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# taz.de -- Porträt von Víkingur Ólafsson: Freundschaft mit jedem Klavier
> Der isländische Pianist Víkingur Ólafsson ist ein Shootingstar der
> Klassikszene. Seine Vorlieben reichen von Philipp Glass bis zu Mozart.
Bild: Víkingur Ólafsson
„Die 5. Symphonie in B-Dur von Anton Bruckner ist die perfekte
Flugzeugmusik“, sagt Víkingur Ólafsson und lacht. Erst beim Fliegen kann
der isländische Pianist so richtig abschalten und in das Klanguniversum
Bruckners eintauchen. Auf dem Erdboden ist es für ihn durch den vollen
Terminkalender schwer, die Ruhe und Konzentration für längere Meisterwerke
zu finden.
Das über 70 Minuten andauernde Stück von Bruckner hat er deshalb genau wie
Mozarts Konzert für Klavier und Orchester in c-Moll über den Wolken im Kopf
auseinandergenommen und genossen, bevor er die Musik für seine drei
Auftritte im Berliner Konzerthaus diese Woche selbst einstudierte.
Besonders Mozarts Klavierkonzert hat es dem Pianisten angetan.
Die Euphorie über das Stück ist selbst am Telefon in Ólafssons Stimme
hörbar. Begeistert beschreibt er, wie Mozart darin verschiedene
musikalische Epochen anschneidet. Der erste Satz schaut musikalisch nach
vorne – eine Vision der romantischen Sturm-und-Drang-Zeit hatte Mozart
schon 1786. Im dritten Part des Klavierkonzerts bekämen die Zuhörer einen
Einblick in die Zeit des Barocks – Kontrapunkte, wie man sie von Bach
kennt, inklusive.
## Großes Lieblingsspielzeug
Im Interview wird schnell klar, wie sehr Ólafsson seinen Job als Pianist
und Interpret der Musiker, die er so bewundert, liebt. Für ihn war schon
als Kind klar, dass er Klavierspieler wird. „Das Klavier war immer mein
absolutes Lieblingsspielzeug“, sagt er.
Den ersten Kontakt dazu hatte er schon im Bauch seiner Mutter. Als die
angehende Pianistin schwanger in Berlin Klavier studierte, war er als
Embryo vom Klang des Tasteninstruments umgeben. Die familiäre Verbundenheit
zur deutschen Hauptstadt zog Ólafsson sogar später zurück in die Metropole.
Noch heute besitzt er in Berlin eine Wohnung.
Er selbst wuchs jedoch in Island auf. Im Jahr 1984, seinem Geburtsjahr, zog
die Familie nach Reykjavík. Seine Mutter, die zu Hause Klavierstunden gab,
fokussierte nie, dass ihr Sohn sich in das Instrument verlieben sollte. Es
war Ólafssons eigenes Interesse, ständig darauf zu spielen und zu üben.
Der Pianist erinnert sich im Gespräch, dass er den Lehrstunden seiner
Mutter geduldig im Wohnzimmer zuhörte, nur um anschließend selbst auf dem
Instrument zu spielen. Es war sein eigenes Bestreben, immer besser zu
werden. Musikwettbewerbe und eine strengere Lernatmosphäre kannte er nicht.
Die Freude am Spielen hat er bis heute nicht verloren.
Wie sehr er selbst in der Musik steckt, merkt man bei seinen Auftritten.
Seine Aufführung von Philip Glass’ Stücken im kleinen Saal des
Konzerthauses Anfang des Jahres war beeindruckend. Obwohl seine Person in
den Pausen konzentriert, fast sogar angespannt wirkte, löste sich dieses
Gefühl bei seinem Berühren der Tasten des Konzertflügels. Dass er wirklich
in der Musik drinnen war, konnte jeder Zuschauer spüren.
Mit dieser Leidenschaft wurde er in den letzten Jahren zum Shootingstar der
Klassikszene. Er spielte in den bedeutendsten Konzerthäusern wie der
Elbphilharmonie in Hamburg oder dem Lincoln Center in New York. Nebenbei
brachte Ólafsson seine erste Deutsche- Grammophon-Veröffentlichung, „Philip
Glass Piano Works“, auf den Markt.
Die Interpretationen von Glass’ minimalen Werken darauf konnte er dem
Komponisten sogar persönlich zeigen. Gerade, weil er die Stücke so anders
spiele als der Komponist selbst, war er sich nicht sicher, auf welche
Reaktion er stoßen würde. Die Zweifel verflogen aber schnell – Glass sei
aufgeschlossen gewesen und hätte ihn im Spiel bekräftigt.
„Viele Komponisten, die auch Performer sind, besitzen die Offenheit,
experimentieren zu wollen“, sagt Ólafsson. Das Experimentieren ist für den
Isländer die Seele der Musik. Es wäre wichtig zu akzeptieren, dass die
eigene Musik größer ist als man selbst – dann könnte man loslassen und die
Interpretationen anderer Spieler genießen.
Der Isländer glaubt, dass auch Bach und Mozart so offen gewesen sein
müssen. „Beide waren Improvisationstalente – ich bin mir sicher, dass ihr
Vortrag eines Stückes nie zweimal gleich klang“, sagt er über die
verstorbenen Musikerlegenden.
Die Zusammenarbeit vom Interpreten und Urheber eines Werkes ist für
Ólafsson die Stärke der klassischen Musik. „Die Musik verändert sich
andauernd, weil die Interpretationen jeder neuen Generation einen modernen
Eigenanteil besitzen“, sagt er. Deshalb sei die Klassik bis heute aktuell.
Neben den Interpretationen seines Repertoires schreibt Ólafsson auch eigene
Stücke. An den drei Aufführungstagen im Konzerthaus Berlin werden die
Zuschauer zwei kurze, an Mozart angelehnte Werke von ihm hören. Auf die
Frage, wie lange pro Tag er üben muss, muss er lachen: „Das willst du
eigentlich nicht wissen.“ Er spiele so oft, wie es geht.
Ólafssons Offenheit und Fürsorge für sein Lieblingsinstrument kommt durch
sein positives Herangehen: „Ich bin immer streng mir gegenüber, nie dem
Klavier“, sagt er. Egal auf welchem Klavier er spielt – er versucht immer
zuerst, Freundschaft mit dem Instrument zu schließen.
21 Sep 2017
## AUTOREN
Lorina Speder
## TAGS
Klassische Musik
Mozart
Elbphilharmonie
Klassik
The Beatles
Elbphilharmonie
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