# taz.de -- Terror im deutschen Fernsehfilm: Zweifel? Niemals! | |
> Oft drückt sich der deutsche TV-Film vor politischen Themen. Außer wenn | |
> es um Terror geht. Über den ZDF-Zweiteiler „Verlorene Sicherheit“. | |
Bild: Identitätsstiftende Instanz: Ermittlerin Prohacek (Senta Berger) | |
Ein Terroranschlag beim Münchner Oktoberfest: Zum großen Trachten- und | |
Schützenumzug durch die Innenstadt bis zur Theresienwiese explodiert eine | |
Autobombe und fordert zahlreiche Opfer. Die Welt scheint für einen kurzen | |
Augenblick geschockt stillzustehen, doch schnell setzen die bekannten | |
gesellschaftlichen und politischen Reflexe wieder ein. Auch die medialen | |
Abläufe im Rahmen einer solchen Katastrophe sind im Angesicht der sich in | |
ähnlichen Mustern wiederholenden Ereignisse der vergangenen Jahre, sei es | |
in Nizza, Berlin oder London, für Zuschauer längst zu traurigen Routine | |
geworden. | |
Mit diesem fiktiven Anschlag aufs Oktoberfest, mit dieser Szene der | |
Schockstarre kommt der erste Teil der Doppelfolge „Unter Verdacht“ ins | |
Rollen. [1][„Verlorene Sicherheit“ heißen die zwei Teile], in denen | |
Kriminalrätin Dr. Eva Maria Prohacek, gespielt von Senta Berger, versucht, | |
den Fall aufzuklären. Und zwar ein Jahr nachdem der eigentliche Anschlag | |
sich ereignet hat. Ermittlerin Prohacek soll die Herkunft eines Videos | |
klären, das den jungen Polizisten Cem Oktay (Sohel Altan Gol) belastet, | |
weil es nahelegt, er könne der Komplize des Attentäters gewesen sein, weil | |
er dessen Auto am Kontrollpunkt hat passieren lassen. | |
Prohacek ist von der Unschuld des Beamten überzeugt, hatte sie doch einst | |
die Vormundschaft für ihn übernommen. Weil aber Landtagswahlen anstehen, | |
wird sie von der Bundesanwaltschaft unter Druck gesetzt – und findet sich | |
schließlich in einem undurchsichtigen Netz aus internen Verstrickungen | |
wieder, in dem die Stigmatisierung des türkischstämmigen Beamten billigend | |
in Kauf genommen wird. | |
## Keine Angst vor Terror | |
Der Vorwurf, das fiktionale Fernsehen in Deutschland halte sich von | |
aktuellen Debatten lieber fern, wird momentan zumindest beim Thema „Terror“ | |
regelmäßig widerlegt. Die ARD beschäftigte sich unter anderem in einem | |
Dortmunder „Tatort“ mit dem Thema, strickte aus dem Theaterstück „Terror… | |
von Ferdinand von Schirach ein Zuschauerevent und kann sich seit dem | |
letzten Jahr mit einem internationalen Emmy für den Fernsehfilm „Unterm | |
Radar“ mit Schauspielerin Christiane Paul brüsten. Auch der bereits 2015 | |
entstandene „Unter Verdacht“-Zweiteiler sorgte bereits bei seiner | |
Erstausstrahlung auf Arte Anfang Mai für Aufsehen – und außergewöhnlich | |
viele Zuschauer. | |
„Die Angst vor dem Terror und der Flüchtlingskrise hat die politische | |
Landschaft in Europa in den letzten fünf Jahren stark verändert. Die daraus | |
entstandene Polarisierung hat viele in unserer Generation verunsichert“, | |
sagen die Drehbuchautoren Stefan Holtz und Florian Iwersen. „Insofern | |
brannte es uns auf den Nägeln eine solche Thematik in 'Unter Verdacht’ zu | |
bearbeiten, zumal die Reihe stets ein Seismograf für aktuelle politische | |
Vorgänge war.“ | |
Produzent Mario Krebs interessieren eher die Auswirkungen der | |
vielbeschworenen „diffusen Angst“ in der Gesellschaft. Während der | |
Dreharbeiten habe sich der Angriff auf das Pariser Bataclan ereignet, und | |
als der Film abgeliefert worden sei, die Anschläge in Würzburg, Ansbach und | |
Nizza, sagt er. „Vor diesem fürchterlichen Hintergrund war unsere | |
Grundsatzentscheidung richtig, uns gerade nicht vom 'Reiz der | |
Ausnahmesituation’ leiten zu lassen, sondern an dem Punkt erzählerisch zu | |
beginnen, wo die aktuelle Berichterstattung endet.“ Es sei ihnen um die | |
Frage gegangen, „was ein islamistisch motivierter Terroranschlag mit | |
Menschen macht, die zum Beispiel einen Migrationshintergrund haben und | |
wie diese zum Spielball politischer Opportunität werden.“ | |
Handwerklich gehört „Verlorene Sicherheit“ zu den besseren deutschen | |
TV-Produktionen. Das Drehbuch ist stimmig, die Erzählung recht stringent, | |
Inszenierung und Schauspielführung routiniert. Auch die Darsteller, allen | |
voran Berger, können überzeugen. | |
Blendet man allerdings den gewohnten öffentlich-rechtlichen Rahmen aus und | |
vergleicht den Film mit internationalen Produktionen und ihren zeitgemäßen | |
erzählerischen Perspektiven, wird offensichtlich, dass die über weite | |
Strecken recht gemächlich erzählte dreistündige Story gut und gerne auch in | |
intensiven 120 Minuten inszeniert hätte werden können, wenn man die fürs | |
Bügelfernsehen üblichen Redundanzen einfach einmal vermieden hätte. | |
## Ambivalenz erspart | |
Wie in fast allen beliebten deutschen Krimiformaten der Sendeschiene | |
bekommen die Zuschauer zudem eine Ermittlerin als identitätsstiftende | |
Instanz vorgesetzt, auf deren moralisches Urteilsvermögen sie sich | |
verlassen können, um Abstand zum Geschehen stets wahren zu können. Prohacek | |
hat niemals Zweifel an der Unschuld des verdächtigen muslimischen | |
Polizisten, deswegen müssen sich auch die Zuschauer niemals wirklich ihren | |
eigenen Vorurteilen stellen. So verzichten die Filme an den | |
interessantesten Stellen genau auf jene Ambivalenzen, die eine persönliche | |
Auseinandersetzung mit dem Thema vielleicht wirklich unangenehm machen | |
würden. | |
17 Jun 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zdf.de/filme/unter-verdacht | |
## AUTOREN | |
Jens Mayer | |
## TAGS | |
ZDF | |
Fernsehfilm | |
Terror | |
TV-Krimi | |
Tatort | |
Arte | |
Tatort | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
ZDF-TV-Krimi-Reihe „Schuld“: Depri-Pornos mit Jaguar | |
Die neuen Verfilmungen der Kurzgeschichten des Autors Ferdinand von | |
Schirach lassen den Anwaltsberuf wieder attraktiv erscheinen. | |
„Tatort“ aus München: Zebras im Zwielicht | |
Das Grauen vor der Vergangenheit bleibt – diffus im Hintergrund. Diesen | |
München-„Tatort“ von 2015 kann man durchaus zum zweiten Mal gucken. | |
TV-Kritik zu „Durch die Nacht mit …“: Bildungsbürger sind nur Menschen | |
In der Arte-Serie „Durch die Nacht mit …“ streift Schauspielerin Martina | |
Gedeck mit Schriftsteller Navid Kermani durch Neapel. | |
„Tatort“ aus Berlin und Juden im Film: Typisch jüdisch, oder? | |
Deutsche Filme stellen jüdisches Leben meist klischeehaft dar. Der Berliner | |
„Tatort“ mit seiner ersten jüdischen Kommissarin macht es besser. |