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# taz.de -- ZDF-TV-Krimi-Reihe „Schuld“: Depri-Pornos mit Jaguar
> Die neuen Verfilmungen der Kurzgeschichten des Autors Ferdinand von
> Schirach lassen den Anwaltsberuf wieder attraktiv erscheinen.
Bild: Anwalt Kronberg (Moritz Bleibtreu) sucht seinen Mandanten im Gefängnis i…
Der Regisseur Dominik Graf hat kürzlich die Gleichförmigkeit der aktuellen
deutschen Filme so beschrieben: „… und meistens spielt Lars Eidinger mit.“
Tatsächlich war es eine der größten Überraschungen im Fernsehen, dass bei
der jüngsten Neubesetzung im Berliner „Tatort“-Kommissariat nicht Lars
Eidinger, sondern sein Schaubühnenkollege Mark Waschke zum Zug kam.
Wahrscheinlich war der sichere Beamtenjob einfach nicht vereinbar mit
Eidingers Neigung zu möglichst radikalen Charakteren.
Charakteren wie diesem unfassbar dämlichen Gangster, der sich als Krönung
seiner notorisch erfolglosen kriminellen Karriere für läppische 500 Euro
anheuern lässt, zwölf Kilo Kokain aus Brasilien nach Deutschland zu
schmuggeln. Das Unternehmen endet – logisch – in einem alle Horrormeldungen
über brasilianische Gefängnisse bestätigenden brasilianischen Gefängnis.
Der Gangster weiß es zwar gar nicht, aber zu seinem Glück hat er einen
familienbewussten Halbbruder: Jürgen Vogel als im Matcha rührender
Zen-Zampano. Und das wirklich Schöne an dieser Jürgen-Vogel-Figur ist das
unfreiwillig Parabelhafte. Denn das ganze Zen-Japan-Gedöns suggeriert ja
Bescheidenheit – und demonstriert, wenn ein Deutscher das hierzulande so
übertrieben ernst praktiziert, das Gegenteil: Aneignung, Anmaßung.
## Falsche Lakonie
Wurde schon gesagt, dass dieser Text von vier neuen Folgen „SCHULD nach
Ferdinand von Schirach“ (Regie: Hannu Salonen) handelt?
Genauso wie mit der Jürgen-Vogel-Figur (aus der vierten Folge) verhält es
sich jedenfalls auch mit der Literatur von Ferdinand von Schirach. Er
verzichtet auf Adjektive und hält das dann für Lakonik. Seine Geschichten
geben vor, nichts als sie selbst zu sein. Gespeist aus der Lebens- und
Berufserfahrung des weise gewordenen Strafverteidigers: „Die Schuld eines
Menschen ist schwer zu wiegen. Wir streben unser Leben lang nach Glück.
Aber manchmal verlieren wir uns und die Dinge gehen schief. Dann trennt uns
nur noch das Recht vom Chaos. Eine dünne Schicht aus Eis, darunter ist es
kalt – und man stirbt schnell.“
Was für ein pathetisches Gesülze! Der arme Moritz Bleibtreu muss das am
Ende jeder Folge als Quintessenz aufsagen. Er gibt als Rechtsanwalt
Friedrich Kronberg von Schirachs Alter Ego für die juristische
Rahmenhandlung: professionell und empathisch zugleich, lässig,
distinguiert, elegant – er fährt einen Jaguar, aber einen alten, aus einer
Zeit, als Autos noch schön sein konnten. Und dann diese noblen Kanzleiräume
– es bleibt rätselhaft, wie er die als Strafverteidiger mit den Mandaten,
von denen der Fernsehzuschauer erfährt, soll bezahlen können. (Sein Verlag
weiß allerdings über – den echten – von Schirach: „Zu seinen Mandanten
gehören Industrielle, Prominente, Angehörige der Unterwelt und ganz normale
Menschen.“) War man doch selbst einmal als Rechtsanwalt zugelassen, ist man
im Angesicht der Noblesse dieses Friedrich Kronberg beinahe versucht,
rückfällig zu werden.
## Eine Frage der Wahrhaftigkeit
Die eigene Erfahrung lässt allerdings auch immer wieder Zweifel an den
Geschichten aufkommen, für deren – literarisierte – Wahrhaftigkeit von
Schirach doch mit seinem, nun ja, guten Namen einstehen will. Kein
Fernsehsender der Welt hätte diese Geschichten verfilmt, würde ihr Autor
sie als reine Fiktion ausgeben. So unfassbar deprimierend ist das alles.
Ist von Schirach möglicherweise der Begründer und erste Vertreter des
Depri-Pornos? Das ist gar nicht sexuell gemeint – obwohl von Schirach auch
das draufhat: Im dritten Teil nötigt ein Schwerbehinderter seine Schwester,
nackt für ihn Cello zu spielen, damit er dazu onanieren kann. Das ist so
pervers, es muss wahr sein. Oder?
Die juristischen Zweifel stellen sich bereits in der ersten Folge ein.
Sollte eine Grundschülerin tatsächlich nicht nur so kaltblütig, sondern
auch intellektuell in der Lage sein, immerhin 24 Fälle eines sexuellen
Missbrauchs widerspruchsfrei zu konstruieren, um einen Mann, dem sie nur
einmal kurz begegnet ist, unschuldig ins Gefängnis zu bringen? Ganz so
leichtfertig wie hier vorgeführt verurteilen Richter einen Menschen nicht.
In der zweiten Folge fährt ein Mann zu schnell durch eine Ortschaft und
überfährt einen anderen Mann. Der hatte seine Methode über Jahre an
Haustieren verfeinert und sich gerade aufgemacht, zum ersten Mal eine junge
Frau bei lebendigem Leib mit chirurgischem Instrumentarium zu zerlegen.
Der Autofahrer hat ihr Leben gerettet – und versteht nun nicht, wenn
Friedrich Kronberg ihm erklärt, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun
hat. Weil das so ist – und weil der Tod des Täters ein sogenanntes
Strafverfolgungshindernis bedeutet, wird nicht plausibel, warum der
Zuschauer der Polizei eine ganze Folge lang bei ihren gänzlich
überflüssigen Ermittlungen gegen den Beinahe-Mörder zusehen soll. Etwa nur,
um Iris Berben (die Mutter des produzierenden Oliver Berben) in ihrer Rolle
als verdruckstes Spießbürgermütterchen des Sadisten zu bewundern? Zu
„Sketchup“-Zeiten hat die Berben solche Frauen oft parodiert – jetzt meint
sie das also ganz ernst?! Aha.
15 Sep 2017
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
TV-Krimi
Ferdinand von Schirach
Lars Eidinger
Ferdinand von Schirach
Tatort
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Die Couchreporter
ZDF
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