# taz.de -- Parlamentswahl in Norwegen: Blau-Blau mit blauem Auge | |
> Das konversative Regierungsbündnis von Erna Solberg gewinnt knapp die | |
> Wahl. Die Sozialdemokraten stürzen ab. Klimaparteien legen zu. | |
Bild: Nicht die Wahlsiegerin, aber trotzdem siegreich: Norwegens wohl auch kün… | |
STOCKHOLM taz | „Das werden die beiden Damen bestimmen“, antwortete die | |
norwegische Einwanderungsministerin Sylvi Listhaug in der Wahlnacht auf die | |
Frage, wie ihre persönliche politische Zukunft aussehen werde. Die beiden | |
Damen, die bisherige Ministerpräsidentin und Vorsitzende der konservativen | |
Høyre Erna Solberg und ihre Stellvertreterin und Vorsitzende der | |
rechtspopulistischen Fortschrittspartei Siv Jensen, werden noch mehr | |
bestimmen. Von den NorwegerInnen erhielten sie bei der Parlamentswahl am | |
Montag das Mandat, das Land auch in der kommenden Legislaturperiode zu | |
regieren. | |
Zwar mussten ihre beiden Parteien Federn lassen, Høyre verlor 1,7 Prozent | |
und wurde mit 25,1 Prozent nur zweistärkste Partei, die Fortschrittspartei | |
landete mit 15,3 Prozent und einem Minus von 1,1 Prozent auf dem dritten | |
Platz. Und auch die beiden Mitteparteien, auf die sich die wegen ihrer | |
Parteifarben blau-blau genannte Koalition in den vergangenen vier Jahren | |
stützen konnte, rutschten ins Minus. Aber weil die liberale Venstre und die | |
Christdemokraten mit 4,3 und 4,2 Prozent knapp die Vier-Prozent-Hürde | |
nahmen, kommt diese Konstellation auf 89 der 169 Parlamentsmandate. | |
Die von den Sozialdemokraten geführte Regierungsalternative muss sich | |
dagegen mit 80 Mandaten begnügen. Zwar wurde die sozialdemokratische | |
Arbeiterpartei mit 27,4 Prozent wieder stärkste Partei, sie ist aber | |
gleichzeitig mit einem Minus von 3,4 Prozent die größte Verliererin der | |
Wahl. Erstmals seit 2001 landete sie unter 30 Prozent – noch im April | |
hatten Meinungsumfragen 40 Prozent für möglich gehalten. Dass dieser | |
Vorsprung verspielt wurde und es seither ungebremst bergab ging, schreiben | |
die meisten Analysen nicht nur einer falschen Strategie, sondern auch der | |
Person Jonas Gahr Støre zu, der 2014 den Parteivorsitz vom populären Jens | |
Stoltenberg übernommen hatte. | |
## Fragwürdige Hedgefonds | |
Der Rechtskurs, den Gahr Støre einschlug, indem er statt auf Rot-Rot-Grün | |
auf eine Koalition mit den Christdemokraten hinarbeitete, wurde nicht nur | |
von den Gewerkschaften kritisiert, er verlor damit auch Teile der | |
Kernwählerschaft. Drei Tage vor der Wahl öffnete er dann zwar wieder die | |
vorher zugeschlagene Tür nach links, doch das kam zu spät. Und der als | |
mehrfacher Milionär mit einer Ausbildung an einer französischen | |
Eliteuniversität doch recht untypische Vorsitzende einer Arbeiterpartei | |
konnte mit seinem Hauptwahlkampfthema, der Ungleichheit, nicht punkten. | |
Dass der politische Gegner bis wenige Tage vor der Wahl wartete, bevor man | |
die Skelette präsentierte, die man im Keller des Vorsitzenden entdeckt | |
hatte – fragwürdige Hedgefonds und Investitionen in unethischen | |
Vermögensanlagen –, darüber konnten sich Gahr Støre und die Partei nicht | |
beschweren. Sie hatten lange genug Zeit gehabt, das aufzuräumen. | |
Auch im direkten persönlichen Vergleich konnte der steife und | |
zurückhaltende Gahr Støre, dessen Zukunft als Vorsitzender in Frage | |
gestellt sein dürfte, mit der volksnahen Erna Solberg nicht mithalten. „Sie | |
steht für einen vertrauenserweckenden und sicheren Kurs“, sagt der | |
Journalist und PR-Mann Hans Geelmuyden: „Eine Art norwegische Angela Merkel | |
– keine Experimente.“ | |
Konnte bei der Linksopposition die Arbeiterpartei nicht liefern, reichte | |
das, was vier kleinere Parteien mit einem Plus von 8,4 Prozent auf die | |
Waagschale brachten letztendlich auch nicht aus, weil zwei von ihnen, die | |
sozialistische Rødt und die grüne Umweltpartei nicht über die | |
Vier-Prozent-Hürde kamen. Sie schafften damit nur jeweils ein Direktmandat | |
statt der ansonsten möglichen jeweils sechs bis acht Mandate. | |
## Ein Votum für den Klimaschutz | |
Dass alle „Ölparteien“ verloren und bei der Wahl ausschließlich | |
„Klimaparteien“ zulegen konnten, wurde in verschiedenen Kommentaren als | |
Wille zur Veränderung bewertet. Große Teile der Bevölkerung seien bei dem | |
Thema weiter als die großen Parteien. Rund 30 Prozent stimmten für | |
Parteien, die mit Rücksicht auf das Klima für einen Stopp oder wenigstens | |
eine kräftige Beschränkung der Erkundung von Öl- und Gasvorkommen | |
plädieren. | |
In Oslo wird es vermutlich mit einer Minderheitsregierung aus Høyre und | |
Fortschrittspartei weitergehen. Minderheitsregierungen sind in den letzten | |
fünf Jahrzehnten die Regel und nicht die Ausnahme gewesen. Anders als in | |
den vergangenen vier Jahren werden sich Solberg und Jensen aber nicht mehr | |
auf Christdemokraten und Liberale als feste Zusammenarbeitspartner stützen | |
können. Zumindest die Christdemokraten kündigten an, „keine | |
Fortschrittspartei-Regierung mehr zu unterstützen“. Es ist eine schwächere | |
Regierung zu erwarten, die sich von Fall zu Fall parlamentarische | |
Mehrheiten suchen muss. Sie wird es schwer haben, eine ganze | |
Legislaturperiode durchzuhalten. | |
12 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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