| # taz.de -- Erneuerbare Energien in Skandinavien: Rentiere gegen Windkraft | |
| > Norwegen und Schweden haben Genehmigungen für Windkraftparks aufgehoben. | |
| > Die Anlagen behindern die Zucht der Rentiere. | |
| Bild: Rentiere in Lappland: Viele Ureinwohner leben von der Zucht | |
| Stockholm taz | Rentiere contra Windkraftausbau. Zweimal binnen weniger | |
| Wochen haben skandinavische Gerichte jetzt über diesen Konflikt entscheiden | |
| müssen, und beide Male gewannen die Rentiere. | |
| In Norwegen hob der Oberste Gerichtshof des Landes von den Vorinstanzen | |
| abgesegnete Genehmigungen für einen Windkraftpark in Mittelnorwegen | |
| teilweise auf. Erst wenn festgelegt sei, wie dortige Rentierzüchter | |
| ausreichend entschädigt werden können, darf die Anlage mit einer Leistung | |
| von 1.000 Megawatt, die 2020 in Betrieb gehen sollte, weitergebaut werden. | |
| Und auch in Nordschweden wurden Teile von Markbygden 1101, dem Projekt für | |
| Schwedens größten Windkraftpark, erst einmal von Rentieren blockiert. | |
| Die Genehmigung für einen Teilabschnitt von 442 der 1.101 Anlagen wurde vom | |
| Umweltverwaltungsgericht Umeå aufgehoben. Die Genehmigungsbehörde habe die | |
| Einwirkung von Bau und Betrieb der Windkraftanlagen auf die Rentierzucht | |
| der Sami nicht genügend berücksichtigt. Es sei zu prüfen, ob der umfassende | |
| Eingriff in die Rentierwirtschaft allein über ökonomische Kompensation | |
| ausgeglichen werden könne, wie sich Bauherr und Behörden dies vorgestellt | |
| hatten. Die Frage von Kompensationen sei nämlich zweitrangig, so die | |
| Argumentation: In erster Linie gehe es darum, Schäden zu vermeiden, damit | |
| die Zukunft für die Rentierzucht der dortigen Sami sichergestellt sei. | |
| Das Gericht reagiert damit auf Studien, die vor negativen Effekten der | |
| Windkraftanlagen auf die Rentiere warnen. Abgesehen davon, dass deren Bau | |
| die der Rentierwirtschaft zur Verfügung stehenden Flächen weiter schrumpfen | |
| lässt, zeigen Forschungsberichte, dass Rentiere von den bis zu 200 Meter | |
| hohen Windrädern offenbar erheblich irritiert werden. | |
| Sie würden von den Anlagen so gestört, dass sie diese auch nach langer | |
| Betriebszeit weiträumig umgehen, fand die Rentierforscherin Anna Skarin von | |
| der Universität Uppsala in Studien heraus: „Sie wollen die Anlagen weder | |
| sehen noch hören.“ Die Zucht werde also stark beeinträchtigt und man könne | |
| auch nicht sagen, die Tiere sollten dann eben woandershin, so die | |
| Forscherin: „Wohin sollen sie denn noch?“ Ihr Lebensraum sei schon in den | |
| letzten Jahrzehnten durch den Ausbau von Wasserkraft, Erzgruben und | |
| Verkehrsinfrastruktur immer mehr eingegrenzt worden. | |
| ## Unangenehm für die Windkraftlobby | |
| Die Forschungsergebnisse sind höchst unangenehm für die Windkraftlobby und | |
| die windkraftfreundlichen Behörden, die Windkraftparks in immer mehr | |
| Regionen Lapplands genehmigt und damit das Sami-Gebiet bald „in einen | |
| einzigen großen Windkraftpark verwandelt“ haben, wie Isak Utsi, | |
| Vorsitzender der Sami-Jugendorganisation Sáminuorra, kritisiert. Das | |
| Umweltgericht in Umeå bezeichnet den Forschungsstand zwar selbst als noch | |
| ungenügend und teilweise widersprüchlich. Aber jedenfalls als ausreichend, | |
| um erst einmal Vorsicht walten zu lassen. | |
| Die lokale Samigemeinschaft (Sameby) von Västra Kikkejaure, die geklagt | |
| hatte, bekam damit recht, dass weder Windkraftanlagen noch die mehrere | |
| hundert Kilometer langen Zufahrtswege näher als 2 Kilometer an die | |
| traditionell von den Rentieren benutzten Passagen herangebaut werden | |
| dürfen. Außerdem soll geprüft werden, ob die Anlagen zeitweilig | |
| abgeschaltet werden müssen, wenn die Rentiere zwischen Weidegebieten | |
| umziehen. | |
| Solche Auflagen würden Markbygden 1101 verteuern, das 2030 stehen soll und | |
| mit einer geplanten Investitionssumme von umgerechnet bis zu 7 Milliarden | |
| Euro eines der derzeit größten skandinavischen Industrieprojekte wäre. | |
| Dabei steht die Wirtschaftlichkeit des seit 10 Jahren geplanten Projekts | |
| durch zwischenzeitlich kräftig gefallene Strompreise sowieso in Frage. | |
| Letztendlich wird aber die Situation auf dem deutschen Strommarkt | |
| entscheidend sein. Denn für Schweden ist der Strom gar nicht in erster | |
| Linie bestimmt. | |
| „Markbygden dient ja nicht dazu, hier bei uns im Norden Kaffee zu kochen“, | |
| sagt Tomas Riklund, Kommunikationschef der schwedischen Svevind, die | |
| mehrheitlich einem deutschen Unternehmer gehört und die zusammen mit dem | |
| deutschen Anlagenbauer Enercon hinter den Plänen steht. Der Strom sei zum | |
| großem Teil für den Export bestimmt. Speziell für den deutschen Markt: „Die | |
| haben dann ja ihre Atomkraftwerke zugemacht und die Braunkohle hängt ja | |
| wohl auch an einem dünnen Faden.“ | |
| „Wir Sami wollen natürlich zu erneuerbarer Energie beitragen“, sagt Anne | |
| Walkeapää, Sachbearbeiterin für Umweltfragen beim Sami-Parlament | |
| Sametinget: „Aber wir haben eine andere Mentalität. Wir denken immer auch | |
| an die nächste Generation und was wir der hinterlassen.“ | |
| 4 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Reinhard Wolff | |
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