# taz.de -- Gastkommentar zum Volksentscheid: Aus Tegel lernen | |
> Als Konsequenz aus dem Volksentscheid fordert der demokratiepolitische | |
> Sprecher der Linken ein Umdenken bei der Finanzierung. Ein Gastkommentar. | |
Bild: Der FDP habe ihre Kampagne für den Volksentscheid nichts genützt, sagt … | |
Mitte September bei einem Infostand in der Wilmersdorfer Straße: Ich | |
diskutiere mit einem Bürger über den Volksentscheid Tegel und versuche ihn | |
von einem NEIN zu überzeugen. Ein langes Gespräch über Kapazitätsengpässe, | |
Single-Airport-Städte und BER-Chaos entsteht, und ich wundere mich selbst, | |
wie viel mein Gesprächspartner und mittlerweile auch ich über Berliner | |
Luftverkehrspolitik wissen. Auch ausverkaufte Säle wie in der Urania und | |
eine intensive Medienberichterstattung zeigen, dass dieser Volksentscheid | |
eine breite Debatte in der Stadt ausgelöst hat. | |
Warum es nun eine Mehrheit für den Volksentscheid gab, wird noch in Ruhe zu | |
analysieren sein. Der Zusammenhang mit den Problemen um den BER ist | |
jedenfalls offensichtlich. Bei vielen Bürgern hat sich festgesetzt, dass | |
der BER zu klein geplant sei. Daran konnten auch die Ausbaupläne der | |
Flughafengesellschaft nichts mehr ändern. Und es war nicht hilfreich, dass | |
es auch dem neuen Flughafenchef trotz anders lautender Ankündigungen nicht | |
gelungen ist, einen Termin für die Inbetriebnahme zu nennen. Auch das | |
fehlende Nachtflugverbot am BER dürfte einige Bürger im Südosten dazu | |
bewogen haben, mit Ja zu stimmen. | |
Wie schon beim Volksentscheid zum Flughafen Tempelhof im Jahre 2008 (der | |
allerdings am Zustimmungsquorum scheiterte) hat sich also nun wieder eine | |
Mehrheit der Abstimmenden für die Offenhaltung eines Flughafens | |
ausgesprochen. Dies ist in einer durch direkte Demokratie ergänzten | |
repräsentativen Demokratie ein völlig undramatischer Vorgang. Es war eine | |
Entscheidung über ein konkretes Sachthema, und es war keine Abrechnung mit | |
Rot-Rot-Grün. | |
Dies lässt sich auch durch Zahlen belegen. Während sich beim Volksentscheid | |
56,1% für die Offenhaltung Tegels und 41,7% dagegen aussprachen, liegen | |
SPD, Linke und Grüne bei der Bundestagswahl in Berlin trotz Verlusten mit | |
49,3% deutlich vor der Opposition mit 43,6%. Und falls es bei der FDP das | |
Kalkül gab, den Volksentscheid als Vehikel zur Gewinnung von Stimmen bei | |
der Bundestagswahl zu nutzen, so ist es nicht aufgegangen. Ihr Berliner | |
Wahlergebnis blieb auch dieses Mal unter dem Gesamtergebnis der | |
Bundestagswahl und auch der Zuwachs war nur leicht überdurchschnittlich. | |
Schwierig an diesem Volksentscheid waren vor allem zwei Aspekte: zum einen | |
die geradezu unverschämte Unterstützung des Dumpingfliegers Ryanair. Erst | |
beauftragte der am Erhalt von Tegel ökonomisch interessierte Konzern ein | |
Gutachten, das mit völlig unrealistischen Annahmen zum Wachstum des | |
Flugverkehrs operierte und fröhlich von FDP und AfD herumgereicht wurde. | |
Dazu kam die Posse um die Aufstellung von über 100 Großplakaten, die durch | |
Ryanair gesponsert wurden. Bände spricht auch, dass die Initiative die | |
Plakatspende durch Ryanair erst nach zweimaligem Anmahnen durch die | |
Landesabstimmungsleiterin und erst wenige Tage vor der Abstimmung | |
deklariert hat. Allerdings spricht wenig dafür, dass diese Unterstützung | |
einen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis hatte. | |
Zweitens ist es natürlich ein Problem, wenn über eine nicht verbindliche | |
Vorlage abgestimmt wird, die – wenn überhaupt – nur mit größten Mühen u… | |
Risiken umgesetzt werden kann. Die Initiative hat hier wenig zur Aufklärung | |
beigetragen, teilweise sogar suggeriert, Tegel wäre in jedem Fall gerettet, | |
wenn es ein Ja beim Entscheid gibt. Es stellt sich die Frage, ob der | |
damalige Senat überhaupt eine ernsthafte Zulässigkeitsprüfung des | |
Volksbegehrens, zu der er verpflichtet gewesen wäre, durchgeführt hat. | |
Und wie soll es jetzt mit Tegel weitergehen? Klar ist, dass das Ergebnis | |
des Volksentscheids zu akzeptieren und zu respektieren ist. Allerdings ist | |
unstrittig, dass Berlin eine Offenhaltung Tegels nur mit der Zustimmung | |
Brandenburgs und des Bundes erreichen könnte. Und dann ist hochgradig | |
ungewiss, ob die ganze Kaskade von nötigen weiteren Verwaltungs- und | |
Planungsentscheidungen in einem überschaubaren Zeitraum zu einem | |
bestandskräftigen Ergebnis führen würde. Von daher wäre es | |
demokratiepolitisch die sauberste Lösung, wenn der Senat zunächst das | |
Gespräch mit Brandenburg und dem Bund sucht. Bei Bereitschaft der beiden | |
Partner müsste dann eine erneute juristische Prüfung der Möglichkeiten der | |
Offenhaltung erfolgen. | |
## Auch Parteien dürfen Initiatoren sein | |
Was bedeutet dieser Volksentscheid nun für die direkte Demokratie in | |
Berlin? Ist sie beschädigt, sollte sie eingeschränkt oder gar von ihr | |
Abstand genommen? Selbstverständlich nicht. Denn auch ein aus linker | |
Perspektive verlorener Volksentscheid ändert nichts daran, dass die | |
Bürgerinnen und Bürger auch zwischen Wahlen in Sachfragen mitentscheiden | |
und der Politik keinen Blankoscheck ausstellen wollen. Durch Volksbegehren | |
und Volksentscheide kommen Fragen auf die Tagesordnung, die von der Politik | |
nicht gesehen werden. Volksentscheide zeigen, wo den Menschen der Schuh | |
drückt. | |
R2G hat sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, die direkte Demokratie | |
weiter zu entwickeln und zu stärken. Es gilt, die Erfahrungen mit | |
Volksbegehren und Volksentscheiden der letzten Jahre auszuwerten, Hemmnisse | |
abzubauen und zum Beispiel durch ein Anhörungs- und Nachbesserungsrecht für | |
eine bessere Verschränkung von direkter und parlamentarischer Demokratie zu | |
sorgen. | |
Selbstverständlich ist auch der Volksentscheid Tegel auszuwerten. Dies | |
sollte aber in Ruhe und nicht in Form von unüberlegten Schnellschüssen | |
geschehen. So wäre es zum Beispiel ein Fehler, Parteien in Zukunft die | |
Trägerschaft von Volksbegehren zu untersagen. Dies wäre schon rechtlich | |
nicht mit der durch das Grundgesetz festgelegten besonderen Rolle der | |
Parteien bei der politischen Willensbildung vereinbar. Es ist aber auch | |
legitim, wenn gerade Oppositionsparteien, deren parlamentarische Anträge in | |
der Regel von den Mehrheitsfraktionen abgelehnt werden, Volksbegehren | |
initiieren. | |
## Wann immer möglich: Mit Gesetzentwurf | |
Ein anderer Vorschlag hat demgegenüber deutlich mehr Substanz. | |
Volksentscheide sollten zukünftig nur noch über Gesetzentwürfe stattfinden, | |
damit es keine Schwierigkeiten mehr mit der Verbindlichkeit und Umsetzung | |
von Volksentscheiden gibt. Dies ist einerseits absolut nachvollziehbar, | |
andererseits hat auch dieser Vorschlag seine Tücken, da sich bei Weitem | |
nicht alle für Berlin wichtigen politischen Fragen per Gesetz regeln | |
lassen. Zum Beispiel wäre dann auch kein Volksentscheid in Berlin über die | |
Einführung eines Nachtflugverbots möglich, weil dies wie bei Tegel im | |
Rahmen der gemeinsamen Landesplanung zwischen Berlin und Brandenburg | |
eingeführt werden müsste. Auch eine Aufforderung an den Senat, eine | |
bestimmte Bundesratsinitiative (etwa zur Einführung einer CO2-Steuer oder | |
zur Absenkung der Modernisierungsumlage) einzubringen, wäre dann nicht mehr | |
möglich. Klar ist aber: Jede Initiative, die einen konkreten Gesetzentwurf | |
vorlegen kann, sollte dies auch unbedingt tun. | |
Last but not least sollten in jedem Fall die Regelungen zur Finanzierung | |
von Volksbegehren überprüft werden. Schon der Anschein einer Beeinflussung | |
politischer Entscheidungen durch wirtschaftliche Interessen schadet der | |
direkten – allerdings auch der repräsentativen – Demokratie. Es sollte | |
somit überlegt werden, ob die Offenlegungsbestimmungen für Spenden im | |
Zusammenhang mit Volksbegehren und Volksentscheiden geschärft werden | |
müssen. | |
Im Gegenzug ist auch eine begrenzte öffentliche Kostenerstattung für die | |
Initiatoren von Volksentscheiden zu erwägen. Denn nur die wenigsten | |
Initiativen können auf die Unterstützung durch Großspender oder Unternehmen | |
zählen. | |
27 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Michael Efler | |
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