| # taz.de -- Die Wahrheit: Die Verwandlung | |
| > Sein Name ist Samsa. Aber heißt er wirklich so? Und warum krabbelt der | |
| > Käfer über sein Papier? Ach, könnte man es doch bloß aufschreiben … | |
| Bild: Assoziative Bilderkette, entschleunigt und malerisch | |
| „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er | |
| sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Aber war es | |
| denn wirklich Morgen? Es war helllichter Tag, die Sonne schien warm zum | |
| Fenster herein! | |
| Und „unruhige Träume“? Gar nicht geschlafen hatte er, sondern die ganze | |
| Nacht geschrieben. Tagsüber fehlte die Zeit, weil er bei einer Versicherung | |
| angestellt war, zudem viel über Land reisen musste, um Schäden zu | |
| regulieren. Die Schriftstellerei warf nicht genügend für den | |
| Lebensunterhalt ab. Ja, wenn er sich auf Romane verstünde! Dreimal hatte er | |
| es versucht und war nicht zu Rande gekommen. Unfertig lagen die Manuskripte | |
| in der Schublade des Tischs und drückten ihm auf die Seele. Die | |
| glücklichste Lösung bestünde darin, sie zu verbrennen. | |
| Auf kleine Geschichten verstand er sich einigermaßen, hier hatte er bereits | |
| einen schmalen Band mit Erzählungen publiziert. Schreiben aber konnte er | |
| nur zu Hause; doch da waren seine Eltern und die Schwester, die | |
| Aufmerksamkeit und Zuwendung heischten. Im Übrigen genügte die bloße | |
| Anwesenheit des übermächtigen Vaters, um ihn befangen zu machen und jede | |
| Inspiration zu ersticken. Ach, manchmal wünschte er, ein Indianer zu werden | |
| und Hals über Kopf auf dem rennenden Pferde fortzureiten! | |
| Wenn er doch dem Vater, statt schüchtern zu kneifen, endlich offen | |
| entgegentrat … Stattdessen schrieb er ihm einen langen Brief, den er ihm | |
| nie zu lesen gab, weil sein Urteil vernichtend wäre. Er war als Sohn nicht | |
| nach dem Bild seines Vaters geraten und müsste sich, läse der Vater den | |
| Brief, von einer Brücke stürzen! Die Scham jedoch würde ihn überleben … | |
| Erst wenn nach zehn Uhr abends Vater, Mutter und Schwester zu Bett waren, | |
| konnte er sich an den Schreibtisch zurückziehen. Nichtsdestoweniger hatte | |
| er die Pflicht, sich nach einer durchwachten Nacht wie heute bürofertig zu | |
| machen, sich zu waschen, anzukleiden und zur Arbeit zu fahren. | |
| Eben wollte er den Stift beiseitelegen, als ein Käfer über das Papier | |
| krabbelte und er jenen Satz über das Ungeziefer niederschrieb. Er grinste, | |
| aber war zu müde, um nachzudenken, wie die Geschichte weitergehen sollte. | |
| Wahrscheinlich sollte er den Einfall wie viele andere vergessen! Auch zur | |
| Arbeit sollte er heute am besten nicht. | |
| Er verriegelte die Tür, dachte an Felicitas Bauer, masturbierte und war | |
| schon im Halbschlaf, als, zum Aufstehen mahnend, seine Mutter anklopfte und | |
| bald darauf der Vater mit der Faust gegen die Tür schlug. An der anderen | |
| Seitentür klagte leise die Schwester, fragend, ob ihm nicht wohl sei. Als | |
| sogar der Prokurist der Versicherung erschien und ihm vorhielt, | |
| Unpässlichkeit sei kein Grund, dem Geschäftsleben fernzubleiben, musste er, | |
| Gregor Samsa, wohl oder übel aufstehen. | |
| Gregor Samsa? Nein, wer immer er wirklich war, er erhob sich, wusch sich | |
| und kleidete sich an. Ja, die Welt wurde enger mit jedem Tag! Dann begab er | |
| sich an die Arbeit, in das Büro, in die Strafkolonie. | |
| 25 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Köhler | |
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