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# taz.de -- Angst vor Abschiebung: Gar nicht erst dran denken
> Dass Afghanistan kein sicheres Herkunftsland ist, weiß der Berliner
> Senat. Dennoch haben junge Geflüchtete Angst, dorthin abgeschoben zu
> werden. Flüchtlingsinitiativen fordern nun ein Bleiberecht für sie.
Bild: Flüchtlingsprotest im Juni in München
Berliner Flüchtlingsinitiativen fordern ein Bleiberecht für junge
Flüchtlinge, deren Asylanträge abgelehnt wurden. „Wir schlagen vor,
Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit rechtskräftig abgelehntem
Asylantrag eine Bleiberechtsregelung zu schaffen, die ihnen die bisherige
destruktive Angst vor Abschiebung nimmt“, heißt es in einem insgesamt
neunseitigen Positionspapier des Ehrenamtlichen-Netzwerks „Berlin hilft“
und des Vereins Encourage, der minderjährige und junge volljährige
Geflüchtete unterstützt.
Hintergrund ist die vor allem unter afghanischen Geflüchteten grassierende
Angst, nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Zwar hat der Senat mehrfach
versichert, Abschiebungen dorthin auch bei abgelehnten Asylanträgen nicht
vorzunehmen. Doch heißt es in den schriftlichen Ablehnungsbescheiden des
Bundesamtes für Asyl und Flüchtlinge (Bamf) standardmäßig, die Ausreise sei
innerhalb von 30 Tagen zu vollziehen. „Und es ist dann schwer, den
Betroffenen zu vermitteln, dass sie das zunächst nicht betrifft“, sagt
Andrea Petzenhammer von Encourage.
## Abschiebung in Drittländer
Verunsichernd wirkt zudem die den Senatszusagen stets hinzugefügte
Ergänzung: solange sich die Situation in Afghanistan nicht ändere. So hatte
zuletzt auch Innensenator Andreas Geisel (SPD) bei einem Fastenbrechen mit
afghanischen Geflüchteten den Abschiebestopp eingeschränkt (taz
berichtete). Zudem können Geflüchtete in andere EU-Länder, die sie bei
ihrer Flucht durchquert haben, abgeschoben werden – die dann nach
Afghanistan abschieben. Erst Mitte Juli berichtete die Hilfsorganisation
„Moabit hilft“ vom Selbstmordversuch eines Afghanen, der die Abschiebung
nach Belgien fürchtete.
Betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis zum Alter von 26 Jahren
solle das Land deshalb eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 25 Absatz 5
des Aufenthaltsgesetzes erteilen, so der Vorschlag der HelferInnen. Danach
kann einem „ausreisepflichtigen Ausländer“ eine Aufenthaltserlaubnis
erteilt werden, „wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen
Gründen unmöglich und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer
Zeit nicht zu rechnen ist“. Rechtliche Voraussetzung dafür ist, dass die
Abschiebung seit 18 Monaten nicht vollzogen werden konnte und „der
Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist“.
## Gut für beide Seiten
Die VerfasserInnen des Positionspapier definieren eine weitere
Voraussetzung: Dies solle „ein regelmäßiger Schulbesuch und eine von der
Schule bestätigte, gute Integrationsprognose, bezogen auf das Erreichen
eines entsprechenden Schulabschlusses“, sein. Denn nicht nur „aus der
individuellen Perspektive der Betroffenen“, auch aus der des deutschen
Staates sei es „im Sinne der Wirtschaftlichkeit bereits investierter
Gelder“ sinnvoll, „eine Lösung zu finden, die letztlich beiden Seiten
hilft“ – Betrieben und Geflüchteten.
Die mit dem unsicheren Duldungsstatus verbundene Angst und
Perspektivlosigkeit führe zu „gebrochenen Bildungswegen“. Nicht nur, weil
die Betroffenen durch „Schlafstörungen, Retraumatisierung und fehlende
Konzentrationsfähigkeit den […] Anforderungen in den Schulen nicht mehr
gerecht werden“ können. Viele entschieden sich zudem in der Hoffnung auf
eine Bleibeperspektive zu früh für die Ausbildung, scheiterten dann aber
mangels ausreichender Deutschkenntnisse in der Berufsschule.
Doch während andere Bundesländer geeignete Lösungen anstreben – die
VerfasserInnen des Positionspapiers verweisen auf Nordrhein-Westfalen und
Schleswig-Holstein, die Entsprechendes in ihren Koalitionsverträgen
vereinbart haben – , „haben wir hier noch nichts gehört in Richtung einer
eigenständigen Berliner Regelung“, sagt Christian Lüder vom Netzwerk
„Berlin hilft“.
Die Pressestelle der für Aufenthaltsfragen zuständigen Senatsverwaltung für
Inneres verweist auf taz-Anfrage auf den Berliner Koalitionsvertrag. Auch
dort ist vereinbart, eine „Erleichterung der Gewährung eines humanitären,
alters- und stichtagsunabhängigen Bleiberechts für langjährig Geduldete“
anzustreben: „auf Bundesebene“. Bleiberechtsregelungen für abgelehnte
Asylbewerber könnten „nur im Rahmen bestehender bundesgesetzlicher
Regelungen gefunden und entwickelt werden“, so ein Sprecher der
Innenverwaltung. Die HelferInnen widersprechen dem: Wenn Berlin
Abschiebungen aussetzen könne, „kann man den Leuten auch gleich
Aufenthaltsgenehmigungen geben“, so Lüder.
Für den 2011 aus Afghanistan geflüchteten Journalisten Mortaza Rahimi ist
die von den Initiativen vorgeschlagene Regelung „sinnvoll“. Sie sollte aber
für alle gelten: „Nicht nur bis zum 27. Lebensjahr.“
30 Jul 2017
## AUTOREN
Alke Wierth
## TAGS
Abschiebung Minderjähriger
Schwerpunkt Afghanistan
Abschiebung
Schwerpunkt Afghanistan
Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Einwanderung
Schwerpunkt Afghanistan
Flüchtlinge
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