# taz.de -- Fotografie in China zur Kulturrevolution: Ein einziges gigantisches… | |
> Die Ausstellung „Arbeiten in Geschichte“ verklärt die Volksdiktatur zum | |
> Idyll. Kritik daran und weibliche Positionen dazu bleiben außen vor. | |
Bild: Zhang Kechun: People Crossing the Yellow River with a Photo of Mao Zedong… | |
Inwieweit sind die Geschehnisse der Kulturrevolution und ihrer | |
Fotopropaganda Thema der zeitgenössischen chinesischen Fotografie, fragt | |
die aktuelle Ausstellung „Arbeiten in Geschichte“ des Fotomuseums in der | |
Jebenstraße. Ein spannendes Unterfangen, würde man annehmen. Schließlich | |
kann in China erst seit Anfang der 1980er Jahre, also dem Ende der | |
Kulturrevolution, von einer eigenständigen, nicht völlig dem politischen | |
Primat unterworfenen Fotografie die Rede sein. | |
Doch dann fällt man aus allen Wolken. Zunächst bei der Pressekonferenz und | |
später beim Rundgang durch die Ausstellung. Joachim Brand, Kommissarischer | |
Direktor der Kunstbibliothek, findet es in seiner Einführung nämlich | |
originell, die von Mao Zedong 1966 ausgerufene Kulturrevolution mit dem | |
kalifornischen Summer of Love 1967 zu vergleichen, der seinen Höhepunkt im | |
Monterey International Pop Festival hatte. | |
Nonchalant setzt er den Enthusiasmus der jugendlichen Festivalbesucher mit | |
der Begeisterung der Mao zujubelnden Massen gleich und vermeint dann die | |
Schattenseiten des Summer of Love in der Revolte und gewalttätigen | |
Aufständen zu sehen. | |
## Jubelnde Chinesen und feiernde Hippies | |
Beim Rundgang durch die Ausstellung ist dann schnell klar, dass Brand | |
schlicht Cao Kais Video „Summer of 1969“ (2002–2012) auf den Leim geht. D… | |
1969 geborene Künstler schneidet darin alte Aufnahmen jubelnder Chinesen | |
und feiernder Hippies gegeneinander, weil seiner Meinung nach die Welt | |
damals ein einziges, gigantisches Rockkonzert war, mit Superstars wie Mao | |
Zedong, John Lennon, Pol Pot, Bob Dylan oder Che Guevara. | |
Vielleicht muss man ja in China zu derlei, sagen wir mal, extravaganten | |
Ideen greifen, um überhaupt mit Bildern des zivilen Ungehorsams wie | |
Sit-Ins, Happenings, den Protestmärschen der Antikriegsbewegung und der | |
schwarzen Bürgerrechtsbewegung arbeiten zu können? | |
Wer weiß das schon. Eines freilich ist sicher: Die Verantwortung für die | |
Eskalation des meist friedlichen, sonst aber auch einfach wütenden Protests | |
in gewaltsame Ausschreitungen ist den rassistischen Polizeikräften in den | |
USA zuzuschreiben, die bis heute unverändert wehrlose Menschen erschießen | |
oder ihnen falsche Beweise unterschieben und falsche Geständnisse | |
erzwingen. Die Revolte gehört jedenfalls für die westlich-demokratische | |
Gesellschaft nicht zu den Schattenseiten des Summer of Love, sie machte ihn | |
überhaupt erst denkbar. | |
Passt es dann nicht bestens ins Bild dieser Einführung, dass von Cao Kais | |
gigantischem Rockkonzert die Frauen wieder einmal gar nichts mitbekommen | |
haben? Wie Wang Huangsheng, einer der Kuratoren der Ausstellung, auf der | |
Pressekonferenz sagte, handeln die Themen, die Frauen, also Fotografinnen | |
und Künstlerinnen, interessieren, nicht von Politik, gar der vergangenen | |
Kulturrevolution, sondern von Angelegenheiten des Herzens und des Gemüts. | |
Um zu ergänzen, das sei ein Scherz. Nur warum? Immerhin konnte er aufgrund | |
seines bemerkenswerten Humors keine einzige weibliche Position für die | |
Ausstellung finden. | |
## Der reale, ins Bild montierte Wasserhahn | |
Stattdessen fand er Cai Dongdongs Montage „Fountain“ (2016). Der 1972 | |
geborene ehemalige Porträtfotograf bei der Volksbefreiungsarmee stellt die | |
Fotografie zweier Soldatinnen, die aus der Zeit der Kulturrevolution | |
stammt, in die ebenso alte Aufnahme einer Meeresbucht, wobei das | |
fotografierte Wasser dank eines realen, ebenfalls ins Bild montierten | |
Wasserhahns abfließen können soll. Versteht sich, dass dieses Kunstwerk | |
eine irre Herausforderung an den kritischen Verstand darstellt! | |
Besonders gilt das für meinen armen weiblichen Verstand, dem die | |
Duchamp-Referenz unendlich bieder erscheint und der sich stattdessen sehr | |
gut an die bösen, verzweifelten Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Liu Xia | |
erinnert, die unter dem Titel „Ugly Babies“ vor zwei Jahren in Berlin zu | |
sehen waren. | |
Die Fotografin, Malerin, Lyrikerin und Romanautorin stand damals unter | |
Hausarrest und konnte für die Kamera nur mit in der Wohnung befindlichen | |
Puppen sehr hässliche und sehr erwachsene Folterspiele spielen. Sie haben | |
natürlich keinerlei Bezug zu den Gewaltexzessen der Kulturrevolution. Sie | |
sprechen von der gegenwärtigen Art, unbotmäßige Künstler kaltzustellen. | |
Erst kürzlich ist Lius Mann, der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, | |
gestorben, am Hausarrest für Liu Xia hat sich nichts geändert. | |
Aber zurück zu den singenden Milizionären von 1966. Zusammen mit Bildern | |
pompöser Jahrestagsfeiern samt gigantischen Aufmärschen und allem voran dem | |
Bild des großen Steuermanns Mao rufen sie die fotografische Inszenierung | |
der Kulturrevolution in Erinnerung, die ganz ohne Schattenseiten auskommt – | |
und trotzdem ein nachhaltiges Trauma der chinesischen Zeitgeschichte ist. | |
## Gut, strahlend und hell | |
Die Mao-Bilder kennt man zur Genüge, auch und gerade im Westen, jedenfalls | |
ab einem gewissen Alter. Wäre es deshalb nicht naheliegender gewesen, mit | |
einem kritischen Blick auf die Begeisterung gewisser linker Kreise | |
hierzulande für Mao und die Kulturrevolution in die Schau einzuführen? | |
Weil sein Bild jeden Raum im Reich der Mitte ziert, gleichgültig ob | |
Fotostudio oder wissenschaftliches Labor, ist Mao dann auch bei jedem | |
privaten Porträt gegenwärtig oder schaut den Chemikern bei ihrer Arbeit | |
über die Schulter. Sein Bild wie überhaupt die Fotos aus der Zeit der | |
Kulturrevolution fallen unter die Rubrik der „roten Bilder“. Ihr heiterer, | |
positiver und reichlich formelhafter Stil ist an die Bildsymbolik der | |
chinesischen Volkskunst angelehnt. Schon früher entwickelt, forderte die | |
Kulturrevolution diesen Stil unter dem Motto „gut, strahlend und hell“ | |
verschärft ein. | |
Dem setzt Wang Ningde in seiner Serie „Einige Tage“ (2005) schwarz-weiße | |
Melancholie entgegen. Mit seinen entrückten, in Mao-Anzüge steckenden | |
Protagonisten, die der 1972 geborene Künstler Fahrrad fahrend oder am | |
Wasser sinnierend zeigt, stilisiert er die Kulturrevolution allerdings zum | |
Idyll. Auch Zhang Kechuns (*1980) Neuinterpretation des schwimmenden Mao | |
ist letztlich ein eher fader Einfall, wenn auch mit seinen Hunderten | |
Schwimmern und Schwimmerinnen opulent in Szene gesetzt. | |
## Am Ende überzeugen die dokumentarischen Ansätze | |
Etwa besser gelingt es dem 1958 in Tibet geborenen Mo Yi, der 1989 auf dem | |
Tiananmen-Platz protestierte, auf ästhetisch-formale Weise der | |
Kulturrevolution Herr zu werden, wenn er eine simple, im Hinterhof | |
aufgehängte, weiß umrandete knallrote Steppdecke zur Ikone macht. | |
Am Ende überzeugen die dokumentarischen Ansätze. Shao Yinong und Mu Chen | |
mit Stills von verlassenen Versammlungshallen in der Provinz, Qu Yan mit | |
Fotos provinzieller Parteibüros und Zhuang Hui mit meterlangen Aufnahmen | |
von Belegschaften, Schulklassen oder militärischen Einheiten, schließlich | |
Zhang Dali mit seinen Gegenüberstellungen gleicher Aufnahmen, wie sie ganz | |
verschieden publiziert und eben auch zensiert wurden. | |
Freilich kennt man viele der Arbeiten schon. Zhang Dali, Mo Yi, Feng | |
Mengbo, Zhung Hui wie Shao Yinong und Mu Chen waren alle schon in Berliner | |
Ausstellungen vertreten. | |
Dass die ersten Versuche einer Auseinandersetzung mit der Kulturrevolution | |
und ihren Bildern behutsam und vorsichtig geschahen, ist verständlich. | |
Weniger dagegen, wie rar offenbar aktuelle Versuche sind, die den | |
vorangegangenen auch nichts Substanzielles hinzufügen. | |
1 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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