| # taz.de -- Gefährliche Brustimplantate: Das ganz große Drama | |
| > „Nicht mit uns! Der Silikon-Skandal“ (20.15, Sat.1) basiert auf dem Fall | |
| > des französischen Herstellers PIP. Trotz Plattitüden ein wichtiger Film. | |
| Bild: Chauvinist mit Alkoholproblem will geschädigter Polizistin helfen | |
| „Das war nur das Vorspiel“, sagt Anwalt Axel Schwenn (Hannes Jaenicke) nach | |
| der Vorverhandlung zu seinen jubelnden Mandantinnen. „Richtig gefickt wird | |
| erst in der Hauptverhandlung.“ | |
| Ein Satz, der „Nicht mit uns! Der Silikon-Skandal“ ganz gut | |
| charakterisiert: Ein Chauvinist mit Alkoholproblem rettet drei verzweifelte | |
| Frauen vor der profitgierigen Gewissenlosigkeit eines skrupellosen | |
| Pharmakonzerns – in bester Privatfernseh-Manier mit anzüglichen Sprüchen | |
| und dem ganz großen Drama. | |
| Angesichts mancher Plattitüde möchte man am liebsten den Kopf auf die | |
| Tischplatte hauen – und doch macht der Film einiges richtig. | |
| Die Polizistin Jenny Hottrop (Susanne Bormann), die mehrfache Mutter | |
| Konstanze Konrad (Muriel Baumeister) und die Pornodarstellerin Micki | |
| Schmidt-Bergen (Stephanie Krogmann) haben gerade vor Gericht gegen den | |
| Hersteller ihrer minderwertigen und krebserregenden Silikon-Brustimplantate | |
| verloren. | |
| ## Unangebrachte Bemerkungen | |
| Eine Freundin der drei ist jüngst an Brustkrebs gestorben. Hottrop und | |
| Konrad haben ihre Implantate auf eigene Kosten entfernen lassen. Für eine | |
| Revision fehlt ihnen das Geld. In einer Kneipe treffen sie auf den | |
| alkoholisierten Anwalt Axel Schwenn. Statt zu helfen, sondert der bloß | |
| unangebrachte Bemerkungen über den Brustumfang Hottrops ab. | |
| Am Ende kann Hottrop ihn doch noch umstimmen, indem sie ihn bei seiner Ehre | |
| und seinen vergangenen Heldentaten packt. Schwenn und die drei Frauen | |
| verklagen den Mutterkonzern. Der habe von dem gepanschten Billigsilikon | |
| nicht nur gewusst, sondern dessen Verwendung explizit angeordnet, um den | |
| Gewinn zu maximieren, so der Vorwurf. | |
| „Nicht mit uns!“ greift tief in die Kiste der ollen Klamotten: ein | |
| frauenverachtendes Arschloch, das doch alle irgendwie mögen, sexistische | |
| Sprüche („Ich kann französisch“ – „Ich meinte die Sprache“), | |
| würgeflexerregende Spätpubertierende (1.000 Euro für den, der die | |
| Pornodarstellerin zuerst flachlegt), ein böser Pharmakonzern, der auch vor | |
| der Entführung einer Leiche nicht Halt macht – und dann ist da natürlich | |
| die unausweichliche Liebesgeschichte, die sich zwischen der knallharten | |
| Polizistin und dem zutiefst zynischen Chauvinisten anbahnt, während dieser | |
| gleichzeitig seinen Respekt vor Frauen wiederentdeckt. | |
| Und trotzdem bleibt der Eindruck, dass dieser Film tatsächlich ein Anliegen | |
| hat: auf die prekäre Lage der Betroffenen hinzuweisen. Da sind die drei | |
| Frauen, die sich aus ganz unterschiedlichen Gründen die Brüste haben | |
| vergrößern lassen – nicht zuletzt wegen des enormen Drucks gängiger, vom | |
| männlichen Blick geprägter Schönheitsideale und der Schmach der Hänseleien, | |
| wenn man diesen nicht genügt. | |
| ## Patriarchale Strukturen | |
| Da ist der Partner der Hauptdarstellerin, der der vielleicht noch | |
| schlimmere Chauvinist ist. „Gib auf, du kannst es nicht ändern“, verlangt | |
| er von seiner Freundin. Für ihn bleibe gar keine Zeit. „Ich kann einfach | |
| nicht mehr mit ansehen, wie du jeden Tag wütender wirst.“ Weil das alles | |
| ihm gegenüber so maßlos unfair ist, bleibt ihm nur eins: die Trennung. | |
| „Dieser Film ist die Geschichte eines astreinen Justizskandals“, sagt | |
| Schwenn-Darsteller Hannes Jaenicke, von dem auch die Idee zum Film stammt. | |
| „Das sagt nicht nur etwas aus über die Industriefreundlichkeit deutscher | |
| Gerichte – sondern auch über die dort herrschenden patriarchalen | |
| Strukturen.“ | |
| Betroffen davon sind nicht nur die fiktiven Klägerinnen; „Nicht mit uns!“ | |
| ist inspiriert von einem echten Fall: [1][Zwischen 2001 und 2010 hatte der | |
| französische Konzern Poly Implant Prothèse (PIP) zigtausende Implantate aus | |
| billigem Industriesilikon hergestellt.] Diese Produkte waren viel | |
| anfälliger für Risse oder allmähliches „Ausschwitzen“ des Silikongels. | |
| 400.000 Frauen weltweit ließen sich diese Implantate einsetzen. Viele der | |
| 5.000 betroffenen Frauen in Deutschland ließen die Kissen auf eigene Kosten | |
| explantieren, eine Entschädigung haben sie bis heute nicht erhalten. | |
| ## Chauvinistische Männer | |
| „Zu einem solchen Thema einen humorvollen Film zu machen, ist eine | |
| Gratwanderung“, sagt Jaenicke. „Aber es macht Spaß, die zu gehen. Und es | |
| geling dann, wenn man die Frauen ernst nimmt.“ „Die Witze im Film gehen ja | |
| vor allem auf Kosten der chauvinistischen Männer“, sagt Regisseur und | |
| Drehbuchautor Holger Haase. „Und es ist wegen solcher Typen, dass Frauen | |
| überhaupt meinen, solche Operationen nötig zu haben. Das wollten wir | |
| zeigen.“ | |
| „Nicht mit uns!“ mag vielleicht kein revolutionärer Beitrag zu | |
| feministischen Kämpfen sein. Er mag nicht einmal besonders entschlossen mit | |
| Rollenbildern und Stereotypen brechen. Im Programm eines Senders wie Sat.1, | |
| der sonst auch gerne mal unter Titeln wie „Schönheits-Alarm“ Frauen | |
| begleitet, die „ihr Schicksal selbst in die Hand“ nehmen und durch | |
| Schönheits-OPs „glücklicher werden“ wollen, ist der Film aber durchaus die | |
| zu empfehlende Wahl. | |
| 17 Oct 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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