# taz.de -- Kommentar Kinderarmut und Löhne: Die neue soziale Frage | |
> Die Koalitionsverhandlung muss Verteilungsfragen in den Blick nehmen. Das | |
> hätte auch einen Vorteil, der mit der AfD zu tun hat. | |
Bild: Beim Thema Umverteilung müssen alle zusammenarbeiten | |
Es gibt sie, die Verteilungsfragen, um die auch eine künftige | |
Jamaika-Koalition aus Union, FDP und den Grünen nicht herumkommt. Zum | |
Glück. Egal wie gut die Wirtschaft läuft und wie viel überschüssige | |
Steuermilliarden der Finanzminister angeblich hortet. Die „Kinderarmut“ | |
könnte zum Test werden dafür, wie man über soziale Gerechtigkeit noch | |
streiten kann und will. Oder eben nicht. | |
Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland lebt über mehr als fünf Jahre | |
hinweg in armen Verhältnissen, zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. | |
Viele Familien können sich über die Jahre hinweg aus der Armut nicht | |
befreien. Die Armutsrisikogrenze von 60 Prozent des mittleren Einkommens | |
bedeutet, dass eine Alleinerziehende mit zwei Kindern schon unter diese | |
Schwelle sackt, wenn sie weniger als 1.490 Euro netto im Monat zur | |
Verfügung hat, inklusive Kindergeld. Diese Schwelle ist | |
mittelschichtsfähig: Wer im Handel, in der Gastronomie oder als | |
Hilfspflegerin mit 30-Stunden-Verträgen und unbezahlten Überstunden ackert, | |
kommt über diese Grenze kaum hinaus. | |
Kinderarmut ist Haushaltsarmut. Und das ist nicht nur der Mangel in | |
Haushalten mit Hartz-IV-EmpfängerInnen. Den Mangel spüren auch Mütter und | |
Väter, die in der privaten Dienstleistung trotz harter, die Gesundheit | |
verschleißender Arbeit nur wenig mehr Lohn haben, als den | |
Hartz-IV-Leistungen entspricht. Arbeitslöhne, mit denen man die steigenden | |
Mieten kaum zahlen und nichts zurücklegen kann fürs Alter: Das ist die neue | |
soziale Frage für Millionen. | |
Es ist daher richtig, dass die Grünen das Thema Kinderarmut in den | |
Jamaika-Verhandlungen zur Sprache bringen wollen und dass sie dabei nicht | |
nur Hartz-IV-Empfänger im Blick haben, sondern auch Schlechtverdiener. | |
Sozialleistungen und Löhne müssen zusammengedacht werden. Der karitative | |
Sound hingegen, der die Bilder von Migrantenkindern heraufbeschwört, die | |
ohne warmes Mittagessen zu Hause Videospiele spielen und die Zeit | |
totschlagen, das bringt nichts. Damit versucht man, das Thema über | |
Klischees mental zu entsorgen. | |
Stattdessen muss man über Arbeitslöhne für die Eltern reden und eine starke | |
politische Sprache dafür finden. Würde sich eine neue, breite Lohndebatte | |
entwickeln, geriete vielleicht auch der Streit über die AfD und | |
Flüchtlingsobergrenzen in den Hintergrund, entpuppte sich gar als | |
Stellvertreterstreit. Das wäre doch ein Fortschritt. | |
24 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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