# taz.de -- Prozess gegen „Cumhuriyet“-Journalisten: Ein Angriff auf die fr… | |
> 17 Mitarbeitern der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ wird in | |
> Istanbul der Prozess gemacht. Sie sollen Terroristen unterstützt haben. | |
Bild: Unterstützer der Angeklagten vor dem Gericht in Istanbul | |
Istanbul taz | „Worum es hier geht, hat nichts mit irgendwelchen Vergehen | |
von Journalisten zu tun. Es geht um die Unabhängigkeit und Freiheit von | |
Cumhuriyet und damit um die Freiheit und Unabhängigkeit der gesamten | |
türkischen Presse“. Akin Atalay, der Herausgeber der linksliberalen | |
Cumhuriyet, ist einer von 17 angeklagten Journalisten und Mitarbeitern des | |
Blattes, die am Montag nach monatelanger Untersuchungshaft das erste Mal in | |
Istanbul vor Gericht standen. „Dieses Verfahren“, sagte Atalay in einer | |
ersten Stellungnahme vor dem Gericht, „ist praktisch ein Justizmord an | |
unserer Zeitung.“ | |
Unter großer nationaler und internationaler Aufmerksamkeit hatte am | |
Montagmorgen in Istanbul das Gerichtsverfahren gegen die Journalisten einer | |
der letzten kritischen und unabhängigen Zeitungen in der Türkei begonnen. | |
Mehr als 200 Leute versammelten sich vor dem Gericht, um den Angeklagten | |
Solidarität zu bekunden. „Die Welt schaut genau zu, was hier passiert“, | |
sagte der Vorsitzende des International Press Institute (IPI), Markus | |
Spillmann, an die Adresse der türkischen Regierung. „Das Verfahren wird | |
zeigen, ob Journalismus und Demokratie in der neuen Türkei noch einen Platz | |
haben.“ | |
Rebecca Harms, Europaparlamentarierin der Grünen, die sich seit Langem für | |
Menschenrechte und Demokratie in der Türkei engagiert, sagte, sie sei auch | |
aus persönlichen Gründen hier, weil sie viele der Inhaftierten kenne und | |
deren sofortige Freilassung fordere. Auch der Pressebeauftragte der OSZE, | |
Harlem Désir, sowie der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, | |
Christian Mihr, forderten die Regierung auf, das Verfahren umgehend | |
einzustellen und die Journalisten freizulassen. Die Beschuldigung, | |
„Terrororganisationen zu unterstützen“, bezeichnete Mihr als „inhaltlich | |
völlig absurd“. | |
Der Andrang zu dem Prozess war so groß, dass nur ein kleiner Teil der | |
Besucher in den Saal gelangen konnte. Viele bekannte Namen aus der | |
türkischen Opposition kamen dennoch, um den Cumhuriyet-Journalisten ihre | |
Solidarität zu versichern. Unter ihnen auch Erol Önderoğlu, der türkische | |
Vertreter von Reporter ohne Grenzen, der selbst in einem anderen Verfahren | |
wegen „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ angeklagt ist. | |
„Es geht bei diesem Verfahren nicht um die einzelnen Journalisten“, sagte | |
Önderoğlu der taz. „Jeder weiß, dass die Vorwürfe absurd sind. Das Ziel | |
dieser Prozesse sei es, die säkulare Zivilgesellschaft der Türkei zu | |
vernichten. Das gelte auch für die Verhaftungen von Mitarbeitern von | |
Amnesty International und anderer Menschenrechtsgruppen vor zwei Wochen. | |
Önderoğlu ist dennoch optimistisch: „Die Zivilgesellschaft hier ist sehr | |
stark. Über tausend Anwälte haben im Vorfeld des Verfahrens erklärt, sie | |
würden gern unentgeltlich ein Mandat übernehmen. Ein starkes Zeichen der | |
Solidarität.“ | |
Zum Prozessauftakt waren 11 der 17 Angeklagten aus dem | |
Hochsicherheitsgefängnis in Silivri unter dem Beifall der Besucher in den | |
Gerichtssaal geführt worden. 10 von ihnen sitzen seit 267 Tagen in | |
Untersuchungshaft, der Investigativjournalist Ahmet Şık wurde später | |
verhaftet. Als erster der Angeklagten sollte sich der amtierende | |
Chefredakteur von Cumhuriyet, Murat Sabuncu, zu den Vorwürfen äußern. Der | |
nutzte die Gelegenheit, um gegen die Haftbedingungen zu protestieren. Er | |
bekäme keine Briefe ausgehändigt und hätte auch sonst keinen Zugang zu | |
Informationen. Seine Notizen zur Vorbereitung seiner Verteidigungsrede | |
wurden konfisziert. „Deshalb kann ich jetzt zu den Beschuldigungen im | |
Einzelnen nicht Stellung nehmen“, sagte er. | |
## Angeklagte sollen Putschversuch unterstützt haben | |
Das tat dann der bekannteste Kolumnist von Cumhuriyet, Kadri Gürsel. | |
Vorgeworfen wird Mitarbeitern der Cumhuriyet wahlweise die Unterstützung | |
der vermutlich für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlichen | |
islamischen Gülen-Sekte oder der kurdischen Terrororganisation PKK | |
beziehungsweise der linksradikalen gewalttätigen Splittergruppe DHKPC. | |
Gürsel soll angeblich die Gülen-Bewegung unterstützen. Er wies das scharf | |
von sich. Als Beweis dient der Staatsanwaltschaft ein Anruf bei einem | |
Kollegen, der seinerseits Mitglied der Gülen-Bewegung sein soll. „Ich habe | |
ihn angerufen, um ihm zum Tod seines Vaters zu kondolieren“, sagte Gürsel, | |
„so konstruiert ist diese Anklage.“ | |
In den kommenden Tagen werden auch die übrigen Angeklagten Gelegenheit zu | |
einer Stellungnahme bekommen, dann können die Anwälte plädieren. Ende der | |
Woche will das Gericht entscheiden, wie es weitergehen soll. Mit einem | |
Urteil ist zwar dann noch nicht zu rechnen, wohl aber mit einer | |
Entscheidung über die Aufrechterhaltung der U-Haft für die Angeklagten. | |
Cumhuriyet-Journalist Orhan Bursalı hofft nun, dass sie zumindest für die | |
Dauer des Prozesses freikommen, „schon damit das Gericht seine | |
Unabhängigkeit beweisen könne“. Erol Önderoğlu hingegen glaubt, dass kein | |
Richter sich das trauen würde. „Er wäre noch am selben Abend seinen Job | |
los.“ | |
24 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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