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# taz.de -- Messe für Comicfans: Ein gehäkelter Filmstar ist sehr günstig
> Sich kostümieren wie der Lieblingsheld: Tausende kamen zur „German Comic
> Con Berlin“ und waren ihren Stars nahe.
Bild: Superheldinnen, die brav lächeln
Poison Ivy oder Catwoman? Eine wichtige Frage. Black Widow, die in
schwarzes Leder gekleidete ehemalige russische Spionin, die Marvel 1964
einführte und die im Kinouniversum des Megakonzerns seit 2010 von Scarlett
Johanssen interpretiert wird, fällt leider aus – meine Begleitung für die
„German Comic Con Berlin“, die am Wochenende in den Messehallen am Funkturm
stattfand, hat sich nämlich als Joker angekündigt. Und der Joker, ein seit
1940 sein Unwesen treibender, clownesker Antagonist des düsteren Helden
Batman, gehört selbstverständlich zu DC.
Zu wissen, dass nur ein Dilettant Marvel- und DC-Figuren vermischen würde,
gehört zu den Basics eines Comicnerds. Im alltagstauglichen
Catwoman-Catsuit samt Öhrchen und Leo-Schmuck lässt es sich außerdem
problemlos durch die beiden großen Hallen promenieren – der Joker dagegen
schwitzt sich schon auf dem Hinweg fast die gesamte weiße Paste aus dem
Gesicht auf den lila Mantel. Und für Poison Ivy hätte man eine teure
Langhaarperücke gebraucht.
Für die vielen leidenschaftlich verkleideten und zugeschminkten Cosplayer
unter den größtenteils erwachsenen Besucher*innen sind vestimentäre
Anstrengungen jedoch Ehrensache. „Cosplay“ nennt man das aus Japan
stammende Hobby, sich möglichst detailgetreu wie die Charaktere aus den
Lieblingscomics, -mangas und -filmen zu kostümieren, inklusive
Komplettaufzug, Accessoires, Uniform, und – je nach Vorbild – tonnenweise
Make-up. Präsentieren kann man das Ergebnis dann unter anderem auf solch
einer Messe.
In Deutschland wachsen die Besucherzahlen seit Jahren: Die erste „German
Comic Con“ fand 2015 mit 30.000 Besucher*innen in Dortmund statt, die
zweite 2016 in Berlin. Ende 2016 reisten 45.000 Fans zu einer weiteren
Messe nach Dortmund, und mit der Witterung von Morgenduft in der Nase
wurden in diesem Jahr außer in Berlin auch in Frankfurt am Main, München,
und Dortmund aufwendige Merchandiseschlachten gestartet.
## Signieren gegen Bares
Denn darum geht es: Eine Comic Convention ist eine riesige Verkaufs- und
Fanveranstaltung rund um die Comics-, Film- und TV- Serien-Welt, bei der
man sein Kostüm präsentieren und Heftchen, DVDs, Streamingdienst-Abos,
Kostüme und Accessoires jeder Art kaufen kann. Der „Batman-Eierbecher“ mit
Toastschneider in Batman-Logo-Form verspricht zum Beispiel ein besonderes
Frühstückserlebnis, daneben wechselt eine Kaffeetasse mit Hulk-Aufdruck für
12 Euro den Besitzer. Der Verkäufer gibt zu, dass ihm der Enthusiasmus für
die fiktionalen Welten fremd ist: „Mir geben diese Serien nichts. Bin froh,
wenn 18 Uhr ist.“
Hinter den meisten Ständen stehen jedoch Expert*innen, die ihr Hobby zum
Beruf zu machen trachten. Stefanie aus Nordrhein-Westfalen häkelt seit
Jahren in ihrer „Puppenwerkstatt“ Filmstars und Superhelden aus Wolle und
verschenkt sie bei Conventions an die lebenden Vorbilder. Für 10 Euro kann
man sich bei ihr ein 15 Zentimeter großes Püppchen für die heimische
Devotionaliensammlung kaufen, etwa einen Pennywise-Clown mit echtem
Plastikballon oder die durch den viel diskutierten feministischen
Patty-Jenkins-Film „Wonder Woman“ auch bei Superhelden-IgnorantInnen
bekannt gewordene Amazonenprinzessin mit Retrokostüm in festen Maschen.
Stefanie weist zudem stolz auf ein großes, schwarz-weißes, wollenes
Deko-Duvet an der Wand ihres Stands, auf dem sie in 17 Häkeltagen und
100.800 Maschen ihr Lieblingskonterfei des aus „Sons of Anarchy“ bekannten
Charlie Hunnam nachgehäkelt hat.
Neben der Verkaufsorgie geht es den BesucherInnen vor allem um das
persönliche Treffen mit den Stars. Comic-, Scifi- und Serienfans wird eine
besonders intensive und treue Bindung zu den Darsteller*innen nachgesagt.
Und mit dem seit einigen Jahren anhaltenden Comic-Adaptionsboom im
Mainstreamkino werden die bedürftigen Verehrer*innen immer mehr: In den
USA, wo sich in Städten wie Salt Lake City, Utah oder San Diego,
Kalifornien bis zu 130.000 Besucher*innen drängeln, findet fast an jedem
Wochenende ein Kongress statt. Die Schauspieler*innen, Zeichner*innen und
Showrunner nutzen die Orte zur Promotion ihrer Film- und Fernsehprojekte –
die Sender und Verlage bauen Fotoboxen auf, in denen man sich für Geld mit
seinem Lieblingskünstler fotografieren lassen kann. Vor allem aber sitzen
die VIP-Gäste teilweise den ganzen Tag an Tischen nebeneinander und
signieren – gegen Bares – Autogrammkarten.
Auch in Berlin, wo – wegen der Verteilung der Messen auf andere Städte in
diesem Jahr – nur rund 22.000 Menschen anreisten, entstehen schnell
Schlangen vor einigen der Darsteller*innen. Eine besonders lange wartet
geduldig vor einem braungebrannten, wackeligen Männchen mit blau getönter
Sonnenbrille, das sich anhand der weißen Zahnreihe als Lee Majors aus „Ein
Colt für alle Fälle“ und „The Six Million Dollar Man“ identifizieren l�…
Niemand steht dagegen ein paar Meter links vor dem Schauspieler Walton
Goggins aus „Django Unchained“ und „The Hateful 8“ an. Der nimmt das
sportlich: „Ich kann das verstehen – das ist ja auch für mich ein großer
Star“, sagt er, und überhaupt sei das erst seine zweite Comic Con. Er sei
mit Frau und Kind unterwegs und freue sich auf zwei Tage Sightseeing.
Sam Jones, der 1980 mit blonder Fußballerfrise für seine Darstellung des
Sportlers Flash Gordon im gleichnamigen Scifi-Film eine Nominierung für die
Goldene Himbeere einheimste, ist Comic-Con-Profi: In den USA ist er auf
fast jeder, erklärt er freundlich und kämpft beim Lächeln mit dem Botox.
Ein kleines Mädchen gibt das signierte DIN-A4-Poster mit dem jungen Jones
in rot-gelbem Trikot freudestrahlend an seine Mutter weiter, die 30 Euro
auf den Tisch legt.
30 Euro würde auch ein persönliches Autogramm vom Tarantino-Liebling
Michael Madsen kosten, der am Ende der Reihe ermattet auf der Stuhlkante
hängt, das sind 10 Euro mehr als nebenan bei Hannah Spearritt aus dem eher
einer begrenzten Fangemeinde bekannten „Primeval – Rückkehr der
Urzeitmonster“. Spearritt ist nicht am Platz, vor Madsen steht ein fülliger
Mann in Hardrock-T-Shirt mit Zopf und möchte über die nachlassende Qualität
Tarantinos schnacken. Madsen bleibt geduldig, gibt aber später zu, dass er
nicht mehr richtig bei Laune ist: „Den ganzen Tag Smalltalk, das macht dich
fertig. Am Abend bin ich total kaputt.“ Aus Langeweile will er mit einer
Frau in sexy löchrigem Poison-Ivy-Suit flirten, die verzieht sich jedoch.
## Bastel deine Zeitmaschine
Neben Workshops zum Thema „Zeitmaschinenbau“ und Kostümprämierungen werden
während der gesamten Veranstaltung auf zwei Bühnen Vorträge und Lesungen
präsentiert. Zeichner*innen reden über „brotlose Kunst“, eine junge
YouTuberin tanzt zu J-Pop und K-Pop, der Alien-Maskenbildner Connor
O’Sullivan steht Rede und Antwort zum Alien-Covenant-Kostüm. Das Alien aus
dem letzten Film der Reihe verteilt derweil in martialischem
Ganzkörpergummianzug „Free Hugs“.
Das große Thema der Convention ist immer wieder der in einem
mittelalterlich-fantastischen Paralleluniversum spielende und wegen der
vielen brutalen Szenen klar für Erwachsene konzipierte HBO-Hit „Game of
Thrones“, der von Millionen Fans längst zu „GoT“ verkürzt wird. Ein Ehe…
aus Deutschland führt auf „Stage Two“ die Diashow „Auf den Spuren der
Familie Stark“ vor. Darauf sieht man selbst gemachte Stammbäume der
GoT-Mitglieder, Wappen, CGI-Unterschiede zum Originalset und die beiden
Fans beim Setbesuch. Die Ernsthaftigkeit der Präsentation und die
selbstverständliche Vermischung des eigenen Daseins mit dem ausgedachten
der fiktionalen Familie sind der Schlüssel zur Leidenschaft, die das
Nerdtum definiert: je stärker diese Verbindung, desto größer der erwünschte
eskapistische Effekt.
(Fach-)Kritik wird darum fast nur innerhalb der Welten geäußert, und auf
Einordnung im gesamten professionellen Unterhaltungssystem wird weitgehend
verzichtet.
Der Joker hat mittlerweile das gesamte, sauer gesparte Taschengeld für die
Lego-Einzelfiguren „The Riddler“ (aus Batman) und „Cyborg“ (aus „Just…
Leage“) auf den Kopf gehauen und ist müde.
Auch anderen Besucher*innen werden die künstlichen Flügel lahm. Draußen
wippt eine siebenköpfige Spiderman-Clique zu Musik aus einer mobilen Box
und nickt anerkennend einer „Star Wars“-Shaak Ti mit überdimensionalem
Gipskopfschmuck zu. Hoffentlich übersteht der die Busfahrt nach Hause.
4 Oct 2017
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Comic-Held
Manga
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Fantasy
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