# taz.de -- Augenzeugenberichte aus Barcelona: „Plötzlich hörten wir dumpfe… | |
> Wie erleben und interpretieren die Menschen in Barcelona den Anschlag? | |
> Sechs kurze Berichte aus der von Terror gezeichneten Stadt. | |
Bild: Die Polizei auf Patrouille nach den Anschlägen in Spanien | |
## Dumpfe Schläge | |
Wir waren nur wenige Meter von den Ramblas entfernt, auf halber Strecke | |
dessen, was der Lieferwagen zurückgelegt hat. Wir hatten viel Glück. Denn | |
wir blieben bei einem Geschäft stehen und schauten uns die Auslagen an. Das | |
hat uns gerettet. Zufälle des Lebens. | |
Plötzlich hörten wir dumpfe Schläge. Wir dachten es wären Schüsse. Später | |
erklärte die Polizei, dass es keine Schüsse gegeben hat. Dann waren es wohl | |
die Aufschläge des Lieferwagens auf Personen. Plötzlich kam eine riesige | |
Menschenmenge von den Ramblas angerannt. Auch wir rannten. Panik. Keiner | |
wusste, was los war. Einige flohen in Geschäfte, andere, auch wir rannten | |
weiter, bis wir weit weg von den Ramblas waren. Erst im Auto erfuhren wir | |
durch das Radio, was genau los war. | |
Toni Baos (45), Lehrer von den Balearischen Inseln, war mit seiner Frau und | |
zwei Kindern auf einer Seitenstraße der Ramblas unterwegs. Sie waren auf | |
einem Stadtausflug, machen eigentlich Urlaub in den Pyrenäen. | |
## Breite Straßen meiden | |
Ich war Einkaufen. Es war um die 17 Uhr. Ich war in einer Parallelstraße | |
von Las Ramblas. Plötzlich hörte ich eine Polizeisirene, ein Streifenwagen | |
raste vorbei. Menschen blieben stehen und schauten. Aber wir wussten nicht, | |
was los war. Ich ging in ein Geschäft. Plötzlich rannten von überall her | |
Menschen herbei und strömten in den Laden. Das Sicherheitspersonal schloss | |
die Türen. Erste Gerüchte, ein Lieferwagen sei in eine Menschenmenge | |
gerast. Über das Internet bestätigten sich die Gerüchte. | |
Als sie uns wieder raus ließen, so 20 Minuten später, waren ganzen Straßen | |
leer, überall Polizei. Zwei Polizisten begleiteten mich hin aus hinter den | |
Absperrgürtel. Sie sagten uns, wir sollten breite offene Straßen meiden und | |
so schnell wie möglich einen sicherten Ort suchen. Panik, überall Menschen, | |
die rannten, Angst. Ich ging in eine Bar und wartete dort ein ganze | |
zeitlang, bevor ich nach Hause fuhr. Überall in den Geschäften und Kneipen | |
Menschen mit ängstlichem Blick. Nationalpolizei mit Maschinengewehren zogen | |
auf. | |
Irene Calabrés (24), Krankenschwester, wohnt in Hospitalet de Llobregat, | |
einem Vorort Barcelonas. | |
## „Danger“, warnt die Taco-Verkäuferin | |
Es ist Donnerstag, etwa 17 Uhr, der letzte Abend der Barcelona-Reise steht | |
an. Eine Woche Städtereise mit einem Freund liegen hinter mir. Wir holen | |
uns Tacos an den Rambla del Raval, als plötzlich ein großes Polizeiaufgebot | |
den Platz beherrscht. Sie haben Maschinengewehre im Anschlag und rennen | |
nervös über den Platz. Die Taco-Verkäuferin bittet uns nach drinnen, | |
„Danger“, sagt sie. Per Push-Nachricht kommt die Aufklärung, Anschlag in | |
Barcelona! Wir beobachten die skurrile Situation, schwer bewaffnete | |
Polizisten in schusssicheren Westen überqueren den Platz, dann sind sie | |
verschwunden, nur an den Zufahrtsstraßen stehen Posten. Alle größeren | |
Plätze werden offenbar gesperrt, noch ist unklar, welchen Hintergrund die | |
Tat hatte. Uns wird klar, dass wir uns weniger als 500 Meter von dem | |
Anschlagsziel entfernt aufhalten. | |
Wir haben für unsere letzte Nacht zum Glück ein Hotel am Rande Barcelonas, | |
bis dato bewegten wir uns nur wenige hundert Meter entfernt des | |
Schreckensortes. Im Taxi dorthin werden wir vom Fahrer weiter aufgeklärt, | |
was passiert ist. Es ist schwer, das Unbegreifliche greifbar zu machen, zu | |
verstehen, was hier gerade passiert. Plötzlich waren wir mittendrin, Teil | |
der Nachrichten. Angst war gar nicht das bestimmende Gefühl, eher | |
Desorientierung und Ohnmacht. | |
Der Medienpädagoge Daniel Seitz wollte den letzten Abend seiner | |
Barcelona-Reise an den Rambla del Raval genießen. | |
## Die einzige Waffe gegen den Terror | |
Es gab viele Gerüchte seit letztem Sommer, dass auch hier ein solcher | |
Anschlag geschehen könnte. Ich erinnere mich an die Terror-Attacke in Nizza | |
vom Juli 2016, damals dachte ich: Genau so etwas könnte auch hier in | |
Barcelona passieren, in Las Ramblas. Denn das ist ein strategischer Punkt | |
in der Stadt, immer voller Menschen, sowohl Touristen als auch | |
Einheimische. Es ist schockierend, diesen Ort, den ich so oft besucht habe, | |
nun mit Blut und toten Körpern bedeckt zu sehen. | |
Gleichzeitig habe ich mich diesen Morgen entschieden: Ich werden zu Las | |
Ramblas gehen, ich werde Blumen an den Blumenständen kaufen, und ich werde | |
auf dem Markt La Boquería Fisch einkaufen. Die einzige Waffe, die wir gegen | |
Terror haben, ist: keinen Terror zu fühlen. Das ist genau das, was ich tun | |
werde. | |
Isabel Coixet ([1][Instagram]) gilt als eine der produktivsten Regisseure | |
Spaniens und wurde mehrfach mit dem spanischen Filmpreis Goya | |
ausgezeichnet. Sie ist in Barcelona geboren, lebt dort noch immer und war | |
am Anschlagsabend in der Stadt. | |
## Ein Angriff auf den Tourismus | |
Der inakzeptable, tragische Angriff in Barcelona war vor allem eine Attacke | |
auf den Tourismus. Die katalanische Hauptstadt ist mittlerweile eine | |
Touristenstadt wie Venedig oder Rom, einfach das nächste europäische | |
Easyjet-Drehkreuz, und gerade im August gibt es kaum noch Einheimische in | |
Barcelona. Die Innenstadt wimmelt von Touristen, die anderen Stadtviertel | |
sind quasi ausgestorben. Wenn also ein Lieferwagen auf den Ramblas Menschen | |
umfährt, ist das eindeutig ein Angriff auf den globalisierten Tourismus. | |
Alex Murray-Leslie ([2][Instagram]) ist Mitgründerin der Münchener | |
Art-Rock-Band Chicks on Speed, sie schreibt in Barcelona ihre Doktorarbeit. | |
## Seltsame Stille | |
Wir wussten, dass sich so ein Anschlag eines Tages auch bei uns würde | |
ereignen können. Aber man weiß nicht, wann es so weit ist. Es trifft Dich | |
unvorbereitet, deshalb herrschte in den ersten Minuten große Verwirrung in | |
der Stadt. | |
Dass etwas passiert war, erfuhr ich durch Kurznachrichten von Freunden, die | |
in der Nähe der Ramblas wohnen. Ein Lieferwagen sei dort durch die | |
Menschenmenge gerast. Ich ging auf die Straße im Poble Sec, dem Viertel, in | |
dem ich wohne, nicht weit entfernt von den Ramblas, um zu sehen, was | |
passiert war. Aber alles, was ich erfuhr, lief über WhatsApp; mein Telefon | |
rauchte förmlich, ständig trafen Nachrichten ein mit den schrecklichsten | |
Videos. Im Razzmatazz, dem Club, in dem ich arbeite, mussten wir eine | |
riesige Homoparty absagen, 3.000 Leute wären gekommen. Auch andere Clubs | |
schlossen, genauso wie die Bars und Restaurants im Zentrum. Eine seltsame | |
Stille legte sich über die Stadt. | |
Am nächsten Tag saß ich in der Metro, durch die Stationen Plaça de | |
Catalunya und Liceu, direkt unter den Ramblas, fuhr sie hindurch, und ich | |
sah, wie die Menschen weinten. Ich wollte zu der Mahnwache auf dem Platz, | |
zum Gedenken an die Opfer des Anschlags am Freitag um 12 Uhr mittags. So | |
viele Menschen an einem Wochentag habe ich dort noch nie erlebt. Sie sind | |
spontan gekommen – in die Mitte unserer Stadt. Und dann riefen sie: „No | |
tinc por! No tinc por!“ – „Ich habe keine Angst“ auf Katalanisch. | |
Javier Estalella lebt in Barcelona und arbeitet im Club Razzmatazz. | |
Zusammenstellung/Übersetzung: Reiner Wandler, Malte Göbel, Felix Zimmermann | |
18 Aug 2017 | |
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