# taz.de -- Griechische Künstlerin über documenta: „Eine geschlossene Gesel… | |
> Christina Dimitriadis kritisiert die problematische Inszenierung der | |
> Ausstellung im armen Athen und die unpassende Vokabel „Unlearning“. | |
Bild: Für die documenta öffnete das Nationalen Museum für Zeitgenössische K… | |
taz: Frau Dimitriadis, kürzlich wurde bekannt, dass die griechische | |
Regierung die Wasserwerke von Athen und Thessaloniki privatisiert. Was | |
haben Sie bei der Nachricht gedacht? | |
Christina Dimitriadis: Das ist schrecklich. Wasser ist knapp und sowieso | |
ein großes Problem in Griechenland. Denken Sie an die Inseln, wo es gar | |
keins gibt. Wasser ist sehr teuer. Die Menschen haben Angst, dass es noch | |
teurer wird. Natürlich werden die armen Leute darunter leiden. Viele können | |
jetzt schon ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. Deswegen gibt es | |
inzwischen großen Widerstand dagegen. | |
Heißt „Von Athen lernen“, privatisieren lernen? | |
Ich verstehe den Sarkasmus. Aber für mich ging es bei der documenta nie um | |
die Frage, ob Kunst wirklich etwas praktisch an den Verhältnissen ändern | |
kann. Sondern immer mehr darum, ob sie eine Brücke hätte bauen können | |
zwischen zwei Ländern, zwischen denen die Feindseligkeit in den letzten | |
zehn Jahren dieser sogenannten griechischen Krise geradezu explodiert ist. | |
Daraus ist leider nichts geworden. | |
Inwiefern? | |
Eine Kunstausstellung in einem krisengebeutelten Land zu machen, ist keine | |
einfache Sache, klar. Es war auch ein großes Risiko, zumal in einem Land, | |
das man wenig kennt. Aber als ich dann gehört habe, wie Adam Szymczyk davon | |
sprach, dass es nicht um die Szene vor Ort geht, war ich dann bitter | |
enttäuscht. Vor allem aber als er bei der Eröffnung von „Unlearning“ | |
sprach. | |
Was hat Sie daran gestört? | |
Mit dem Begriffspaar Learning/Unlearning wollte er wohl so eine Art | |
dialektisches Denken signalisieren. Angesichts der realen | |
Lebensverhältnisse in Griechenland kam das aber abgehoben daher. Wenn Sie | |
jeden Tag ums Überleben kämpfen müssen, überlegen müssen, wie Sie die | |
Familie ernähren und Rechnungen zahlen können, haben Sie andere Sorgen als | |
Kunst oder die documenta. Das Team hat sich zu wenig dieser Situation vor | |
Ort geöffnet. Sie haben eine geschlossene Gesellschaft etabliert. | |
Was hätte man besser machen sollen? | |
Ich fand es fantastisch, dass sich so viele Menschen in Athen verliebt | |
haben während der documenta. Dieser neue Blick auf die Stadt war schon ein | |
Erfolg. Mit den politischen Ambitionen der documenta verhält es sich | |
anders. Kolonialismus ist ein wichtiges Thema, mit dem sich die Kunst | |
beschäftigen muss. Aber in einem Moment darüber zu sprechen, wo sich alle | |
darüber streiten, ob es einen deutschen Kolonialismus Griechenland | |
gegenüber gibt – das fand ich schwierig. | |
Wie meinen Sie das? | |
Schauen Sie sich die Kunstszene in Athen an. Die Situation ist schwierig | |
und komplex. Die staatlichen Museen, die Sammler und die privaten Galerien | |
arbeiten nicht wirklich zusammen. Obwohl in Griechenland viele wichtige und | |
vermögende Sammler wohnen. Das Museum EMST, in dem die documenta eine große | |
Ausstellung zeigte, kann nicht öffnen, weil es weder staatliche noch | |
private Fördergelder bekommt. | |
Aber hat die documenta Athen der griechischen Kunstszene nicht doch mehr | |
internationale Sichtbarkeit verschafft? | |
Das schon. Aber sie hat auch die Szene in einem Moment blockiert, wo sie | |
sich gerade aus ihrem mangelnden Selbstvertrauen herauszuarbeiten begann. | |
Vor der documenta waren die ganzen prekären Off-Spaces sehr aktiv. | |
Was ist da so passiert? | |
Nehmen wir ein Beispiel: Zu „Farewell“ – ein Theater-Kunst-Experiment der | |
Kuratorin Marina Fokidis und der Schauspielerin Themis Bazaka in der | |
Athener „Kunsthalle“ im Juni 2011 kamen 6.000 Menschen – an nur zwei Tage… | |
Zehn Schauspieler und zehn Künstler haben da eine Reihe von Performances | |
zum Thema „Trennung, Abschied“ produziert – das Thema damals. | |
Was war das Besondere? | |
Sowohl bei den Künstlern als auch bei den Besuchern konnte man sehen, dass | |
die Menschen Kunst brauchen, um die Krise zu verstehen, um zu verstehen, | |
was man nicht mehr verstehen kann. Das war unglaublich spannend. Wegen | |
genau dieser Vitalität der Szene hat sich auch Adam Szymczyk für die | |
griechische Hauptstadt interessiert. Dann kam er mit der monumentalen | |
documenta … | |
Was hat sie mit der Szene gemacht? | |
Die große Erwartung auf die riesige documenta hat die ganze Energie von der | |
Szene abgezogen. Sie hat die meisten Räume reserviert, renoviert. Die waren | |
dann nicht mehr frei. Und alle haben sich auf die documenta konzentriert. | |
Die Galerien haben documenta-Künstler gezeigt und so weiter. Das hat die | |
Szene paralysiert. | |
Und dann hat sie noch nicht mal den Ausverkauf Griechenlands aufhalten | |
können. Griechenland musste seine Regionalflughäfen an die deutsche Firma | |
Fraport verkaufen. | |
Sie konnte das nicht aufhalten. Aber auch, weil die documenta nicht | |
wirklich gelernt hat. Und als sie angefangen hat in Athen, gab es noch | |
keinen Trump, keinen Brexit, keinen Putsch in der Türkei, in Polen. Wir | |
leben in einer Zeit, in der Grundlagen der Demokratie überall ins Wanken | |
geraten sind. Ihre Wurzeln sind in Athen gekeimt. Die Politik ändert sich | |
jeden Tag. Wir leben in einer steten Überforderung. Und in so einer Zeit, | |
in der Gesellschaften überall in zwei Teile zerfallen, dann auf | |
„Unlearning“ zu setzen, das habe ich nicht verstanden. Ich schätze das | |
dialektische Denken, aber nicht die Rhetorik. Darüber hat die documenta den | |
Kern aus den Augen verloren. | |
Was wäre der denn gewesen? | |
Welche Methoden die Menschen in Zeiten der Krise finden, zusammen zu | |
überleben. In Amerika fragt sich jetzt die Philosophin, Feministin und | |
Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser, wie man lernt, politisch bewusst mit | |
Trump umzugehen. | |
Die Krise in Ihrem Land ist noch nicht vorbei … | |
Sie ist noch gravierender geworden und hat sich verschärft. Alleine 300.000 | |
junge, hochgebildete Griechen sind emigriert. | |
Hat die Krise alte Reflexe wiederbelebt? | |
Wie schnell Rassismus wieder wächst, ist unfassbar. In der | |
deutsch-griechischen Krise habe ich sehr gelitten, besonders während des | |
Referendums. Ich habe es gehasst, dass der ganze Ungeist des europäischen | |
Nationalismus wieder zurückkehrte. | |
Was hat das bewirkt? | |
Ich wohne so gerne in Berlin, hatte aber plötzlich eine extreme Sehnsucht | |
nach Griechenland, wollte wieder zurück. So wie ich der antigriechischen | |
Attitüde hier ausgesetzt war. | |
Setzen die Menschen in Griechenland noch ihre Hoffnung auf Alexis Tsipras? | |
Seit dem Referendum glaubt niemand mehr an Syriza. Tsipras regiert gegen | |
das, was er versprochen hat. Aber auch mit einer linkeren Politik hätte er | |
wahrscheinlich keine Chance. Wer regiert Griechenland, das ist die Frage. | |
Was ist eigentlich noch griechisch? Die Einkaufsmärkte sind nicht mehr | |
griechisch, die Flughäfen, die Telekommunikation. Nur gegen die | |
Privatisierung der Strände haben sie erfolgreich gekämpft. | |
Ist Europa noch eine Perspektive? | |
Griechenland ist schwach. Alleine kann es nicht überleben. Gibt es eine | |
andere Möglichkeit, als in der Europäischen Gemeinschaft zu bleiben? Ich | |
bin als Europäerin aufgewachsen, bin mit seiner Vielfalt groß geworden, ich | |
glaube, mein Land kann in anderer Weise Griechenland bleiben. | |
Wie meinen Sie das? | |
Nach der documenta habe ich Hoffnung, dass wir im Dialog mit der Welt | |
bleiben. Es entwickelt sich eine neue Dynamik. Plötzlich wollen viele Leute | |
aus der internationalen Kunstszene nach Griechenland ziehen. | |
Kunsthistoriker, Künstler, Kuratoren, Kritiker. Viele Griechen verkaufen | |
ihre Häuser, viele Türken, Bulgaren, Russen kaufen sie. Das ist für mich | |
eine tolle Überraschung. Ich liebe Multikultur. | |
Adam Szymczyk hat wohl ein Haus in Griechenland gekauft, offenbar will er | |
weiter von Athen lernen … | |
Learning ist doch ein lebenslanger Prozess, oder? Die Lage seines Hauses | |
auf der Insel Hydra, zwischen den Mächtigen der internationalen und | |
griechischen Kunstszene, ist ein kluger Schachzug. Das Leben in | |
Griechenland ist bunt und vielseitig. Seine Landschaft und sein Klima sind | |
eine Delikatesse. | |
21 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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