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# taz.de -- Debatte gescheiterte Regierungsbildung: Wie wär's mit Casting stat…
> Bei „Deutschland sucht die Superregierung“ würden FDP und AfD gewinnen.
> Das wäre das Ende der Sozialromantik, Verlierer würden recycelt.
Bild: Auf zum Casting der neuen Regierung! Bei „Germany's next Topmodel“ fu…
Die gescheiterte Regierungsbildung von dreieinhalb Parteien gibt wieder
einmal der Mehrheit unserer Bevölkerung recht: Demokratie funktioniert
nicht. Außerdem kostet sie nur. Auch Vertreter von Lügenpresse und
Staatsfunk wurden nicht müde, ihren Kunden vorzurechnen, was etwa Neuwahlen
kosten. Für solche Summen könnte man leicht zwei Golfplätze für
Leistungsträger und Entscheider sowie eine Skischaukel für die fitness- und
markenbewusste Mittelschicht errichten.
Mein bescheidener Vorschlag für eine Regierungsbildung, die kostenneutral,
marktgerecht und sozialverträglich ist, lautet daher: Abschaffung der
Wahlen mit ihren Unwägbarkeiten und Kostenfaktoren. Stattdessen politisches
Casting als Fernsehunterhaltung. Die große Samstagabend-Sondierungsshow.
Regierung ist, wer siegreich aus der Endausscheidung hervorgeht. Der
Vorteil einer solchen Umgestaltung wäre nicht allein im ökonomischen Gewinn
zu sehen, sondern auch im sozialen, denn auf diese Weise würden auch die
„ein bisschen übergewichtigen und ein bisschen armen“ Fernsehenden, die ein
Unverantwortlicher im Programmbereich jüngst als Zielgruppe definierte,
wieder in den politischen Entscheidungsprozess einbezogen.
In der derzeitigen Situation würde wohl nach dem großen „Muttimord“ eine
Koalition aus FDP und AfD aus der Endausscheidung von „Deutschland sucht
die Superregierung“ hervorgehen. Eine solche Regierung wäre zugleich
marktkonform und volksnah. Sie brächte endlich den inneren Zustand der
Gesellschaft auch nach außen zum Ausdruck und hätte aller Voraussicht nach
sowohl einen Anstieg der Zuschauerquoten als eine erfreuliche Entwicklung
des DAX zur Folge. Der Wirtschaftsstandort Deutschland könnte aufatmen.
Nur einer solchen vom Fernsehvolk legitimierten Regierung (Wahlen können
gefälscht werden; was im Fernsehen kommt, ist unbestreitbare Wirklichkeit)
trauen wir zu, auch drastische Maßnahmen für die Erhaltung der
Wettbewerbsvorteile des amtierenden „Exportweltmeisters“ durchzusetzen.
Denn immer noch leidet unsere Gesellschaft unter Sozialromantik und
Humanitätsduselei, was sowohl die Entfaltung des Profit-Elans der Eliten
als auch die Kultur nationaler Komfortzonen für die treudeutsche breite
Mitte behindert.
## Der Leid der anderen ist egal
Kürzlich musste ich in der Zeitung die Geschichte von einem ehrbaren
jüngeren Leistungsträger unserer Gesellschaft lesen, der am Aufbruch zu
seiner Arbeitsstelle durch einen parkenden Rettungswagen gehindert wurde,
dessen Begleitpersonal mit der Rettung eines Kindes beschäftigt war, das in
einer Kita kollabiert war und vermutlich zu irgendwelchen Minderleistern
oder Verlierern gehörte. Der nachvollziehbare Ausruf des ehrenwerten
Mitglieds der Wachstumsgesellschaft – „Mir doch egal, wer da reanimiert
werden muss! Ich muss zur Arbeit!“ –, dem mit leichten Schlägen gegen
Gefährt und Rettungspersonal Nachdruck verliehen wurde, führte nicht zum
Erfolg, im Gegenteil: Man entblödete sich nicht, dieses Muster an
Einsatzbereitschaft für Wirtschaftswachstum und Karriere mit einer Anzeige
wegen Sachbeschädigung zu behelligen.
Anhand solcher Fälle von ernsthaften Systemstörungen obliegt es einer neu
gecasteten Regierung, über Maßnahmen nachzudenken, mit denen
Wettbewerbsnachteile für den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig zu
beseitigen wären. Es wird jedermann einsichtig sein, dass eins der größten
Hemmnisse darin besteht, dass Staat und Gesellschaft dringend benötigtes
Geld für die Versorgung und Rettung von Versagern, Kranken, Verlierern,
Fremden und Faulenzern verschwendet, insbesondere für den Nachwuchs einer
wachsenden Klasse von überflüssigen und unwirtschaftlichen Menschen. Mein
bescheidener Vorschlag geht nun dahin, diese Menschen und insbesondere
ihren Nachwuchs dem Wirtschaftskreislauf auf eine sozialverträgliche und
umweltneutrale Weise wieder zuzuführen. Wir können uns unnütze Menschen in
einer Neuen Sozialen Marktwirtschaft einfach nicht mehr leisten; wir
benötigen eine Obergrenze für Sozialschmarotzer und Minderleister!
In der Praxis kann dies so aussehen: Nach einem Malus-System werden Punkte
vergeben, die für soziale Herkunft, Wohnviertel, Bildungsaussichten,
Krankheit und andere Indikatoren der Nutzlosigkeit stehen. Ab einem
bestimmten Punktestand (übrigens bieten sich auch hier neue Fernsehformate
an) schaltet sich die soziale Obergrenzen-Polizei ein und führt die
Verlierer einem Recyclingverfahren zu, das mehrere gravierende Probleme
löst.
Wie ein solches Recycling aussehen könnte, beschreibt anschaulich ein Text
aus dem Jahr 1729: Jonathan Swift beschreibt in „A Modest Proposal“(„Ein
bescheidener Vorschlag“) einen überraschenden Weg zur Beseitigung von
Überbevölkerung, Armut und Kriminalität im britisch regierten Irland: Um zu
verhindern, dass die Kinder der Armen ihren Eltern oder dem Staat zur Last
fallen, und um sie nutzbringend für die Allgemeinheit zu verwenden, könnte
man irische Babys als Nahrungsmittel nutzen und nach London exportieren.
Genial, oder?
Manch Bedenkenträger der Jetztzeit wird nun einwenden, eine solch
drastische Maßnahme sei nicht recht mit Prinzipien christlicher
Nächstenliebe vereinbar. Diesen gutmenschlichen Chaoten sei gesagt: Das
Gegenteil ist der Fall. Es handelt sich um nichts anderes als um einen Akt
der Barmherzigkeit. Man bedenke, was den Exklusions-Objekten erspart
bleibt: Mobbing in den Schulen, Mangelernährung, Arbeitslosigkeit,
Altersarmut, Amokläufe oder sinnloses Dahinvegetieren. Die Anzahl der
Menschen, die sich als Gangster, Drogendealer, Prostituierte oder
Auftragsmörder wieder einer sinnvollen Tätigkeit im ökonomischen Kreislauf
zuführen, ist schließlich begrenzt. Alles Unprofitable und Undeutsche
könnte so seinen Beitrag zum Wohlbefinden guter Deutscher zwischen
Seychellen und Hoyerswerda leisten.
Das alles und noch viel mehr könnten wir mit einer TV-, markt- und
volkskompatiblen Koalition aus FDP und AfD erreichen. Trau dich,
Deutschland!
22 Nov 2017
## AUTOREN
Georg Seeßlen
## TAGS
Schwerpunkt AfD
FDP
Castingshow
Sondierungsgespräche
Prekariat
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Lesestück Meinung und Analyse
Alice Weidel
Umverteilung
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