# taz.de -- Günter Wallraff über Doğan Akhanlı: „Er lehnt Gewalt ab, er i… | |
> Doğan Akhanlı wurde auf Wunsch Erdoğans in Spanien festgenommen. Der | |
> Kölner Journalist Günter Wallraff kennt den Schriftsteller schon lange. | |
Bild: Doğan Akhanlı wurde am Montag in Madrid wieder freigelassen | |
taz: Herr Wallraff, seit wann kennen Sie den Schriftsteller Doğan Akhanlı? | |
Günter Wallraff: Ich kenne ihn seit den 90er Jahren, als er nach Köln kam. | |
Zuletzt waren wir auf Solidaritätsveranstaltungen unter anderem zusammen | |
mit Can Dündar. | |
Haben Sie im Moment Kontakt zu Akhanlı? | |
Ja, wir haben die letzte Tage mehrfach miteinander telefoniert. Er ist | |
erleichtert, dass er in Freiheit ist, und hofft natürlich, dass er bald | |
auch wieder nach Köln zurückkehren kann. Das Außenministerium geht von | |
seiner baldigen Rückkehr nach Deutschland aus. | |
Was tut die Bundesregierung? | |
Anders als früher in solchen Fällen weigern sich die Verantwortlichen doch | |
sehr eindeutig und öffentlich, sich zu Handlangern Erdoğans zu machen. Der | |
außenpolitische Sprecher der SPD, Rolf Mützenich, hat sich am Wochenende | |
ans Telefon gehängt – und auch erreicht, dass Außenminister Gabriel es zur | |
Chefsache machte und noch am Samstag mit seinem spanischen Kollegen Kontakt | |
aufnahm. | |
Hätte die Regierung Akhanlı nicht davor warnen können, dass er über | |
Interpol gesucht wird und im Ausland festgenommen werden könnte? | |
Dafür wäre dann ja wohl Innenminister Thomas de Maizière zuständig gewesen. | |
Das Bundeskriminalamt bekommt doch dieselben Informationen wie die | |
spanische Polizei. Warum warnt unser Polizeiminister nicht die deutschen | |
Staatsbürger, die unter völlig abwegigen Konstruktionen unter | |
Terrorismusverdacht gebracht und von der türkischen Regierung über Interpol | |
gesucht werden? So wurden erst kürzlich die Reisepässe von Tausenden | |
vermeintlichen Gülen-Anhängern zur Fahndung über Interpol ausgeschrieben. | |
Es ist völlig unklar, warum Doğan Akhanlı jetzt festgesetzt wurde – | |
aufgrund einer angeblich seit 2013 existierenden Anforderung bei Interpol. | |
Allerdings. Doğan war seit 2013 mehrfach in Frankreich und anderen | |
europäischen Ländern. Dieses angebliche Fahndungsersuchen hat nie eine | |
Rolle gespielt. Deshalb war er ja auch so geschockt, dass die spanische | |
Antiterrorpolizei plötzlich mit zehn Mann in seinem Hotelzimmer stand. | |
Möglich, dass das im Zusammenhang mit den Attentaten in Barcelona stand. | |
Womöglich hat Spanien aber auch einen anderen Deal mit der Türkei, als ihn | |
andere europäische Länder haben. | |
Wie geht es Doğan Akhanlı jetzt? | |
Unfreiwillig hat der türkische Präsident ihn mit seinem Verfolgungsdrang ja | |
auch geehrt und in den Rang anderer türkischer Literaten von Weltrang | |
gehoben. Aziz Nesin, einer der berühmtesten Schriftsteller der Türkei, hat | |
immer gesagt: Jeder Publizist in diesem Land, der nicht im Gefängnis war | |
oder wenigstens angeklagt wurde, hat etwas falsch gemacht. | |
Akhanlı war nach dem Militärputsch, in der Mitte der 80er Jahre, zwei Jahre | |
in Haft, angeblich als Mitglied einer bewaffneten linken Organisation. | |
Das war in einer Zeit, in der politische Häftlinge im Gefängnis | |
systematisch gefoltert und zu falschen „Geständnissen“ gezwungen wurden. | |
Die linke Terrororganisation, die ihm angedichtet wurde, war Doğan | |
überhaupt nicht bekannt. | |
Sie haben Doğan Akhanlı einmal als einen besonders friedfertigen Menschen | |
bezeichnet. Können Sie sich überhaupt vorstellen, dass er einmal mit der | |
Waffe in der Hand agiert haben soll? | |
Im Gegenteil. Ich kenne kaum einen sanfteren, friedfertigeren Menschen. | |
Doğan hat noch nie eine Waffe in der Hand gehabt. Er lehnt Gewalt ab, er | |
ist Pazifist. | |
Sein Anwalt in Spanien vermutet, wie Medien berichten, dass Akhanlı vom | |
türkischen Geheimdienst beschattet worden sein könnte. Die spanische | |
Polizei sei womöglich von türkischer Seite auf ihn aufmerksam gemacht | |
worden. Wissen Sie, ob Doğan Akhanlı in den letzten Jahren in Köln den | |
Eindruck hatte, vom türkischen Geheimdienst beobachtet zu werden? | |
Er ist ein unbekümmerter, argloser Mensch. Jedenfalls hat er nichts davon | |
bemerkt. | |
Als Akhanlı 2010 in Istanbul verhaftet worden war, haben seine Unterstützer | |
in Köln schnell dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit in Deutschland davon | |
erfuhr. Einige Leute sind dann auch in die Türkei gefahren, um den Prozess | |
zu beobachten. Funktioniert die Solidarität im Moment wieder so gut? | |
Ja, auf jeden Fall. Wir, seine Freunde und Unterstützer, sind in ständigem | |
Kontakt mit ihm. Und anders als 2010 und 2013 gibt es jetzt ja auch eine | |
breite politische Solidarität: Neben Außenminister Gabriel und dem | |
SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Schulz haben sich Vertreter fast | |
aller Parteien hinter ihn gestellt und gefordert, dass er auf keinen Fall | |
an die Türkei ausgeliefert werden darf. | |
Wird das reichen? | |
Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Spanien Doğan Akhanlı an | |
diese Türkei des Diktators in spe Erdoğan ausliefert. Tatsächlich erreicht | |
Erdoğan ja das genaue Gegenteil von dem, was er erreichen will. Statt Doğan | |
einzuschüchtern, macht er ihn in Deutschland so richtig populär. Sein Buch | |
über den Völkermord an den Armeniern, „Die Richter des Jüngsten Gerichts�… | |
das seit ein paar Jahren auf Deutsch vorliegt, dürfte jetzt erst recht die | |
verdiente Beachtung finden. | |
Herr Wallraff, Sie sind 2010 und 2013 zur Unterstützung von Doğan Akhanlı | |
nach Istanbul geflogen, um seinen Prozess zu beobachten. Würden Sie sich | |
auch heute noch trauen, zu Gerichtsverhandlungen gegen Schriftsteller, | |
Journalisten oder andere Erdoğan-Kritiker in die Türkei zu reisen? | |
Auf jeden Fall. Selbst wenn es anders als früher auf die türkische | |
Regierung wohl weniger Eindruck machen wird: Einzureisen ist sicher nicht | |
ganz einfach, wieder rauszukommen wohl ungleich schwerer. | |
23 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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