle der Ginny eine glückliche Entscheidung von | |
Woody Allen für seinen jüngsten Film „Wonder Wheel“. Ihre verbitterte | |
Träumerin, in der irgendwo noch ein kleiner Funken Hoffnung auf ein | |
erfülltes Leben glimmt, gibt der Geschichte im Schatten des | |
Schaustellergeschäfts von Coney Island ein würdig frustriertes Gesicht und | |
einigen Zusammenhalt. Ginny ist zugleich die interessanteste Figur in | |
dieser Liebeserklärung an den New Yorker Vergnügungspark, für die Woody | |
Allen die solide nostalgisch patinierten fünfziger Jahre als Zeitpunkt | |
gewählt hat. | |
Die Handlung ins Rollen bringt aber Humptys Tochter Carolina (offensiv | |
juvenil: Juno Temple), die eines Tages auftaucht und um Unterschlupf | |
bittet. Das Kind aus Humptys erster Ehe, die Frau ist jung gestorben, wurde | |
vom Vater verstoßen, nachdem sein Sonnenschein ausgerechnet einen | |
Gangsterboss heiraten musste. Jetzt sind dessen Männer auf der Suche nach | |
ihr, weil Carolina der Polizei belastende Informationen über ihren Gatten | |
in Aussicht gestellt hat. Selbstverständlich wird sie in dieser Lage von | |
Vater und Stiefmutter nicht fortgeschickt, auch wenn Ginny schwere Bedenken | |
anmeldet. | |
Mit „Wonder Wheel“ setzt Woody Allen erneut auf bewährte Mittel der | |
griechischen Tragödie. Eine klassisch tragische Gestalt ist die junge | |
Carolina, die sich gleich zu Beginn als vom Tode gezeichnet vorstellt. Und | |
dann ist da die Figur des Mickey (smart-distanziert: Justin Timberlake), | |
ein Rettungsschwimmer und angehender Dichter, der neben seiner eigentlichen | |
Rolle noch die Funktion des Chors übernimmt: in die Handlung einführen und | |
sie in regelmäßigen Abständen kommentieren. | |
Mickey ist es zudem, der für ernsthafte Komplikationen in Ginnys Leben | |
sorgt. Zufällig begegnen sie sich an einem Gewittertag am verlassenen | |
Strand, sie verliebt sich in ihn, beginnt eine Affäre, macht sich | |
Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft. Mickey hingegen interessiert sich | |
mehr aus ästhetischen Gesichtspunkten für die ältere Ginny, wittert Stoff | |
für eines seiner Dramen. Und dann trifft er auch noch auf Carolina. Die | |
ihrerseits Gefühle für den muskulösen, aufgeschlossenen Dichter entwickelt. | |
Und ausgerechnet die Stiefmutter als Beraterin in Liebesdingen hinzuzieht. | |
## Libidinöse Kollisionen | |
Das alles könnte man als dankbare Verwicklungskomödie angehen, in der die | |
Wechselfreudigkeit der Objekte der Begierde ringsum für libidinöse | |
Kollisionen sorgt. Woody Allen will aber ein handfestes Drama, in dem | |
allenfalls die Überzeichnung der Charaktere für komische Distanz sorgt. | |
Ginny ist Drama Queen par excellence, die ihre Umgebung mit Klagen mehr als | |
reichlich beschenkt, Humpty kommt als reizbarer Ex-Alkoholiker gar nicht | |
aus dem „Christ!“-Fluchen heraus, und auch die Gangstertypen | |
(„Sopranos“-Veteranen Tony Sirico und Steve Schirripa), die eines Tages | |
vorstellig werden, weil sie im Auftrag ihres Bosses auf der Suche nach | |
Carolina sind, wirken in ihrer Mafioso-Ungemütlichkeit eher knuffig als | |
bedrohlich. | |
Das Ganze ist hübsch anzusehen, mit einem Bronze-Schimmer, der sich über | |
Interieurs und Gesichter legt, auch der Strand von Coney Island trägt das | |
Seine bei. Doch Woody Allens schmematisches Abarbeiten an seinen Wendungen | |
und die eher behäbige Gangart der Erzählung lassen wenig Anteilnahme an den | |
Figuren aufkommen. Nicht zuletzt, weil Ginny ein wirkliches Gegenüber | |
fehlt, das mehr ist als lediglich ein Scharnier im Geschehen. | |
Hinzu kommt eine Ebene, die der Film bloß kurz antippt, jedoch mit | |
Hinweisen, die deutlich genug sind, um „Wonder Wheel“ eine mehr als | |
unappetitliche Note zu verleihen. Dass Ginny auf Carolina so schlecht zu | |
sprechen ist, hat nämlich, wie es scheint, weniger mit ihrem Einheiraten | |
ins kriminelle Milieu zu tun als mit dem Verhältnis zu Humpty. An einer | |
Stelle schimpft Ginny über die „unnatürliche Zuneigung“ des Vaters zu | |
seiner Tochter. Sodass man den Eindruck gewinnt, die Gangsterehe war | |
lediglich ein Vorwand, um ein ganz anderes Verbrechen zu kaschieren – oder | |
zu verhindern. | |
Da Woody Allen in dieser Hinsicht selbst wiederholt für Schlagzeilen | |
gesorgt hat, kann man in diesem Strang der Handlung einen ganz eigenen | |
Beitrag des Regisseurs zu Hollywoods „#MeToo“-Debatte sehen. Einen | |
Vorschlag zum Umgang mit inzestuösen Angelegenheiten liefert Allen gleich | |
mit. Denn dass Carolina sich nicht auf ewig vor ihren Verfolgern verstecken | |
kann, deutet der Film mehr als einmal an. „Problem“ gelöst. Um Oscar Wilde | |
zweckentfremdet zu zitieren: „Each man kills the thing he loves.“ Prost | |
Mahlzeit. | |
10 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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