Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wahlkampf nach dem TV-Duell: Ein verletzter Mann
> Offiziell lobt die SPD Martin Schulz über den grünen Klee, doch in der
> Partei kursieren bereits Notfallpläne. Welche Chancen hat er noch?
Bild: Schon alles verloren? Martin Schulz am Tag nach dem TV-Duell beim Gillamo…
BERLIN taz | Martin Schulz tritt am Tag nach dem großen TV-Duell auf dem
Gillamoos-Volksfest in der bayerischen Provinz hinter Regensburg auf. Ihm
ist anzumerken, dass ihn die mediale Deutungsmaschine nicht unberührt
lässt. Die Glatze, die Anzüge, die spießige Brille. Schulz zählt auf, was
Kritiker an ihm schon schlechtgeredet haben. Einer habe gesagt, noch nie
sei ein Mann mit Bart Bundeskanzler geworden. „Was sind das für
tiefschürfende Analysen über die Zukunft des Landes!“, ruft Schulz in den
Saal. „Aus dieser Haltung spricht eine tiefe Verachtung gegenüber den
normalen Menschen.“
Das Video, das die bayerische SPD auf Facebook gepostet hat, zeigt einen
verletzten Mann. Schulz, die Hemdsärmel hochgekrempelt, wirkt, als rede er
sich eine hübsche Portion Frust von der Seele. Er weiß, dass sein Auftritt
bei dem von vier TV-Sendern übertragenen Duell hinter den riesigen
Erwartungen zurückblieb. Schulz wirkte in dem Korsett des minutiös
geplanten Formats unsicher und angespannt. Manchmal verhaspelte er sich,
suchte sekundenlang nach Wörtern. Das berühmte Momentum, der magische
Augenblick zugunsten der SPD, blieb aus.
War’s das jetzt mit seinen Ambitionen fürs Kanzleramt? Und was hat die SPD
für die entscheidenden Wochen bis zur Wahl am 24. September noch in petto?
Nach den 90 Minuten am Sonntagabend war klar: Schulz ist der erste
SPD-Kandidat, der gegen die rhetorisch untalentierte Merkel nicht als
Gewinner gilt. In Blitzumfragen von ARD und ZDF lag Merkel am Sonntagabend
vorn – allerdings maßen die Forschungsinstitute Infratest Dimap (ARD) und
Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) sehr unterschiedliche Werte. Nach ARD-Angaben
fanden 55 Prozent der Befragten Merkel überzeugender, nur 35 Prozent sagten
das über Schulz. Im ZDF war es viel knapper: Hier fanden 32 Prozent der
Befragten, dass Merkel sich besser geschlagen habe; 29 Prozent sagten das
von Schulz. Für 39 Prozent der Befragten gab es keinen Unterschied.
## „Meinungskorridor der Großen Koalition nie verlassen“
Doch selbst eine knappe Niederlage ist für die SPD fürchterlich. Die
Parteistrategen im Willy-Brandt-Haus hatten sich von dem Duell eine neue
Dynamik im Wahlkampf erhofft. Schließlich schwächelt die Sozialdemokratie
seit Monaten, sie liegt in Umfragen gut 14 Prozentpunkte hinter Merkels
Union. Schulz musste also gewinnen, während im Merkel-Lager auch ein
Unentschieden als Erfolg gegolten hätte. Die SPD-Träume sind nun perdu.
Martin Schulz habe während des TV-Duells den Meinungskorridor der Großen
Koalition nie wirklich verlassen, sagt Bernd Gäbler, Professor für
Journalistik und Ex-Chef des Grimme-Instituts. Statt das Publikum zu
überzeugen, habe er sich detailreich an der Kanzlerin abzuarbeiten
versucht. „Sein realistisches Ziel konnte nur lauten, die eigenen Reihen
davon zu überzeugen, dass das Rennen noch nicht gelaufen ist.“ Das habe er
verfehlt, er habe die Basis nicht neu für einen energischen Schlussspurt
entflammt.
## Andere Rückmeldung vom Straßenwahlkampf
Die gesamte SPD, das gehört zum Spiel, lobte am Montag ihren
Kanzlerkandidaten über den Klee. „Bärenstarker Martin Schulz!“, twittern
die SPD-Rechten vom Seeheimer Kreis euphorisch. „Martin Schulz war
inhaltlich stark, authentisch und leidenschaftlich“, sagt der linke
SPD-Bundesvize Ralf Stegner. Heiko Maas, der Justizminister, betont, das
Duell werde Schulz und der gesamten SPD Rückenwind geben. Ein schlichtes
„Weiter so“ der Kanzlerin reiche nicht. Auf Facebook verbreitet die SPD ein
Foto von einem lächelnden Schulz mit erhobenem Daumen. „Das war
Kanzlerformat!“
Doch hinter dem verzweifelten Selbstlob stellen sich auch Sozialdemokraten
bange Fragen: Hat Schulz überhaupt noch eine Chance, den Trend zu drehen?
Das TV-Duell war ein bedeutender Termin, das einzige direkte
Aufeinandertreffen von Merkel und Schulz. Ein solches Highlight gibt es
nicht mehr in den verbleibenden 19 Tagen. Fast dramatisch für den SPD
Wahlkampf ist eine Zahl, die auch Infratest Dimap ermittelte. Bei jenen,
die noch nicht wissen, wen sie wählen, neigten 48 Prozent zur Kanzlerin,
nur 36 Prozent zu Schulz. Die Unentschlossenen sind eigentlich die letzte
Hoffnung der SPD.
Das Verrückte ist, dass viele SPDler, die täglich an Ständen stehen oder an
Haustüren klingeln, eine ganz andere Rückmeldung bekommen, als es die
miesen Umfragewerte nahelegen. Ihre Veranstaltungen sind voll, die Leute
fragen interessiert nach, sogar im traditionell für die SPD problematischen
Osten, berichtet eine Wahlkämpferin. „Wir müssen in unserem Wahlkampf
nichts ändern“, sagt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Auf der
Straße und an der Haustür zeige sich, „dass die Leute Gerechtigkeit
interessiert“. Auch Schulz spricht bei seiner Deutschland-Tour oft vor
berstend vollen Marktplätzen. Allein, der Zuspruch auf der Straße zahlt
sich bisher nicht aus. Viele SPDler lässt diese Kluft ratlos zurück.
## Die Strategie der SPD: die einen so, die anderen so
Nun müsse man sich auf eigene Schwerpunkte fokussieren, sagen
SPD-Strategen. Bildung, Rente, Arbeit, bezahlbare Wohnungen, all das, was
normale Leute wirklich interessiert. Dass wichtige SPD-Themen bei dem Duell
komplett fehlten, ärgert viele Sozialdemokraten. „Leider kamen unsere
Themen zu kurz“, sagt Bundesvize Stegner. „Schon seltsam, dass Bildungs-
und Sozialpolitik keine Rolle spielten.“ Das Problem an der geplanten
Zuspitzung ist: Genau das erzählen Sozialdemokraten schon seit Wochen, der
Erfolg ist überschaubar.
Auch taktische Rettungspläne kursieren. In Umfragen schimmert immer
deutlicher die Möglichkeit einer schwarz-gelben Koalition auf. Schwarz-Gelb
sei das Gegenteil sozialer Politik, sagt ein wichtiger Sozialdemokrat –
viele Leute erinnerten sich noch an das Desaster zwischen 2009 und 2013.
Vor dieser Koalition müsse man die Leute warnen. Das Problem sei aber, dass
eine Anti-Schwarz-Gelb-Strategie schnell verzagt wirke, weil es dann nicht
mehr um eigene Stärken gehe. „Die Warnung vor Schwarz-Gelb müssen wir fein
dosieren.“ Lauterbach wiederum rät von dem Plan ab. „Die Leute
interessieren sich nicht für Koalitionsspekulationen.“
Die einen sagen so, die anderen so. Das beschreibt die Strategie der SPD im
Moment ganz gut.
4 Sep 2017
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Ulrich Schulte
## TAGS
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Große Koalition
Umfrage
Martin Schulz
Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
TV-Duell
EU-Politik
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
## ARTIKEL ZUM THEMA
Politik-Talkshows vor der Wahl: Faktencheck erznaiv
Nach dem TV-Duell überboten sich ARD und ZDF darin, ein Bild von der
Wirklichkeit zu erzeugen, das nur noch partikelweise mit ihr verbunden ist.
Kommentar Renteneintrittsalter: Ohne Ende
Die Zahl ist am Ende egal: Ein fixes Rentenalter stigmatisiert Alternde und
macht Angst. Das ist das Problem.
TV-Debatte der kleinen Parteien: Fünf Fäuste für ein Hallelujah
Der Schlagabtausch von Linken, Grünen, FDP, CSU und AfD war rasanter als
der am Vorabend. Wagenknecht und Weidel machten sich Komplimente.
Kommentar EU-Beitritt der Türkei: Ein Wahlgeschenk für Erdoğan
Schulz' Idee, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, ist
billiger Populismus. Und: Sie spielt den Falschen in die Hände.
Reaktionen auf das Fernsehduell: Keine Dynamik für Veränderung
Im TV-Duell zwischen Merkel und Schulz fehlten wichtige Fragen, bemängeln
Zuschauer. Die wirklichen Gewinner seien die Rechtspopulisten, meint
Linken-Chefin Kipping.
Kommentar TV-Duell Merkel vs. Schulz: Kein Wunder, dass viele abschalten
Nur fünf Minuten für Sozialpolitik: Das ist zu wenig. Das Vertrauen in die
großen Parteien ist nach diesem Fernsehduell gewiss nicht gestiegen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.