| # taz.de -- Parlamentswahl in Österreich: Wien, am Tag nach dem Rechtsruck | |
| > Unterwegs mit Schriftsteller Doron Rabinovici. Wie erklärt sich dieses | |
| > Ergebnis in einem Land, das so reich wie kaum ein anderes ist? | |
| Bild: Finster: In Österreich stehen mit Heinz-Christian Strache (o.) und Sebas… | |
| Wien taz | Der Morgen nach der Wahl beginnt in Wien in sonniger Normalität. | |
| Asiatische Touristengruppen belagern den Stephansdom, weiße Zweispänner | |
| traben Richtung Hofburg. Männer in Mozart-Aufmachung laden zu klassischen | |
| Konzerten ein. Ein Wien wie aus dem Bilderbuch. | |
| Dass im Land am Sonntag ein neues Parlament gewählt worden ist und dabei | |
| rund 60 Prozent der Österreicher ihre Stimmen zwei [1][rechten Parteien] | |
| gaben – zumindest oberflächlich betrachtet ist das im Alltag der Stadt noch | |
| nicht angekommen. Einziger sichtbarer Hinweis: die Wahlplakate. Ulrike | |
| Lunacek, die Parteivorsitzende der Grünen und große Wahlverliererin, | |
| flattert traurig im Wind. [2][Sebastian Kurz] lächelt daneben siegessicher | |
| und frisch aufs Volk hinunter. Noch in der Nacht plakatierten seine | |
| Anhänger ein großes „Danke“ auf das Konterfei ihres Parteivorsitzenden. | |
| Unweit des Stephansdoms hält ein grauer Minibus, am Steuer: Doron | |
| Rabinovici, [3][Schriftsteller, Denker, politischer Aktivist]. Vor 17 | |
| Jahren, im Herbst 2000, hatte er aus Protest gegen eine | |
| Regierungsbeteiligung der FPÖ zu einer Großdemonstration aufgerufen. Motto: | |
| „Nein zur Koalition mit dem Rassismus“. | |
| Am Montag gibt es keine große Demonstration. Rabinovici kommt gerade von | |
| einem Fernseh-Interview, hat sich kamerafein gemacht mit schwarzer Jeans, | |
| schwarzem Wollpullover, weißem Hemd. Den gestrigen Abend hat er in der | |
| Wiener Staatsoper verbracht. Der „Feuervogel“ von Strawinsky. Weit weg vom | |
| politischen Geschehen. Weit weg von Kurz und Co. Von Rabinovici wollen wir | |
| an diesem sonnigen Tag wissen, was da am Sonntagabend eigentlich passiert | |
| ist und warum. | |
| ## Verschmelzung von Professorenbrille und Schnappatmung | |
| Mit rund 31 Prozent ist da der bisherige Außenminister Sebastian Kurz zum | |
| Wahlsieger gekürt worden – und mit ihm seine Partei, die ÖVP. Erst seit | |
| diesem Mai im Amt des Parteivorsitzenden, schaffte es Kurz rasend schnell, | |
| die ÖVP auf einen neuen Kurs zu bringen. Auf seinen Kurs. Zur | |
| Nationalratswahl trat er dann auch mit neuem Namen an: der „Liste Sebastian | |
| Kurz – die Neue Volkspartei“. Aus Schwarz wurde Türkis und aus der ÖVP die | |
| neue „Liste Sebastian Kurz – die Neue Volkspartei“. | |
| Der zweite Sieger der Rechten heißt Heinz-Christian Strache und sitzt der | |
| FPÖ vor. Nur ein knapper Prozentpunkt trennt ihn vom historischen | |
| Wahlergebnis in Höhe von 26,9 Prozent, das 1999 der damalige Parteichef | |
| Jörg Haider eingefahren hatte. Heinz-Christian Straches Verdienst ist es, | |
| die zerrissenen Rechtspopulisten wieder groß gemacht zu haben. Das Projekt | |
| ist gelungen – mit dem Schönheitsfehler, dass ein jahrelang stabiles | |
| Umfragehoch von mehr als 30 Prozent durch das Erscheinen von Sebastian Kurz | |
| jäh beendet worden ist. Aber, wie Strache in einer ersten Reaktion | |
| feststellte: „Fast 60 Prozent haben das FPÖ-Programm gewählt.“ | |
| Denn Sebastian Kurz hat sein Anti-Flüchtlings- und Anti-Zuwanderer-Programm | |
| von der FPÖ abgeschrieben. Noch nie war die strukturelle rechte Mehrheit in | |
| Österreich so deutlich. Während die ÖVP als neue Volkspartei also nach | |
| rechts gerückt ist, hat sich die FPÖ im Wahlkampf als moderater | |
| präsentiert. Statt plumper Reime im Stil von „Daham statt Islam“ oder | |
| „Willst du eine Wohnung haben, musst du nur ein Kopftuch tragen“, | |
| präsentierten die Parteistrategen Heinz-Christian Strache staatstragend. | |
| Neuerdings ausgestattet mit einer Professorenbrille, spielt der Parteichef | |
| den Nachdenklichen und versucht nicht mehr, mit Schnappatmung noch mehr | |
| Botschaft in einen Satz zu stopfen. | |
| Dass der Wahlkampf zwischen SPÖ und ÖVP vor allem in der letzten Phase in | |
| eine regelrechte Schlammschlacht ausartete, konnte er als lachender Dritter | |
| beobachten und mit Sorgenfalten vor ernstem Schaden für die Demokratie | |
| warnen. | |
| ## Den Arierparagrafen noch in den Statuten | |
| Vom Trommler hat sich Strache zu einem Politiker gewandelt, dem neben | |
| Schikanen für Zuwanderer und Flüchtlinge auch die Existenzängste der | |
| kleinen Leute ein Anliegen sind. So setzte er sich für eine Mindestpension | |
| von 1.200 Euro für alle, die 40 Jahre Arbeitsleben hinter sich haben, ein. | |
| Wer erinnert sich da noch, dass sich der „Vordenker“ vor 30 Jahren noch mit | |
| Neonazis herumtrieb? | |
| Kleine Gemeinderäte, die mit Hitler-Devotionalien erwischt wurden, verstieß | |
| er aus der Partei. Den Abgeordneten Johannes Hübner, der in einer Rede den | |
| Schöpfer der österreichischen Verfassung mit antisemitischem Hohn | |
| verunglimpfte, strich er von der Kandidatenliste. Mit Norbert Hofer, der | |
| sich bei den Präsidentschaftswahlen im Vorjahr nur knapp dem Grünen | |
| Alexander Van der Bellen geschlagen geben musste, verfügt die FPÖ jetzt | |
| über einen zweiten herzeigbaren Herren. | |
| Dass bei einer Umfrage 42 Prozent der ÖVP-Wähler und immerhin 20 Prozent | |
| der Sozialdemokraten den Spitzenkandidaten als wichtigstes Motiv für ihre | |
| Wahlentscheidung genannt haben, muss Strache zu denken geben. Denn nur fünf | |
| Prozent seiner Wähler sahen die Strahlkraft des Vordenkers als Hauptmotiv. | |
| Viele von denen, die sich gerne an einer Führerfigur orientieren, sind also | |
| zu Sebastian Kurz übergelaufen. | |
| Wie moderat die FPÖ tatsächlich geworden ist, wird man sehen, wenn sie mit | |
| Sebastian Kurz in die Regierung gehen sollte. Das Reservoir an herzeigbarem | |
| Personal ist noch geringer als der Vorrat an fachlich qualifizierten | |
| Kräften, die sich bei der Verteilung von Ministerposten empfehlen können. | |
| In sämtlichen Gremien der FPÖ dominieren die deutschnationalen | |
| Burschenschafter, die in ihren Statuten noch den Arierparagrafen haben, | |
| Frauen als netten Aufputz betrachten und sich um die „Umvolkung“ der | |
| Gesellschaft sorgen. Auch der immer so moderat auftretende Norbert Hofer | |
| wollte partout nicht einsehen, was am Tragen eines Kornblumen-Ansteckers, | |
| dem einstigen Erkennungszeichen der illegalen Nazis, anstößig sein sollte. | |
| Auf Österreich kommen also „interessante Zeiten“ zu, wie die Chinesen sagen | |
| würden. Und das ist nicht unbedingt eine Empfehlung. | |
| ## Alle wollen mit allen sprechen | |
| Nach dem vorläufigen Ergebnis, noch ohne die Briefwähler, hat die SPÖ und | |
| deren Spitzenkandidat Sebastian Kern knapp 27 Prozent der Stimmen erreicht. | |
| Als glänzender Ritter der Sozialdemokratie war er angetreten. Sein Slogan: | |
| „Damit der Aufschwung bei allen ankommt.“ Auch sein Zug ist zum Stillstand | |
| gekommen. Vermutlich. Denn noch hat die SPÖ eine Koalition mit der FPÖ | |
| nicht gänzlich ausgeschlossen, noch ist ungeklärt, wer da demnächst in Wien | |
| regieren soll: ÖVP und FPÖ, die quasi natürlichen Verbündeten, SPÖ und FPÖ | |
| oder doch erneut eine Große Koalition? | |
| Er werde mit allen ins Gespräch gehen, sagt Sebastian Kurz am Sonntagabend. | |
| Was sich aber schon abzeichnet: Die intensivsten Gespräche wird er wohl mit | |
| der Schwester im Geiste führen, der FPÖ. | |
| Doron Rabinovici fährt durch die sonnigen Straßen Wiens. Den Morgen nach | |
| der Wahl empfindet er als „still“. Die große Aufregung: nicht da. „Wir | |
| haben den Tabubruch ja bereits hinter uns“, sagt Rabinovici. Im Jahr 2000 | |
| die FPÖ an der Bundesregierung mit der ÖVP. Seit 2015 eine gemeinsame | |
| Regierung aus FPÖ und SPÖ im Burgenland. Und nun eben FPÖ und ÖVP gemeinsam | |
| im Parlament. Na und? | |
| Also gar kein Aufschrei? „Doch, bei den Grünen-Wählern“, sagt Rabinovici. | |
| Er lacht. Es ist ein eher ein trauriges Lachen. Mit rund 3 Prozent | |
| verpassten die Grünen am Sonntag den Einzug ins Parlament. Vorläufig. Bis | |
| Donnerstag werden noch rund 750.000 Briefwahlstimmern ausgezählt. | |
| Vielleicht gelingt es den Grünen also doch noch, über die Vierprozenthürde | |
| zu kommen. | |
| ## Sehnsucht nach glorreicher Vergangenheit | |
| Aber: mit oder ohne die Grünen. Die österreichische Gesellschaft ist seit | |
| Sonntag auf dem Weg nach rechts außen. Nur: Warum rückt Österreich | |
| überhaupt nach rechts? Ein Land, das im europäischen Vergleich | |
| wirtschaftlich gut dasteht, in dem die Arbeitslosenquote bei rund 6 Prozent | |
| liegt und dessen Hauptstadt als eine der lebenswertesten Europas gilt? | |
| Eine Erklärung von Rabinovici muss erst einmal warten. Das viele Reden seit | |
| dem Morgen hat ihn hungrig gemacht. Man fährt in ein Restaurant in den 2. | |
| Bezirk, Heimat und Wirkungsstätte Rabinovicis. Im benachbarten Hamakon, | |
| früher jüdisches Kulturzentrum, heute alternative Theaterstätte, liest er | |
| oft aus seinen Büchern, führt Diskussionen – auch über den Zustand der | |
| österreichischen Gesellschaft. | |
| „Die Leute haben Angst, dass es in der Zukunft schlechter geht“, sagt | |
| Rabinovici über einer bunten Sushi-Platte und grünem Tee. Und: „Die | |
| Österreicher sehnen sich nach einer Vergangenheit, die es so nie gegeben | |
| hat.“ Die Zeiten, in denen Politiker den Bürgern das Versprechen von | |
| Kontrolle geben konnten, seien vorbei, sagt er. Der Sieg der rechten | |
| Parteien ist für Rabinovici auch ein Sieg der Ängste: vor der | |
| Globalisierung, dem sozialen Abstieg, vor angeblicher „Überfremdung“. | |
| Die ÖVP und Sebastian Kurz warben ihre Wähler mit der Forderung nach mehr | |
| Grenzschutz und einen verschärften Asylpolitik. Sie haben erfolgreich am | |
| rechten Rand gefischt. Kurz war es, der mit dem erfolgreichen „Abdichten“ | |
| der Balkanroute im Februar 2015 auf Werbetour ging. Der versprach, künftig | |
| die zentrale Mittelmeerroute zu schließen und islamische Kindergärten | |
| verbieten zu lassen. | |
| ## Das Versagen der Linken und Sozialdemokraten | |
| Dass Kurz sich thematisch bei der FPÖ bedient habe, sei einer Legitimierung | |
| der Rechten gleichgekommen, sagt Rabinovici. Grund für den Aufstieg der | |
| Rechten sieht der Schriftsteller aber auch in der Schwäche der Gegenkräfte. | |
| „Es ist nicht gelungen, den Menschen eine soziale, demokratische und | |
| wirtschaftliche Alternative zu bieten.“ Auch die SPÖ trage eine Mitschuld | |
| an dem Aufstieg von ÖVP und FPÖ, sagt Rabinovici. Es habe vor der Wahl | |
| keine dezidierte Absage an eine mögliche Koalition aus SPÖ und FPÖ gegeben. | |
| „Man wollte im Spiel sein.“ Ein Fehler, wie sich nun herausstelle. | |
| Das Sushi ist fast alle, der Tee auch. Rabinovici muss an den Schreibtisch. | |
| Zum Abschied gibt er noch einen kleinen Exkurs in die Zukunft Österreichs: | |
| Österreich als illiberale Demokratie, die nicht die versprochene soziale | |
| Verbesserung bringen werde, die sich die Wähler wünschen. Ähnlich wie in | |
| Polen oder Ungarn, sagt Rabinovici. | |
| Was sicher ist: Österreich ist nach rechts gerückt. Ein Zusammenleben in | |
| der Europäischen Union wird vermutlich schwerer werden. | |
| 17 Oct 2017 | |
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