# taz.de -- Muslimische Gemeinschaft in Barcelona: „Der Islam verbietet uns G… | |
> Die eine singt für die Opfer. Ein anderer fürchtet um das Zusammenleben. | |
> Barcelonas muslimische Gemeinschaft ist tief verunsichert. | |
Bild: Beim Gedenken auf den „Ramblas“ fließen einer jungen Frau Tränen ü… | |
BARCELONA taz | Den Entschluss, an dem Ort zu singen, wo sie beinahe ihr | |
Leben verloren hat, fasst Mouna Holoue wenige Stunden nach dem Horror auf | |
den „Ramblas“. Wäre sie nur vier Minuten später die Flaniermeile entlang | |
spaziert, rekonstruiert die 19-Jährige später am Küchentisch mit ihrer | |
Familie, [1][hätte der weiße Lieferwagen vielleicht auch sie erfasst]. „Ich | |
muss irgendwas tun“, ist Holoues erster Gedanke, als sie von dem Blutbad | |
erfährt. Bald ist ihr klar: Sie will für die Opfer singen, für Barcelona, | |
für das Leben. An ihre Religion und Nationalität denkt die Muslima mit | |
marokkanischen Wurzeln dabei nicht – zunächst. | |
Keine 24 Stunden später nähert sich die junge Frau mit den dunklen Locken | |
dem Fonts de Canaletas, einem Brunnen am oberen Ende der Ramblas, an dem | |
sonst Fußballfans des FC Barcelona ihre Siege feiern. Nach der Todesfahrt | |
legen Anwohner und Touristen hier Kuscheltiere, Süßigkeiten, hoffnungsvolle | |
Botschaften nieder. Die Grablichter tauchen ihre Gesichter in rotes Licht. | |
Zu dem Zeitpunkt ist bereits klar: Die Polizei geht von einer 12-köpfigen | |
Terrorzelle aus, der junge Marokkaner angehören, die in Katalonien | |
aufgewachsen sind. | |
Leute wie auch Mouna Holoue. „Ich bin eine spanische Muslima. Ich lebe und | |
arbeite hier“, sagt Holoue mit lauter Stimme und beginnt, Liedzettel zu | |
verteilen. „Wir müssen mit Musik, mit Liebe auf die Gewalt regieren. Wir | |
haben keine Alternative.“ Dann stimmt sie mit warmer Stimme „We are the | |
World“ an. „There's a choice we're making. We're saving our own lives. It's | |
true we'll make a better day, just you and me.“ Viele Anwesenden fallen mit | |
ein. Nicht nur Holoue hat Tränen in den Augen. | |
Schmerz über den Missbrauch ihrer Religion begegnet man an diesem | |
Wochenende auch im Altstadtviertel El Raval, das vom Süden direkt an die | |
Ramblas grenzt. In keinem anderen Stadtteil Barcelonas wohnen mehr | |
Ausländer. Viele von ihnen kommen aus Pakistan, Bangladesch – oder aus | |
Marokko. Nach Angaben spanischer Terrorismusexperten ist die Grenzregion zu | |
Frankreich im Nordosten Spaniens eine Islamisten-Hochburg. Fast die Hälfte | |
der insgesamt 186 Verdächtigen, die die spanische Polizei zwischen 2012 und | |
Oktober 2016 festgenommen hat, hielt sich in Katalonien auf. Herkunftsstaat | |
Nummer eins: Marokko. | |
## Sich den Fantasien entgegen stellen | |
Das macht auch Barcelona zum Sicherheitsproblem: 122.000 Marokkaner wohnen | |
hier, viele von ihnen in El Raval. Der Madrider Terrorexperte Luis de la | |
Corte hat das Viertel mit dem Brüsseler Stadtteil Molenbeek verglichen, der | |
als Brutstätte des radikalen Islam in Belgien gilt. Auch in Raval, so de la | |
Corte, könnten sich Dschihadisten ohne Schwierigkeiten bewegen, sei die | |
Überwachung durch Sicherheitskräfte schwierig bis unmöglich. Ein Zustand, | |
der die pauschale Islamkritik befördert. Am Freitag kommt es auf der Plaça | |
de Catalunya zu ersten Handgreiflichkeiten zwischen Bürgern, die sich ein | |
„christliches Spanien ohne Muslime“ wünschen, und solchen, die sich dieser | |
Fantasie entgegenstellen. | |
Im marokkanischen Restaurant Rincón del Raval ist die Stimmung gedrückt. Es | |
ist Samstagabend, im Fernsehen laufen Eilmeldungen über den „Imam von | |
Ripoll“, Abdelbaki Es Satty, den mutmaßlichen Kopf der Terrorzelle. Der | |
Marokkaner Tarik El Khayat hat sich gerade Couscous mit Hühnchenfleisch | |
bestellt und mit dem Rücken zum Fernseher gesetzt. Er seufzt: „Ich wohne | |
seit 18 Jahren in Barcelona. Was diese Kinder da gemacht haben, gefährdet | |
unser Zusammenleben.“ | |
So wie der 34-jährige Tarik El Khayat, die mit Kleidern handelt und drei | |
kleine Töchter hat, sprechen viele Muslime in El Raval über die Attentäter | |
von Barcelona und Cambrils. Es sind Kinder, denen man den Kopf gewaschen | |
habe, die zu viel Playstation gespielt hätten. Und immer wieder hört man: | |
Das sind Muslime, die keine Ahnung vom Islam haben. | |
„Der Islam verbietet uns Gewalt“, sagt Abdul Khurm, Besitzer eines | |
Internetcafés an der Gran Via de les Corts Catalanes, einer der zentralen | |
Straßen Barcelonas. „Allah gebietet uns, Respekt vor jeder Person zu | |
haben.“ Khurm kennt die Gräueltaten radikaler Islamisten aus seiner Heimat | |
Pakistan. Auch er befürchtet: Weitere Anschläge könnten den Frieden | |
zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in der weltoffenen Metropole gefährden. | |
## „Der Islam lehrt das nicht“ | |
Doch wie wahrscheinlich ist das? „Vor einem islamistischen Anschlag in | |
Barcelona warne ich seit Jahren“, sagt Mohammed Chaib. „Dass die Attentäter | |
hier aufgewachsen sind und unter unserer Nase radikalisiert haben, hätte | |
ich so aber nicht für möglich gehalten.“ Chaib ist seit 1994 Direktor der | |
Stiftung Ibn Battuta in Barcelona, die muslimische und speziell | |
marokkanische Einwanderer integrieren will. Er gilt als Kenner der Szene. | |
Weitere Anschläge hält er für wahrscheinlich: „Wir haben zwölf Moscheen in | |
der Stadt. Nicht bei allen ist mir klar, wer da was lehrt“, sagt Chaib. | |
Unter diesen Vorzeichen können auch die Sicherheitsbehörden kaum einen | |
Anschlag vereiteln. Sein Lösungsansatz: gleiche Bildungs- und | |
Ausbildungschancen für Migrantenkinder schaffen – und den Dialog suchen. | |
45 muslimische Verbände aus ganz Katalonien haben ihre Mitglieder | |
aufgefordert, am Montagabend auf der Plaça de Catalunya gegen den Terror zu | |
demonstrieren. Bereits am späten Sonntagabend wollten sich dort Muslime | |
unter dem Motto „No en mi nombre“ – nicht in meinem Namen – einfinden. … | |
diesen Worten haben 40 Familienangehörige der jungen Terroristen deren | |
Taten verurteilt. Die Mutter des noch flüchtigen Hauptverdächtigen des | |
Attentats von Barcelona fordert ihren Sohn zur Aufgabe auf: „Ich will | |
nicht, dass sie andere umbringen. Der Islam lehrt das nicht.“ | |
20 Aug 2017 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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