# taz.de -- Die Wahrheit: Vergesst Woodstock! | |
> Wer geht sich an die Dreadlocks und wer stellt seine ewige Lächelei | |
> endlich ein? Auf Open-Air-Festivals kommen soziologische Beobachtungen | |
> gut. | |
Bild: Der schönste Tag ist, wenn im Theater das Wetter mitspielt | |
Dass ein Veranstalter eines Open-Air-Festivals kurz vor dem Anreisetag die | |
Losung ausgibt: „Tut euch und uns einen Gefallen – bleibt zu Hause!“, lä… | |
mein Vasco-da-Gama-Herz höher schlagen. Hier wartet ein Abenteuer auf mich. | |
Beim ersten („Since 1968“) und auch letzten richtig großen | |
Hippie-Schaulaufen in Deutschland, dem „Burg Herzberg Festival“ in | |
Nordhessen, ist Land unter. | |
Eintritt nur mit Segelschein und/oder Schlickrutscherpatent erlaubt. Mein | |
soziologisches Interesse ist geweckt. Ich will sehen, ob die „beautiful | |
people“ sich gegenseitig an die Dreadlocks gehen, unangespitzt in die | |
braune Soße tunken und ihre ewige Lächelei endlich einstellen. | |
Einer aus dem Burgherrengeschlecht grinst noch. „Suchst du einen Parkplatz? | |
Ist ja alles voll, aber für zehn Euro . . .“ Er zeigt auf eine Koppel. Ich | |
zahle. „Du hast doch Allrad, oder?“, ruft der blaublütige Schlemihl mir | |
noch hinterher, aber da macht mein Golf Diesel schon einen Bauchklatscher | |
in den als Wiese getarnten Sumpf. Hier hilft keine Schummel-Software mehr. | |
Auch auf dem Festivalgelände beginnen die Autos, Zelte und Büdchen langsam | |
in diesem gewaltigen Haferschleimsüppchen zu versinken. Hippie-Bildhauer | |
versuchen sich auf kreative Weise des Werkstoffs anzunehmen, müssen aber | |
einsehen, dass nordhessischer Modder ungeeignet ist, daraus etwas wirklich | |
Großes zu erschaffen. | |
Derweil signalisiert die Feuerwehr volle Einsatzbereitschaft und brettert | |
in ihrem flotten Amphibienfahrzeug den Berg rauf und runter. Zu tun gibt es | |
nichts, aber so kann man die Neuanschaffung mal unter Amazonas-Bedingungen | |
testen. „Macht Spaß, oder?“, rufe ich der Besatzung zu. „Geile Scheiße�… | |
rufen sie zurück. | |
Welche Bühne in diesem Jahr wohl zuerst fertig sein und den Reigen mit | |
einem realitätsverbiegenden, neue Galaxien entdeckenden Monsterjam anführen | |
wird, diskutieren zwei sich kratzende Schlammspringer. Es juckt, wenn | |
Matschepampe hart wird. Das Rennen macht einmal mehr der Höllenschuppen, | |
eine freie Bühne, die von einer Gruppe Freaks mit McGyver-Qualitäten | |
kuratiert wird. Alex, einer ihrer Sprecher, erklärt mir das Erfolgsrezept. | |
„Was hier vorbeischwimmt, wird verbaut!“ | |
Ich nehme wattwandernd meine soziologischen Studien wieder auf und kucke | |
grimmig, um keine freundliche Gegenreaktion herauszufordern. Es hilft | |
nichts. Sie lächeln. Alle. Zwei hennabemalte Frauen kommen auf mich zu und | |
streicheln mir mit lieb besorgter Miene die Hand. „Du! Komm erst mal an, du | |
bist ja ganz verspannt.“ | |
Meine Verspannung wird noch größer, wenn ich an meine in der Flitzkacke | |
versinkende Karre denke. Aber hier ist alles so dermaßen groovy und in | |
tune, dass nicht mal die Bergung eines Stinkdiesels zum Problem wird. Wie | |
von allein finden sich zehn Grundsympathen ein, die mich da fröhlich | |
feixend rausholen. Zum Abschied gebe ich noch einmal Vollgas, nur so aus | |
Daffke, die Reifen drehen durch im Morast. Ich höre sie lachen und sehe im | |
Rückspiegel ihre herrlich pampsverschmierten Grinsegesichter. Sie winken. | |
8 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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