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# taz.de -- West Side Gallery: Mauerperspektiven
> Zum Jahrestag des Mauerbaus eröffnet auf der Rückseite der East Side
> Gallery die Installation des Künstler Stefan Roloff „Beyond The Wall“.
Bild: Der Künstler an der Mauer: Stefan Roloff mit „Beyond the Wall“
Beachtliche 229 Meter zieht sich die Installation „Beyond the Wall“ von
Stefan Roloff an dem der Spree zugewandten Mauerteil an der
Friedrichshainer Mühlenstraße hin. Die auf Papierbahnen gedruckte und an
die Wand tapezierte Arbeit zeigt Stills aus Videofilmen, die Roloff 1984
von Westberliner Seite aus von den DDR-Grenzanlagen aufgenommen hat.
Unterbrochen wird der Reigen dieser Bilder durch schwarze menschliche
Silhouetten und Texte, weiß auf schwarz.
Damit zeigt die Arbeit zwei Sichtweisen auf die Mauer. Die Sicht aus dem
Westen ist die der Bilder. Durch sie wohnen die Betrachter*innen einer
seltsamen Inszenierung bei, beobachten etwa eine einsame schwarze Katze im
mit Panzersperren bewehrten Niemandsland des Todesstreifens, sehen einen
Grenzsoldaten just den Sandboden dieses Mienenstreifens harken oder
Uniformierte beim morgendlichen Schichtwechsel.
Die Bilder sehen wie gemalt aus. Tatsächlich aber handelt es sich bei ihnen
um die alten Videostills aus den Achtzigerjahren, die Roloff, ein Pionier
der digitalen Foto- und Videokunst, mit Hilfe einer mit dem Drucker Stefan
Porkert entwickelten Technik nun auf enorme und mauerfüllende drei mal vier
Meter aufblasen kann. Je weiter man sich von der Mauer entfernt, um so mehr
wird die malerische Impression wieder zum fotorealistischen Bild.
## Die dissidentische Sicht
Die Texte von „Beyond the Wall“ dagegen geben die dissidentische Sicht der
Mauer aus dem Osten wider. Sie stammen aus Interviews, die Stefan Roloff
mit Betroffenen führte. Sie waren auf ihn zugekommen, nachdem sie den Film
gesehen hatten, den er über seinen Vater gedreht hatte, der im
Nazideutschland Mitglied der Widerstandsgruppe Rote Kapelle war.
Die gut belegte Schilderung der Roten Kapelle als unabhängige
Widerstandsgruppe gab ihnen das notwendige Vertrauen, sich Roloff gegenüber
zu öffnen.
Sechs Silhouetten schlagen nun gewissermaßen ein Loch in die Mauer und
geben den Blick frei auf die andere Seite das Dramas. Sie repräsentieren
die sechs (von insgesamt 70) Protagonisten, die in ihren in Auszügen
abgedruckten Interviews von wahrlich traumatischen Erfahrungen berichten.
Vor Ort können die Berichte auch in voller Länge über das Smartphone
abgerufen werden.
## Nicht nur Mahnmal zur Berliner Mauer
Roloff versteht seine ästhetisch wie motivisch eindrucksvolle Installation
keinesfalls als historisch spezifisches Mahnmalprojekt zur Berliner Mauer,
sondern er will mit seiner Arbeit an die fortwährende Konfrontation
erinnern, die weltweit zwischen Parteien, Ethnien oder Nationalstaaten
bestehen. Die Bilder der Mauer verweisen dabei auf das methodische Schüren
von Angst, um Feindschaften zu begründen, vor allem aber Machtstrukturen,
die so auch erhalten werden.
Genau darin liegt auch der Ansatzpunkt von Adrienne Goehler, der Kuratorin
des Projekts. Sie setzt sich ganz grundsätzlich für die künstlerische und
bildungspolitische Auseinandersetzung mit Fragen der Überwindung von
Grenzen, Mauern und sonstigen realen oder auch nur symbolischen
Instrumenten der Trennung an diesem besonderen Ort der West Side Gallery
ein.
Denn wo läge es schon näher, den Massen von Besuchern der bunten East Side
Gallery die schwierigere Rückseite jeder noch so berühmten Mauer zu zeigen?
Doch das Landesdenkmalamt beschied der Kuratorin und ihren institutionellen
Unterstützern wie der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und der
Bundeszentrale für Politische Bildung, die Schau „werde nur geduldet“. Denn
anders als die bunte Straßenseite muss die spreeseitige Mauer weiß bleiben,
so bilderlos, wie sie es zu DDR-Zeiten war – um irgendwelche illegalen
Bewegungen auf der taghell erstrahlten weißen Wand sofort entdecken zu
können.
## Bewusstsein der weißen Wand
Dass diese Wand in Zeiten, in denen sie künstlerisch nicht bespielt wird,
weiß wäre, ist freilich nichts weiter als ein frommer Wunsch. Oder bedürfte
erneut des Sicherheitspersonals. Wirklich weiß wird sie erst im November
wieder sein, wenn „Beyond the Wall“ abgebaut und die Mauer neu gestrichen
wird.
Will man das Bewusstsein von der weißen Wand als Funktion staatlichen
Terrors wahren, scheint es doch offensichtlich, dass dies um so besser
gelingt, je öfter sie nach einer Open-Air-Ausstellung tatsächlich weiß und
von Graffiti unbefleckt zu Tage tritt. Was man so eine Win-win-Situation
nennen könnte.
11 Aug 2017
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Berliner Mauer
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