Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Cumhuriyet“-Prozess in der Türkei: Jeder Satz war eine mögli…
> In der Tükei hat der „Cumhuriyet“-Prozess begonnen. Ex-Redakteur und
> heutiger taz-Autor Ali Çelikkan erinnert sich an die Wochen nach dem
> Putschversuch.
Bild: Damals noch in Freiheit: der ehemalige Chefredakteur Murat Sabuncu im Jan…
Berlin taz | Es war in den Abendstunden, fünf Tage nach dem vereitelten
Putschversuch im vergangenen Jahr. In der Nachrichtenredaktion der
Cumhuriyet haben wir mit Kolleg*innen die Ausrufung des Ausnahmezustandes
durch Erdoğan mitverfolgt. Es warteten neue Gefahren auf die älteste
Zeitung der Republik in einer Türkei, die sich an Männer mit
Maschinengewehren hinter Stahltüren, stets einsatzbereite Wasserwerfer,
täglich neu formulierte Drohungen und Klagen gewöhnt.
Kolleg*innen mit Erfahrung in ähnlichen Situationen wussten, dass mit der
Ausrufung des Ausnahmezustands die Justiz außer Kraft gesetzt werden würde.
Wir Jüngeren haben in unserer Aufregung gedacht, die Zeitung würde gleich
am nächsten Tag dichtgemacht. Kurz bevor wir gegen Mitternacht die
Redaktion verließen, löschten wir alle Dokumente über die Panama Papers vom
Redaktionsrechner. Aber am nächsten Tag passierte gar nichts. Unser
damaliger Chefredakteur Murat Sabuncu (der sich derzeit in Haft befindet)
prophezeite, dass alles seinen gewohnten Lauf nehmen und wir auch weiterhin
frei und unabhängig unsere Arbeit als Journalisten machen würden.
Er hat sich geirrt: Jeder publizierte Satz konnte fortan als Straftat
gewertet werden. Unsere Anwälte, die ohnehin ständig mit Klagen kämpften,
fingen an, jeden Artikel doppelt zu prüfen, um weitere rechtliche und
finanzielle Probleme zu verhindern. Dennoch blieb die Cumhuriyet ihrer
kritischen Linie treu. Alles schien zu laufen wie gewohnt – bis in den
Morgenstunden des 31. Oktober zehn KollegInnen festgenommen wurden,
darunter Mitglieder des Stiftungvorstands, Autoren und Anwälte. Ihre Zahl
stieg später auf zwölf, elf davon [1][stehen nun vor Gericht].
## Die Zeitung hielt stand
Die Staatsanwaltschaft behauptet, die Berichterstattung habe sich zugunsten
der Gülen-Bewegung und der PKK verändert. Regierungsnahe Medien stützen
diese Anschuldigungen durch ihre Berichterstattung. Noch trauriger ist,
dass einige (Ex-) Mitarbeitende als Zeugen der Anklage ausgesagt haben.
Offensichtlich hatten sie Interesse daran, die frei gewordenen Stellen zu
besetzen. Die Regierung hatte sich interne Machtkämpfe zunutze gemacht, um
unsere Zeitung von innen zu zerlegen.
Die Cumhuriyet hat es geschafft, all diesen Angriffen standzuhalten. Die
Anklageschrift, die erst fünf Monate nach der Festnahme unserer
Kolleg*innen verlesen wurde, steht exemplarisch für den Zustand, in dem
sich das türkische Rechtssystem befindet. Unsere Mitarbeiter*innen und
Leser*innen kämpfen nach wie vor gegen die Anschuldigungen, in denen
Artikel als Beweise angeführt werden und der Zeitung die Übernahme durch
Terrororganisationen vorgeworfen werden. Die Journalistin Pelin Ünker
sagt: „Der Glaube, dass unsere Kollegen bald ihre Freiheit erlangen werden,
gibt uns die Kraft weiterzumachen.“
Der Prozess gegen die Cumhuriyet steht exemplarisch für alle Verfahren, die
derzeit in der Türkei gegen Journalist*innen geführt werden. Die Geschichte
wird nicht vergessen, dass aus der Luft gegriffene Anschuldigungen vor
einem nicht unabhängigen Gericht verhandelt werden.
24 Jul 2017
## LINKS
[1] /Justiz-in-der-Tuerkei/!5429012
## AUTOREN
Ali Celikkan
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
Türkei
Putschversuch Türkei
Cumhuriyet
Pressefreiheit in der Türkei
Schwerpunkt Pressefreiheit
Türkei
Cumhuriyet
taz.gazete
Türkei
Schwerpunkt Türkei
## ARTIKEL ZUM THEMA
Prozess gegen „Cumhuriyet“-Journalisten: „Niemand von uns ist frei“
Sieben der Angeklagten müssen nicht im Gefängnis auf das Urteil warten.
Doch was ist mit den anderen? – fragt unser Autor, selbst
Ex-“Cumhuriyet“-Mitarbeiter.
Prozess gegen „Cumhuriyet“-Journalisten: Ein Angriff auf die freie Presse
17 Mitarbeitern der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ wird in
Istanbul der Prozess gemacht. Sie sollen Terroristen unterstützt haben.
Cumhuriyet-Prozess in der Türkei: Stickige Luft, kenntnislose Fragen
In Istanbul hat der viel beachtete Cumhuriyet-Prozess begonnen. Am Freitag
soll das Urteil fallen. Unsere Gastautorin Mehves Evin berichtet.
Erster Tag des Cumhuriyet-Prozesses: Stickige Luft, kenntnislose Fragen
Beim ersten Prozesstag verteidigten sich Cumhuriyet-Mitarbeiter*innen gegen
absurde Vorwürfe. Der Staatsanwalt wusste wenig von der Anklageschrift.
Justiz in der Türkei: Cumhuriyet vor Gericht
Siebzehn Mitarbeiter der linksliberalen Zeitung sind angeklagt,
terroristische Organisationen unterstützt zu haben. Für die Redaktion ist
das absurd.
Ein Jahr Putschversuch in der Türkei: Im Eiltempo zur Alleinherrschaft
Der Putschversuch vom 15. Juli 2016 hat die Türkei verändert. Seither räumt
Erdoğan alles weg, was ihm im Weg steht. Eine Chronologie.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.