| # taz.de -- Indigene Schutzgebiete in Brasilien: 300 Jahre Vorsprung | |
| > Ein Bundesstaat wollte Entschädigung für indigene Schutzgebiete. Doch das | |
| > Gericht urteilte zu Gunsten der Bewohner – die sind nämlich länger da. | |
| Bild: 17. Juli 2017: Proteste gegen ein Kraftwerk in Alta Floresta im Bundessta… | |
| Rio de Janeiro taz | Indigene Brasilianer und Quilombolas, die Nachfahren | |
| einst entflohener Sklaven, haben am Mittwoch vor dem obersten Gerichtshof | |
| in Brasilien einen Teilerfolg im Kampf gegen die Einschränkung ihrer | |
| Landrechte errungen: Die Einrichtung mehrerer Schutzgebiete der Ureinwohner | |
| war demnach rechtens. | |
| Einstimmig wiesen die acht anwesenden Richter die Forderung des | |
| Bundesstaates Mato Grosso zurück, vom Bund eine Entschädigung für | |
| angebliche Landenteignungen bei der Einrichtung der Gebiete zu bekommen. | |
| Statt der erhoffen Finanzspritze muss die Regierung von Mato Grosso nun für | |
| die Gerichtskosten aufkommen. | |
| In dem Verfahren ging es um den Nationalpark Xingu und die Reservate | |
| Nambikwára und Parecis im Westen des Landes. Die drei Schutzgebiete wurden | |
| in den 60er Jahren jeweils per Dekret eingerichtet. Der 27.000 | |
| Quadratkilometer große Xingu-Park ist das erste Landstück Brasiliens, das | |
| die Regierung Indigenen übereignete. Derzeit leben dort rund 5.000 | |
| Indígenas, die 14 verschiedenen Ethnien angehören. Die Reservate Nambikwára | |
| und Parecis sind ebenso spärlich besiedelt. | |
| Die Richter betonten, die fraglichen Gebiete würden schon seit hunderten | |
| Jahren von Ureinwohnern bewohnt. Sie zitierten mehrere wissenschaftliche | |
| Gutachten, laut denen die gesamte Region zwischen dem Amazonasbecken im | |
| Norden und dem Cerrado im Süden und Westen seit mindestens 300 Jahren, | |
| teilweise aber auch seit 800 Jahren von Indígenas besiedelt wird. Deswegen | |
| gehöre das Land nicht dem Bundesstaat, sondern den Indigenen. | |
| ## Nachträgliche Legalisierung | |
| Wichtiger als die eigentliche Entschädigungsfrage ist der Tenor der | |
| Urteilsbegründung der Richter. Sie hätten sich nämlich auch die These des | |
| „engen Zeitrahmens“ zu eigen machen können. Sie ist in Brasilien als „ma… | |
| temporal“ bekannt; Großgrundbesitzer ziehen sie heran, um die Einrichtung | |
| von indigenen Schutzgebieten zu torpedieren. | |
| Nach dieser Argumentation ist für die Anerkennung der Landrechte | |
| ausschlaggebend, ob das betreffende Gebiet genau am 5. Oktober 1988, dem | |
| Tag des Inkrafttretens der heutigen Verfassung, von den Indigenen bewohnt | |
| wurde. Für die Anwälte der Indigenen bedeutet diese Sichtweise eine | |
| nachträgliche Legalisierung von früheren gewalttätigen Vertreibungen. | |
| Dennoch wurde dieses umstrittene Kriterium bereits mehreren früheren | |
| Gerichtsentscheiden zugrunde gelegt – zum Beispiel, als 2009 über das | |
| umkämpfte Schutzgebiet Raposa Serra do Sol im Bundesstaat Roraima | |
| entschieden wurde. Brasiliens Präsident Michel Temer plädierte im Juli gar | |
| dafür, diese Urteile, die sich an den Besitzverhältnissen im Jahr 1988 | |
| orientieren, zukünftig zum Maßstab zu machen. | |
| Indígenas und Unterstützer aus sozialen Bewegungen, die seit dem Vortag vor | |
| dem Gerichtsgebäude eine Mahnwache abhielten, feierten das Grundsatzurteil | |
| als Etappensieg. Eine Enttäuschung war der Tag dagegen für die Quilombolas, | |
| die ebenfalls in Brasília und anderen Landesteilen demonstriert hatten. | |
| Denn ein zweites Verfahren wurde vertagt, in dem die konservative Partei | |
| DEM gegen ein Gesetz zur Anerkennung von Landrechten der Nachfahren | |
| entflohener Sklaven klagt. | |
| ## Ausweitung von Sojaplantagen und Viehweiden | |
| Seit Jahren nehmen in Brasilien die Auseinandersetzungen zwischen Indigenen | |
| und Großgrundbesitzern sowie Bergbauunternehmen zu. Die Ausweitung von | |
| Sojaplantagen und Viehweiden heizt zudem die Abholzung im Amazonasgebiet | |
| erneut an. Nach Angaben der katholischen Landpastoral CPT kam es allein im | |
| Jahr 2016 zu über 1.000 Landkonflikten mit 61 gewaltsamen Todesfällen. | |
| Präsident Temer wird vorgeworfen, mit Dekreten und Finanzgeschenken | |
| zugunsten der einflussreichen parteiübergreifenden Agrarierfraktion die | |
| Landrechte der Ureinwohner zu verletzen. Nach Meinung des indigenen | |
| Missionsrats Cimi hat sich Temer mit solchen Gefälligkeiten auch politische | |
| Rückendeckung im Kongress erkauft. Im Juli stimmten die Abgeordneten der | |
| Agrarier geschlossen gegen die Aufhebung von Temers Immunität, wodurch ein | |
| Korruptionsprozess gegen den unbeliebten Präsidenten vor dem obersten | |
| Gericht platzte. | |
| 17 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Behn | |
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