# taz.de -- Erster Tag des Cumhuriyet-Prozesses: Stickige Luft, kenntnislose Fr… | |
> Beim ersten Prozesstag verteidigten sich Cumhuriyet-Mitarbeiter*innen | |
> gegen absurde Vorwürfe. Der Staatsanwalt wusste wenig von der | |
> Anklageschrift. | |
Bild: Cumhuriyet-Leser*innen lassen als Zeichen der Freiheit bunte Luftballons … | |
Am Montagmorgen hat im Justizpalast von Istanbul-Şişli einer der | |
bedeutendsten Gerichtsprozesse der türkischen Geschichte begonnen. 17 | |
Mitarbeiter*innen der Tageszeitung Cumhuriyet stehen die ganze Woche vor | |
Gericht, neben Journalist*innen befinden sich auch Personen aus der | |
Geschäftsleitung, zwei Anwälte und ein Karikaturist unter den Angeklagten. | |
Elf von ihnen sind seit November vergangenen Jahres in Untersuchungshaft. | |
Zum Prozessauftakt erschienen zahlreiche Journalist*innen und | |
Menschenrechtler*innen vor Ort. In diesem Verfahren geht es nämlich nicht | |
nur um die Cumhuriyet, sondern um uns alle. Um unser Jetzt und um unsere | |
Zukunft. | |
## Symbol des Laizismus | |
Die Cumhuriyet ist die älteste und wirkmächtigste überregionale | |
Tageszeitung des Landes. Ihre Gründung wurde in den ersten Stunden der | |
Republik von Atatürk persönlich in Auftrag gegeben, als Zeichen des neuen, | |
modernen, laizistischen Regimes. | |
So übernahm der Journalist Yunus Nadi die Federführung für das 1924 | |
erstmals erschienene Blatt, dessen Name auf deutsch schlicht „Republik“ | |
bedeutet. Darüber hinaus fungiert die Zeitung in der türkischen | |
Presselandschaft wie eine Schule für Journalist*innen, und viele von uns | |
haben früher oder später für die Cumhuriyet gearbeitet. | |
Hunderte von Menschen treffen um 9 Uhr zur Pressekonferenz vor dem | |
Justizpalast ein. Neben Abgeordneten der beiden größten Oppositionsparteien | |
CHP und HDP, sind auch Vertreter*innen der EU wie Rebecca Harms und Arne | |
Lietz vor Ort, sowie zahlreiche Organisationen wie PEN und Reporter ohne | |
Grenzen, um Solidarität zu bekunden. | |
## Zuversicht unter Beobachter*innen | |
Nach der Konferenz lassen Leser*innen der Cumhuriyet als Zeichen der | |
Freiheit hunderte bunte Luftballons steigen. Die Stimmung unter Ihnen ist | |
äußerst positiv, da offenbar Konsens darüber besteht, dass diese „leere“ | |
Ermittlungsakte nur zu Freilassungen führen kann. | |
Der 2011 als angeblich „größtes Gerichtsgebäude Europas“ eröffnete und | |
insgesamt 275.000 Quadratmeter große Istanbuler Justizpalast bietet in | |
seinem größten Gerichtssaal leider nur Platz für 200 Personen. Das | |
bedeutet, dass am Montagmorgen die meisten Angehörigen der Angeklagten, | |
sowie Journalist*innen und Beobachter*innen draußen bleiben müssen. | |
Als die Angeklagten in den überfüllten, stickigen Saal gebracht werden, | |
geht ein großer Beifall los. Viele Angehörigen haben nach Monaten erstmals | |
die Chance, ihre Angehörigen wiederzusehen und ihnen aus der Ferne | |
zuzuwinken. | |
## Gericht kennt Anklageschrift kaum | |
In der Anklageschrift wird der Zeitung vorgeworfen, von ihrer | |
„kemalistischen Redaktionslinie abgewichen“ zu sein, als ob dies eine | |
Straftat darstellt. Zudem besteht der Vorwurf, „Terrororganisationen | |
sympathisch und legitim dargestellt“ zu haben. Als Beweismittel werden aus | |
der Redaktion veröffentlichte Nachrichten und Tweets aufgeführt. | |
Gleich zu Beginn verschiebt der angeklagte Cumhuriyet-Chefredakteur Murat | |
Sabuncu seine Verteidigungsrede auf Dienstag, da die Zeitungen und Bücher, | |
die er als Beweismittel mitbringen wollte, von der Polizei beschlagnahmt | |
wurden. | |
Der ebenfalls angeklagte Redaktionsberater und Autor Kadri Gürsel | |
verteidigt sich mit der Aussage, seine Telefonmitschnitte seien anscheinend | |
nicht geprüft worden, denn er sei – anders als ihm vorgeworfen wird – nie | |
in Kontakt mit Nutzer*innen der App „Bylock“ gewesen (die App wird | |
angeblich zur Kommunikation unter Gülen-Anhänger*innen genutzt, Anm. d. | |
Red.). | |
Zudem erklärt Gürsel, dass er mit seinen Texten den Staatspräsidenten nie | |
zur Zielscheibe erklärt hätte. Er habe lediglich Prognosen eines | |
autoritären Regierungsstils aufgestellt, und diese Prognosen hätten sich | |
inzwischen ja bewahrheitet, und so plädiert er auf seine Freilassung. An | |
den Fragen des Staatsanwalts ist am Montag zu erkennen, dass dieser nicht | |
einmal die Anklageschrift gelesen hat. | |
## Auch gegen Staatsanwalt wird ermittelt | |
Immer wieder gibt es kurze Pausen während des ersten Verhandlungstags. | |
Cumhuriyet-Justiziar und Vorstandsmitglied Akın Atalay, der zu den | |
Angeklagten gehört, beginnt seine Verteidigung mit der Anmerkung, dies sei | |
das erste Mal, dass er an einer Verhandlung ohne Krawatte teilnehme, da ihm | |
dies nicht erlaubt wurde. | |
Aus seiner Sicht, fährt Atalay fort, diene dieser Prozess zwei Zwecken: 1. | |
Die Cumhuriyet zum Schweigen zu bringen oder ganz aufzulösen. 2. Der freien | |
Presse zu drohen. Atalay sagt, die Cumhuriyet werde nicht aufgeben, da ihre | |
einzige Tätigkeit daraus bestünde, Journalismus auf einer legitimen und | |
legalen Grundlage zu betreiben. | |
Atalay machte ferner darauf aufmerksam, dass der Staatsanwalt, der die | |
Cumhuriyet-Ermittlungen durchführte, ebenfalls wegen der Mitgliedschaft in | |
der terroristischen Organisation FETÖ angeklagt ist und zwei lebenslange | |
Haftstrafen für ihn gefordert werden. Unter diesen Umständen sei es | |
respektlos gegenüber dem Gericht, dass diese Anklageschrift überhaupt | |
angenommen werde. | |
Es wird erwartet, dass alle Angeklagten sich innerhalb dieser Woche | |
verteidigen. Am Freitag soll es ein Urteil geben. | |
24 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Mehves Evin | |
Mehveş Evin | |
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